Demografischer Wandel

Demografischer Wandel In der Klemme Der demografische Wandel hat die Branche schon fest im Griff – und es wird noch schlimmer kommen. Da hilft nur, aktiv gegenzusteuern. Welche Maßnahmen Transport- und Speditionsunternehmen weiterhelfen, zeigt die neue Serie der VerkehrsRundschau. Es klingt fast wie ein kometenhafter Aufstieg: 1991 begann das Geschäft des Mittelständlers Recht Logistik in Brühl mit vier Fahrzeugen und der Idee, das Outsourcing von Werkverkehren auf ganz besondere Art anzubieten – heute stehen im Fuhrpark des Unternehmens 80 Fahrzeuge – und 120 Mitarbeiter auf der Gehaltsliste. Dies soll auch so bleiben, wenn es nach Bernd Recht geht, dem geschäftsführenden Gesellschafter der Recht Logistik. Doch es drohen Schwierigkeiten. Nicht durch die Konkurrenz, sondern durch die Bevölkerungsstatistik: Der demografische Wandel macht Bernd Recht und seinem Team das Leben schwer. Vor allem Berufskraftfahrer sucht Bernd Recht wie Stecknadeln im Heuhaufen – und er rechnet damit, dass das in den nächsten Jahren nicht besser wird. Mit diesem Eindruck steht der Brühler Logistikunternehmer alles andere als allein da: „Das Gewerbe ist mittendrin in der Demografie-Zange“, sagt auch Siegfried Kiefer, Geschäftsführer der Simon Hegele Gesellschaft für Logistik und Service in Karlsruhe. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren rasant gewachsen – und die Beleg-schaft mit ihm. Doch jetzt wird es gerade bei den gewerblichen Berufen schwierig: „Da suchen wir dringend Nachwuchs.“ Und das wird noch schlimmer werden: Das Register des Kraftfahrt Bundesamtes verzeichnet 1,47 Millionen ausgestellte Fahrerkarten, über die Hälfte dieser Fahrer sind 45 Jahre und älter. Die Folge: „Wir gehen davon aus, dass pro Jahr 30.000 bis 35.000 Fahrer wegfallen werden“, sagt Markus Olligschläger, beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) in Bonn für nationalen Straßengüterverkehr zuständig. „Und mithilfe der neu gewonnenen Zahlen auf Basis der IHK-Prüfungen lässt sich ermitteln, dass da nicht mal 10.000 pro Jahr nachwachsen.“ Ein wenig besser sieht es noch bei anderen Berufsfeldern in der Transport- und Logistikwirtschaft aus. Doch auch dort bröckelt die Alterspyramide immer schneller. Unternehmer Bernd Recht hat längst reagiert: Mitten in der Krise, als die meisten an vieles dachten, nur nicht daran, ob ihnen die Mitarbeiter ausgehen könnten, kam bei ihm ein Demografie-Lotse ins Haus, der sein Unternehmen gründlich unter die Lupe nahm. Hintergrund: Die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, die bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angesiedelt ist, hat mittlerweile hunderte Beraterinnen und Berater fortgebildet, um vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen für die demografische Entwicklung in ihrer Region zu sensibilisieren und Maßnahmen zu initiieren – solche Besuche durch Demografie-Lotsen werden unter Umständen auch gefördert. Dabei unterziehen die Berater die Personaldaten der Unternehmen einer Altersstrukturanalyse und bringen die Ergebnisse mit regionalen demografischen Daten und der allgemeinen Arbeitsmarktentwicklung in Verbindung. Daraus ergeben sich Hinweise auf Defizite, die ein Unternehmen auf Dauer in große Schwierigkeiten bringen könnten (siehe unten stehendes Interview). „Defizite – gleichen wir selbst aus“ Bei Bernd Recht und seinem Team nahm sich Karl W. Hemmrich, Mitarbeiter des Beratungsunternehmens BR Consulting in Röhrmoos, vor allem das Fahrpersonal vor – und fand eine vergleichsweise gute Situation vor. „Es war gut, dass Bernd Recht bereits vorgearbeitet hat, ohne das Thema demografischer Wandel explizit vor Augen zu haben.“ Allerdings wollte sich der Unternehmer nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen – und begann, Berufskraftfahrer selbst auszubilden. „Wir haben jetzt zehn Kraftfahrer in Ausbildung“, erzählt er, „wollen aber noch mehr machen in Sachen Ausbildung.