Der überforderte Kraftfahrer

Die Zeiten, als LKW-Fahrer die "Hilfsarbeiter mit Führerschein" waren, sind lange passé. Wer heute am Steuer eines modernen LKW sitzt, muss nicht nur mit den stets schlechter werdenden Straßen und dem immer größeren Verkehrsaufkommen klarkommen, sondern auch eine immer komplizierter werdende Technik kennen und beherrschen: Ein modernes Führerhaus mit den heutigen Armaturen, digitalem Tachografen, deutscher OBU und möglicherweise anderen "On-Board-Units" von Mautsystemen anderer Länder gleicht mit der Vielzahl von Anzeigen und Kontrolleuchten eher einem Flugzeug als einem Kraftfahrzeug, wie man es noch vor 20 und 30 Jahren kannte. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass Kraftfahrer sich auch im Hinblick auf die fortschreitende Technisierung ihres Arbeitsumfeldes weiterbilden müssen: Das Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz trägt dem durchaus Rechnung. Die angehenden Berufskraftfahrer werden von Grund auf an diese Technik herangeführt, bei den "alten Hasen" soll sichergestellt werden, dass durch die im Fünf-Jahres-Rhythmus zu durchlaufenden Schulungsmodule das Wissen "up to date" bleibt. Bis zum 10. September 2014 werden - von denjenigen abgesehen, die von den Übergangsregelungen Gebrauch machen - dann alle gleiche Grundvoraussetzungen mitbringen. Dies sollte allerdings niemanden - auch die staatlichen Kontrollorgane nicht - zur Annahme verleiten, Berufskraftfahrer seien künftig auf dem Wissensstand von Volljuristen und KFZ-Sachverständigen. Im Extremfall droht Arbeitsplatzverlust Mit anderen Worten: Die Anforderungen an die von einem Berufskraftfahrer im täglichen Geschäft anzuwendende Sorgfalt darf nicht überspannt werden. Eine solche "Überspannungs-Tendenz" ist allerdings bei Kontrollbeamten - ebenso wie bei der Justiz - zunehmend festzustellen. Bei jedem noch so kleinen, im Rahmen einer Verkehrskontrolle festgestellten technischen Mangel werden Anzeigen gegen den Fahrer (und gegen den Halter) erstattet, Bußgeldbescheide erlassen und Punkte eingetragen. Nicht zuletzt seit der Neuregelung des Punktesystems, die entgegen den Verlautbarungen aus Berliner Regierungskreisen viel schneller zum Fahrerlaubnisentzug führen wird, kann dies für Berufskraftfahrer dramatische Folgen haben: nämlich den Führerscheinverlust und damit auch den Verlust des Arbeitsplatzes. BWVL fordert Realitätssinn Bei Weitem nicht jeder nach Hunderten von Fahrkilometern aufgetretene und bei der Verkehrskontrolle entdeckte Mangel hätte schon bei der von Kraftfahrern geforderten Abfahrtskontrolle auffallen müssen. Auch da sollte Realitätssinn bewiesen werden: Es kann beispielsweise, wie schon von verschiedenen Oberlandesgerichten festgestellt, von Kraftfahrern nicht verlangt werden, dass sie täglich vor Fahrtantritt mit einer Taschenlampe durch etwaig vorhandene Felgenlöcher den Zustand der Bremsscheiben kontrollieren. Formulare für Abfahrtskontrollen, die bisweilen bis zu 100 abzuarbeitende Punkte auflisten, gehen am Machbaren und Erforderlichen vorbei. Natürlich müssen Abfahrtskontrollen sein, natürlich müssen Bremsproben durchgeführt, muss die Ladungssicherung kontrolliert werden. Aber nicht jeder Zentimeter der Lauffläche jedes Reifens einer fünfachsigen Fahrzeugkombination kann visuell abgeleuchtet, nicht jedes Kabel und Glühbirnchen jeweils überprüft werden. Entgegen der Ansicht mancher Amtsrichter ist es auch auf vollen Autobahnparkplätzen bei nächtlicher Übernahme eines Zuges im Stafetten-Verkehr nicht möglich, probeweise eine enge Kurve zu fahren und dabei im rechten Außenspiegel die Verzögerung bei den Rädern der Hinterachse des Anhängers beim Abbremsen des Zugfahrzeuges zu beobachten. Hier werden die Anforderungen überspannt, hier wird der Kraftfahrer überfordert. Und nicht zuletzt: Wenn der KFZ-Sachverständige von einer Technischen Prüforganisation im Gerichtsverfahren gegen den LKW-Fahrer bekundet, der Mangel sei im Rahmen einer Abfahrtskontrolle erkennbar gewesen, muss die Frage erlaubt sein: erkennbar für wen? Für den Diplomingenieur, der vor Gericht aussagt, oder für den Brummi-Kapitän, der typischerweise eben kein Dekra-Sachverständiger ist. Die Aus- und Weiterbildung nach dem Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz ersetzt kein Ingenieur-Studium. Das sollte, bei allem Bestreben nach Optimierung von Sicherheit auf unseren Straßen, allen staatlichen Stellen bewusst bleiben. Statt immer Anzeigen zu schreiben, würde es bisweilen auch reichen, schlicht "Gute Weiterfahrt" zu wünschen. Auf dem Teppich bleiben... Kontrollorgane sollten realistisch sein und die Sorgfaltsanforderungen auch an Berufskraftfahrer nicht überspannen. Eine komplette "TÜV-ähnliche" Fahrzeugüberprüfung vor jedem Fahrtantritt ist nicht möglich und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt.

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