Am 27. September 2025 soll der erste Probezug durch den Tunnel fahren. Das ist ein historisches Datum, das Sie nicht zufällig gewählt haben. Was hat es damit auf sich?
Prof. Konrad Bergmeister: Vor 200 Jahren, am 27. September 1825, hat der britische Eisenbahningenieur George Stephenson erstmals eine Fahrt mit einer von ihm entworfenen Dampflok auf einer Bahnstrecke absolviert. Unter seiner Leitung wurde zwischen Stockton und Darlington die erste öffentliche Eisenbahn der Welt eingeweiht. Das hat mich bewegt, dass wir dieses Datum wählen sollten, um den ersten Zug probeweise durch das transeuropäische Infrastrukturprojekt Brenner Basistunnel zu schicken.
Sind Sie im Zeitplan?
Ja. Die Inbetriebnahme ist für Dezember 2026 geplant, insofern es keine größeren technischen, finanziellen oder politischen Schwierigkeiten gibt und wir mit den Probefahrten bereits ein Jahr früher beginnen können.
Wo steht Deutschland bei der Realisierung der nördlichen Zulaufbahnstrecken? Hat man auf deutscher Seite geschlafen?
Ich möchte Deutschland ganz im Gegenteil gratulieren. Denn man hat zwischen Berlin und München eine erstklassige neue Trasse gebaut. Die verfügbaren Kapazitäten auf der Strecke von München Richtung Kufstein ist derzeit immer noch größer als die Flaschenhalssituation die wir im Unterinntal auf österreichischem Gebiet hatten. In der Gesamtbetrachtung des Korridors hat man versucht, Engpässe strikt nach Priorität abzubauen. Das Unterinntal wurde vor allem aufgrund des Ost-West- und des Nord-Süd-Verkehrs viergleisig ausgebaut. Heute ist daher genügend Kapazität vorhanden.
Wir sind sehr froh, dass jetzt die grenzüberschreitende Strecke zwischen Kundl und südlich von Rosenheim näher untersucht wird. Zusätzlich soll der Großraum Rosenheim durch eine weitere Studie betrachtet werden. Nach der geplanten Anbindung des Chemiedreiecks über den Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf –Freilassing öffnet sich dann zusätzliche Kapazität zwischen Rosenheim und München.
Welchen Widerstand der Anwohner erwarten Sie?
Man möchte in Rosenheim nun auch eine unterirdische Lösung der Trasse, weil das weiter südlich in Tirol so gemacht wurde. Man kann aber Lösungen, die an einer Stelle realisiert wurden und dort Sinn machen, nicht eins zu eins auf einen anderen Ort übertragen. Das muss man anders angehen. Wir brauchen verträgliche Lösungen, dazu muss man zunächst die ganze Palette betrachten, von einer Oberflächenlösung, über eine halb unterirdische Lösung bis zu einer Unterflurtrasse. In einer Studie sollen die Möglichkeiten zunächst bewertet werden.
Sie streben beim alpenquerenden Verkehr ein Verhältnis Schiene/Straße von 70 zu 30 über den gesamten Alpenbogen an. Ist das realistisch?
Das ist unsere Zielvorstellung, da wollen wir langfristig hin. Voraussetzung ist, dass wir zwei leistungsstarke Schienenkorridore haben – einmal den Korridor von Rotterdam, Antwerpen nach Genua und zum anderen den Korridor von Helsinki-Hamburg-München-Brenner Basistunnel-Rom-Valletta, dann ist das möglich. Die Schweiz hat diesen Modal-Split bereits realisiert, am Brenner ist das Verhältnis heute noch genau umgekehrt.
Wird es politischen Druck geben um die Verlagerungsziele zu erreichen?
Die EU investiert viele Milliarden in ein leistungsfähiges Schienennetz. Sie muss darüber nachdenken, welche Anreize geschaffen werden können, um diese Trassen auch auszulasten. Viele politische Steuerungsinstrumente sind denkbar. Es gab im März genau zu diesen Fragen ein Seminar in Innsbruck mit EU-Kommissarin Violetta Bulc und Vertretern der DG Move. Es soll noch in diesem Jahr auf EU-Ebene eine Arbeitsgruppe gebildet werden unter Beteiligung der Länder mit Experten der Bahnen und der Autobahngesellschaften.
Was soll besprochen werden?
Es muss ein vernünftiges Umweltmonitoring für die unterschiedlichen Verkehrsträger geschaffen werden um einen Vergleich der Alternativen zu haben. Man muss aber auch über verkehrspolitische Steuerungsmaßnahmen nachdenken; ein Beispiel hierfür wäre die Alpentransitbörse. Denkbar wäre auch eine dynamische Korridorbörse. Dynamisch deshalb, weil man für bestimmte Ereignisse wie Stau oder andere Behinderungen Verkehre zeitweise verlagern kann. Und schließlich kann es auch ein Weg sein, gezielte Steuern und Abgaben zu erheben und die Einnahmen mit ökologischer Zielsetzung zu verwenden – so wie es die Schweiz im Ansatz schon getan hat. Eines ist aber klar: wenn das System logistisch funktioniert, braucht man dazu kaum Steuerungsmaßnahmen denn dann ist die Bahn schneller, verlässlicher und kostengünstiger.
Wie groß ist das Interesse der Spediteure?
Auch von den großen europäischen Speditionsfirmen bekomme ich die Rückmeldung, das sie sofort auf die Schiene wechseln würden, sofern es logistisch vernünftig abzuwickeln ist. Die Schiene ist dreimal pünktlicher als der Lkw im Stau, sie ist deutlich sicherer und sie ist betriebswirtschaftlich günstiger - spätestens wenn der Straßengüterverkehr seine externen Kosten mit bezahlen muss.
Das Interview führte VR-Redakteur Dietmar Winkler
Hintergrund
Licht am Ende des Tunnels. Im Jahr 2026 soll das Jahrhundertbauwerk seinen offiziellen Betrieb aufnehmen - nach 40-jähriger Planungs- und Bauphase. Auf der Messe Transport Logistic gab der Vorstand der östereichisch-italienischen Gesellschaft Brenner Basistunnel BBT SE einen Bericht zum Stand der Arbeiten. Die BBT SE ist verantwortlich für Planung und Baudurchführung auf allen Streckenabschnitte in Österreich und Italien. (diwi)