Die Digitalisierung steht noch am Anfang

Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Egal ob auf den großen Kongressen oder in den Unternehmen, überall wird vom Wandel gesprochen. Mittelstand ist noch sehr zurückhaltend Aber davon zu reden ist das eine, die Digitalisierung auch umzusetzen ist eine ganz andere Sache. Daher stellt sich die Frage, wie weit die Transport- und Logistikbranche bei der Umsetzung der digitalen Welt ist. Der Lehrstuhl für Logistikmanagement der Universität St. Gallen hat dazu Verlader und Dienstleister befragt. Erschienen ist eine Studie mit dem Titel "SCM 4.0: Supply Chain Management und digitale Vernetzung" im Rahmen der Logistikmarktstudie Schweiz (siehe Kasten S. 17). Ein Ergebnis der Untersuchung: Die jeweiligen Akteure in der Transport- und Logistikbranche befassen sich unterschiedlich intensiv mit der Digitalisierung: "Es gibt die großen Logistikkonzerne, die mit großem Aufwand große Digitalisierungsprojekte auf den Weg bringen", sagt Wolfgang Stölzle, Professor für Logistikmanagement und Leiter des St. Gallener Logistik-Lehrstuhls. Aber man wisse noch nicht, welche dieser Projekte sich durchsetzen werden. "Daneben gibt es die vielen kleinen Startups, von denen sich einige am Markt etabliert haben und andere bereits wieder vom Markt verschwunden sind", sagt der Logistikexperte. Und dann sei da noch die Mehrheit der vielen klein- und mittelständisch geprägten Unternehmen: "Von denen nimmt man nur recht wenige wahr, die sich intensiv mit der Digitalisierung befassen", sagt Stölzle. Vielleicht, so der Professor weiter, weil sie nicht so ein großes Aufhebens um ihre Projekte machen: "Doch ist eher davon auszugehen, dass für die meisten das Thema Digitalisierung keine oder nur eine geringe Rolle spielt." Eine weitere Schwierigkeit bei der Ermittlung des Verbreitungsgrades der Digitalisierung: "Dessen Messung ist schwierig, weil es noch kein anerkanntes Messinstrument für den Reifegrad der Digitalisierung in der Logistik gibt", sagt der Professor. Auch welche Maßnahmen tatsächlich der Digitalisierung zuzuschreiben sind, sei unklar. In der Umfrage haben die Schweizer festgestellt, dass die Dienstleister sich intensiver mit dem Thema "Digitalisierung" befassen als die Industrie. Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber Stölzle schränkt ein: "Diese Aussage bezieht sich auf die Logistikprozesse." Im Handel hingegen sehe es anders aus: "Gerade für die großen Anbieter in der Schweiz wie Migros oder Coop ist die Logistik eine Kernkompetenz. Deshalb ist für sie die Digitalisierung in der Logistik ein Kernthema." Tracking-Technologie weit verbreitet Für viele Dienstleister in der Schweiz würde bei den Digitalisierungsmaßnahmen im Vordergrund stehen, ihre Anlagen, Fahrzeuge und Ladungsträger mit Tracking-Technologie auszustatten. Dabei geht es nicht nur um das Thema Sendungsverfolgung, sondern es würden weitere Daten erfasst wie zum Beispiel bei Frischeprodukten die Temperatur im Laderaum. "Aber eine Vollautomatisierung und Selbststeuerung von Anlagen und Fahrzeugen erfolgt bei den Dienstleistern noch nicht", sagt Stölzle. Dafür gibt es aber auch einen guten Grund. Denn diese Technologien stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung, weshalb viele noch vor einem Einsatz in der Praxis zurückscheuen. Doch sind die Dienstleister in der Schweiz mit ihren derzeitigen Aktivitäten gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet? "Diese Frage ist schwer zu beantworten", sagte der Schweiz-Experte und führt die Besonderheiten des Schweizer Marktes als ein Grund an. Die Schweizer hätten eine eigene Kultur entwickelt: Über Kabotage sei der Binnenmarkt noch weitgehend abgeschottet, weshalb im Inland andere Regeln gelten würden als in der EU. "Es gibt hier beispielsweise deutlich längere Vertragslaufzeiten zwischen Verlader und Dienstleister. Laufzeiten von drei bis fünf Jahren sind durchaus üblich", so Stölzle. Das würde Chance und Risiko zugleich bedeuten: "Einerseits kann man in Ruhe ein Geschäft entwickeln und zum Beispiel digitale Lösungen umsetzen. Auf der anderen Seite befindet man sich in einer Komfortzone und besteht die Gefahr, dass man sich von Marktentwicklungen abkoppelt." Ein ungenutztes Potenzial sieht Stölzle in der Analyse von Transportdaten, Stichwort Big Data. Hier sieht er eine Option, wie sich Transportdienstleister von der Konkurrenz abheben können. Das könne von Echtzeitmodellen über die Position der Wechselbrücken, Auflieger oder Container gehen bis hin zur prognosebasierten Bereitstellung von Waren: Durch die Erfassung von Warenbewegungen in der Vergangenheit würden Produkte bereits ausgeliefert, bevor der Kunde eine Bestellung aufgibt. "Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, aber eine, die nicht unmöglich scheint und mit der man sich gegenüber Kunden profilieren kann", sagt der Wissenschaftler. Aber zumeist ist das noch Zukunftsmusik. "Ein Zeichen dafür, dass die Digitalisierung noch ganz am Anfang steht", so Stölzle. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Internet" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Studie Schweizer Logistikmarkt Ein ganz besonderer Markt Das Volumen des Schweizer Logistikmarktes betrug 2015 38,9 Milliarden Schweizer Franken (= 33,7 Milliarden Euro). Das geht aus der Logistikmarktstudie Schweiz 2017 hervor, die gemeinsam von GS1 Schweiz und dem Lehrstuhl für Logistikmanagement der Universität St. Gallen jedes Jahr erstellt wird.Mit 253 Milliarden Euro war der deutsche Logistikmarkt 2015 um das 7,5-Fache größer als der schweizerische Markt. Allerdings hat sich in dem Jahr das wertmäßige Volumen in der Schweiz leicht um 0,3 Prozent verringert, was vor allem mit der Abwertung des Frankens zu erklären ist.Für 2016 schätzen die Logistikexperten das Volumen auf 39,2 bis 39,5 Milliarden Schweizer Franken, was einem Zuwachs zwischen 0,9 und 1,4 Prozent entspricht. 2017 sollen dann die Umsätze zwischen 39,6 und 39,9 Milliarden Schweizer Franken erreichen (zwischen +0,8 und +1,3 Prozent). Professor Wolfgang Stölzle vom Lehrstuhl für Logistikmanagement bezeichnet den Schweizer Markt auch deshalb als besonders, weil er aufgrund der rechtlichen Regelungen deutlich stärker abgeschottet ist als andere Märkte in Europa. Die Studie kann bezogen werden bei der GS1 in Bern (www.gs1.ch) und kostet für Nichtmitglieder 159 Schweizer Franken (ohne Mehrwertsteuer, umgerechnet 137,75 Euro). cd