“ Leichter gesagt, als getan: „Ein einfacher Tag der offenen Tür oder ein Praktikumsplatz reichen oft nicht mehr aus“, weiß DSLV-Aus- und Weiterbildungsexpertin Elke Schneider. „Viele Unternehmen erkennen, dass sie den Eventgedanken verfolgen und erfindungsreicher sein müssen.“ Auch Recht hat entsprechend reagiert – und lässt sich mittlerweile gerne darauf ein, auch Bewerber einzustellen, die früher mit ihrem Zeugnis gescheitert wären. „Wenn weniger Hochqualifizierte da sind, nehmen Sie eben die Qualifizierten“, sagt er. „Schulabschluss und solche Dinge sind für mich nicht entscheidend, sondern der Mensch dahinter.“ Dabei legt er großen Wert auf die Kommunikationsfähigkeit seiner Mitarbeiter. „Wir schulen die gewerblichen Mitarbeiter in Kommunikation und gleichen unsererseits auf diesem Wege Defizite aus, die vor dem Ausbildungsbeginn vorhanden gewesen sein mögen.“ Ähnlich geht auch Siegfried Kiefer von Simon Hegele vor. „Man muss sich einfach im Klaren darüber sein, dass man diesen Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen muss“, sagt er. „Auch eine höhere Abbrecherquote muss man einfach akzeptieren.“ Frauen – nach wie vor Mangelware Weiterhin mehr als unterrepräsentiert unter den Berufskraftfahrern bleiben die Frauen. Im Jahr 2010 verzeichnet die Statistik für Deutschland lediglich 192 Berufskraftfahrerinnen in Ausbildung gegenüber 5277 Männern. Wer sie für die Transportwirtschaft begeistern kann, hat einen großen Pool für seinen Nachwuchs erschlossen. Doch noch immer beißen sich viele Unternehmer daran die Zähne aus: „Wir haben jetzt eine Auszubildende“, erläutert Bernd Recht. „Das ist die erste, weil bisher einfach keine Kandidatin wollte. Ich habe schon welche einstellen wollen, aber so weit kam es immer nicht.“ Etwas anders sieht Siegfried Kiefer die Lage: Generell sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Frauenanteil steigen wird. „Im Nahverkehr geht es ja auch, da liegt die Quote schon bei einem Drittel.“ Doch gleichzeitig gebe es objektive Hemmnisse, etwa bei nachgelagertem Handling von schweren Lasten und dem Einsatz von 2-Mann/Frau)-Besatzungen – weshalb Berufskraftfahrerinnen bei Hegele noch nicht angeheuert haben. Gesundheitsangebote für LKW-Fahrer Mindestens ebenso große Anstrengungen wie bei der Nachwuchswerbung und -ausbildung werden die Firmen der Branche nach Einschätzung aller Experten künftig unternehmen müssen, um altgediente Mitarbeiter so lang wie möglich im Unternehmen zu halten. Denn zunächst bedeutet der demografische Wandel ja, sich auf die Arbeit mit zunehmend alternder Belegschaft einzustellen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes steigt die Anzahl der 55- bis 67-Jährigen unter den Erwerbsfähigen von 23 Prozent im Jahr 2010 auf 33 Prozent im Jahr 2025 – eine Mitarbeiterschaft, die gehalten und gepflegt werden will. „Es gibt vielfältige Möglichkeiten“, erläutert Markus Olligschläger vom DSLV, von Gesundheitsangeboten für die Fahrer bis zu Zuschussprogrammen für Kindergärten. „Wenn man sagt, wir kümmern uns um die Altersvorsorge, die Steuererklärung, das Umfeld, dann kann man dem Mehr, das ein Fahrer womöglich in der Industrie bekommt, etwas entgegensetzen.“ So denkt Kiefer von Simon Hegele aktuell darüber nach, den Mitarbeitern Zusatzversicherungen anzubieten und innerhalb des mittlerweile auf 2000 Mitarbeiter angewachsenen Unternehmens hausintern vorbeugende Angebote gegen Burn-out und Rückenleiden aufzulegen. Rüdiger Elflein, Geschäftsführer der Elflein Spedition & Transport in Bamberg, setzt dagegen ganz stark auf die Weiterbildung seiner 150 Fahrer. „Wir haben mittlerweile drei Fahrertrainer im Unternehmen, um die Fahrer entsprechend ihren Schwächen zu trainieren.