Dicke Luft: Lkw drohen Durchfahrverbote

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat im juristischen Streit um reine Luft in hessischen Städten einen Gang hochgeschaltet. Es hat dem Umweltministerium von Hessen am 12. Januar 2016 ein Zwangsgeld von jeweils 10.000 Euro angedroht, wenn es die Luftreinhaltepläne für Wiesbaden und Darmstadt nicht so ändert, dass der seit 2010 EU-weit geltende Grenzwert für Stickstoffdioxid so schnell wie möglich eingehalten wird. Gegen die Beschlüsse könne das Ministerium noch Rechtsmittel beim hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen, sagte eine Gerichtssprecherin in Wiesbaden. Dafür hat es bis Ende Januar Zeit. In zweiter Instanz würde dann gegebenenfalls geprüft, ob das angedrohte Zwangsgeld rechtmäßig ist. Erst wenn die Entscheidung rechtskräftig sei, hieß es, beginne die Frist, innerhalb der das Ministerium einen nachgebesserten Plan für die Einhaltung der Grenzwerte bei Stickoxiden vorlegen müsse. Der Zeitraum beläuft sich für Wiesbaden auf neun und für Darmstadt auf zwölf Monate. Das Stickstoffdioxid NO2 wird in den Städten vor allem vom Autoverkehr - besonders von Dieselfahrzeugen - verursacht. Mit dem Beschluss gab das Verwaltungsgericht Wiesbaden der Deutschen Umwelthilfe (DUH) recht, die im vergangenen November die Zwangsvollstreckungsmaßnahme wegen der Grenzwertüberschreitungen beantragt hatte. Rechtskräftige Urteile liegen laut DUH auch für Limburg und Offenbach vor, für Frankfurt hatte die Organisation Ende vergangenen Jahres Klage eingereicht. Andere Gerichte könnten nachziehen Die Richter erwarten der DUH zufolge Maßnahmen, die gewährleisten, dass die Grenzwerte spätestens in zwei bis drei Jahren vollständig eingehalten werden. Die bisherigen Planungen des Ministeriums sahen dies demnach erst weit nach dem Jahr 2020 vor. "Das Gericht leitet einen grundlegenden Wandel in der Verkehrspolitik ein", erklärte Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in den Verfahren vertrat. Er geht davon aus, dass andere Gerichte dem Beschluss folgen werden. Denn die DUH will weiter juristisch gegen Smog in deutschen Innenstädten vorgehen. Vor wenigen Wochen hatte die DUH gegen mehrere für die Luftreinhalteplanung zuständige Bundesländer geklagt. Betroffen sind die Städte Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Frankfurt am Main und Stuttgart. Darüber hinaus hatte die DUH Anträge auf Androhung eines Zwangsgeldes nicht nur in Wiesbaden und Darmstadt, sondern auch in München und Reutlingen gestellt. Auch dort liegen rechtskräftige Urteile vor, die nicht umgesetzt werden. "Die Zwangsvollstreckungsbeschlüsse für München und Reutlingen erwarten wir in Kürze", sagte Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer, der VerkehrsRundschau. Verkehrsbeschränkungen sind möglich Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) kündigte an, das Land wolle die Luftreinhaltepläne überarbeiten. Ein generelles Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge sei nicht vorstellbar, weil bisher die Rechtsgrundlage dafür fehle. Gegenüber Focus Online teilte das Umweltdezernat der Stadt Wiesbaden aber mit, dass man beim hessischen Umweltministerium bereits ein Durchfahrverbot für Lkw im gesamten Stadtgebiet beantragt habe. Der innerstädtische Lieferverkehr wäre demnach davon ausgenommen. Allerdings solle mit dem Verbot unterbunden werden, dass schwere Nutzfahrzeuge auf der Durchreise von der Autobahn abfahren, um den Weg über das Stadtgebiet abzukürzen. "Ob ein solches Fahrverbot dann auch auf Pkw ausgedehnt würde, muss das Ministerium entscheiden", erklärte das Umweltdezernat gegenüber Focus Online. Die DUH kann sich darüber hinaus die Einführung einer Citymaut in Städten mit überhöhten Stickoxidwerten vorstellen sowie eine neue Umweltplakette zur Kennzeichnung von Fahrzeugen mit im Realbetrieb niedrigen Abgaswerten. Resch betont, die Umweltzonen müssten dringend weiterentwickelt werden. Die DUH fordert in diesem Zusammenhang die Einführung einer blauen Umweltplakette zur Kennzeichnung von Fahrzeugen mit im Realbetrieb niedrigen Abgaswerten. Diskutiert wird dieses Konzept mancherorts bereits: Baden-Württembergs Umweltminister Winfried Hermann (Grüne) will in Stuttgart bis 2019 eine blaue Umweltplakette für Dieselfahrzeuge einführen, die mindestens die Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Wer diese nicht hat, darf demnach nicht in die Innenstadt fahren. Die baden-württembergische Landeshauptstadt ist beim Kampf gegen Schadstoffe in der Luft ein Vorreiter in Deutschland. Mitte des Monats ist dort der bundesweit erste Feinstaub-Alarm ausgerufen worden - inklusive Appell, auf das Autofahren zu verzichten. Die Aktion war freiwillig und laut Grünen-Politiker Hermann notwendig, weil die Konzentration von Feinstaub und Stickstoffdioxid regelmäßig zu hoch sei . Mehr zum Thema unter CO2 und Luftschadstoffe www.verkehrsrundschau.de/dossiers Deutsche Umwelthilfe gegen Landesregierungen Hintergrund des Rechtsstreits Zusammen mit der britischen Umweltorganisation ClientEarth hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im vergangenen November Klage gegen mehrere für die Luftreinhalteplanung zuständige Bundesländer eingereicht. Seit den Urteilen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (10. Oktober 2011) und des Verwaltungsgerichts München (9. Oktober 2012) besteht das Klagerecht in Deutschland nämlich nun nicht mehr nur für direkt betroffene Anwohner, sondern zusätzlich auch für Verbände.Die Klagen betreffen die Städte Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Aachen, Köln und Bonn. Hier sind Bürger laut der DUH anhaltend zu hoher Luftverschmutzung ausgesetzt. Zeitgleich hat der Umweltverband gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen in München, Darmstadt, Reutlingen und Wiesbaden beantragt. In diesen Städten hat die DUH bereits in den vergangenen Jahren rechtskräftige Urteile erstritten. Die Gerichte urteilten in allen Fällen, dass die zuständigen Behörden bestehende Luftreinhaltepläne fortschreiben und Maßnahmen verankern müssen, die so schnell wie möglich zur Einhaltung der EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub führen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden, um das es in diesem Fall geht, verpflichtete das hessische Umweltministerium 2011 beziehungsweise 2012, die für Wiesbaden und Darmstadt geltenden Luftreinhaltepläne so zu ändern, dass diese die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Stadtgebiet einhalten.Trotz der Gerichtsentscheidungen wurden in diesen Städten die Luftreinhaltepläne bislang nicht so angepasst, wie dies passieren sollte. Die Androhung von Zwangsgeldern gegenüber den zuständigen Landesministerien soll sie nun dazu bewegen. Das deutsche Gesetz sieht bei Behörden ein maximales Zwangsgeld von 10.000 Euro vor. Dieses kann wiederholt und auch pro Tag festgesetzt werden. ag

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