“ Damit ist Elflein auf dem besten Weg, dem eisernen Griff der demographischen Zange noch einmal zu entkommen. Denn laut einer aktuellen Studie mehrerer deutscher Forschungsinstitute erhöht eine niedrige Qualifikation die Wahrscheinlichkeit krankheitsbedingter Frührente. Umkehrschluss: Wer qualifiziert, behält seine Mitarbeiter länger. Demografie-Lotse half weiter Weitere Löcher, die von der Bevölkerungsentwicklung in die Personaldecke der Unternehmen gerissen werden könnten, kann ein genauer Blick auf einzelne Unternehmensbereiche durch die Demografen-Brille zutage fördern. Wie sieht es beispielsweise mit dem hauseigenen IT-Experten aus, der in vielen Jahren ein maßgeschneidertes IT-System etabliert hat, aber sein Wissen darum bald mit in den wohlverdienten Ruhestand nehmen wird? „Die Problemstellung Demografie wird uns die nächsten 50 bis 100 Jahre begleiten“, glaubt Demografie-Lotse Karl W. Hemmrich. „Da darf ein Unternehmer nicht einfach sagen: Das wird schon irgendwie gut gehen.“ Das hat sich auch Bernd Recht zu Herzen genommen: „Manche Dinge hat man schon auf dem Papier“, bestätigt Bernd Recht. Nach dem Besuch des Demografie-Lotsen sei aber „der Blick klarer und strukturierter geworden“. ❙❚■ Florian Beck, freier Journalist Keine Utopie, sondern fallweise heute schon Realität: auf fünf Stellen kommt ein Bewerber Gerade in den gewerblichen Berufen fehlen immer stärker qualifizierte Nachwuchskräfte Demografischer Wandel – was nun? Wege aus dem Fachkräftemangel zeigt die neue VR-Serie VR 41: Folgen des demografischen Wandels VR 43: Gesundheitsmanagement für LKW-Fahrer VR 44: Frauen – sind sie der Ausweg aus der Fahrerkrise? VR 45: Hauptschüler – besser als viele Firmen glauben VR 46: Das Miteinander verschiedener Kulturen nutzen Demografischer Wandel „Viele Betriebe haben da eine tickende Zeitbombe im Haus“ Die wenigsten Transport- und Speditionsbetriebe sind gut auf die Herausforderungen des demografischen Wandels vorbereitet. Was sie nun tun sollten, sagt Bernhard Rieger, Inhaber von BR Consulting. Muss sich ein Unternehmer jetzt auch noch um den demografischen Wandel kümmern? Ist das nicht Aufgabe der Politik? Bernhard Rieger: Genauso denken nach meiner Erfahrung viele Unternehmer der Branche. Und klar, wenn das Geschäft brummt wie jetzt, hat man ja auch vermeintlich Besseres zu tun, als die Alterspyramide Deutschlands anzustarren. Aber viele Unternehmen haben da eine tickende Zeitbombe im Haus, weil verdiente Mitarbeiter bald ausscheiden – und der Arbeitsmarkt die auf ihren Stellen benötigte Qualifikation gar nicht hergibt. Und was sollen die Unternehmer dann tun? Eine demografische Analyse kann solche Probleme frühzeitig zutage fördern. Man sieht sich die Personaldaten der Mitarbeiter an und verknüpft die mit statistischen Daten aus der Region und den Arbeitsmarktdaten – und kann auf diesem Weg Probleme aufdecken. Denn mit den statistischen Daten bekommt man einfach einen neuen Blickwinkel auf das eigene Unternehmen hinzu. Wie funktioniert so etwas in der Praxis? Einer unserer Kunden hat zwei Mitarbeiter in einer kombinierten Schadens- und Lademittelabteilung beschäftigt. Beides absolute Spezialisten, die dem Geschäftsführer seit vielen Jahren keinen Grund zur Klage geben – und deshalb zunächst mal auch keinen Grund, sich zu kümmern. Doch die beiden sind über 50 Jahre alt – und wir haben den Kunden nach unserer demografischen Analyse darauf aufmerksam gemacht, dass er in ein paar Jahren ein Problem bekommen wird, wenn er nicht jetzt reagiert, Nachwuchs heranzieht und den in dem – zugegeben nicht unbedingt populären –Spezialgebiet einarbeitet. Haben die Unternehmen den Handlungs-bedarf schon erkannt? Aus meiner Sicht nicht im ausreichenden Maße. Es ist schwierig, Auftraggeber zu finden, weil es nicht opportun scheint, sich mit dem demografischen Wandel auseinanderzusetzen. fb Interview Bernhard Rieger Demografischer Wandel Checkliste Stellen Sie Ihre Firma auf den Prüfstand Schon ein paar Fragen können helfen, zu er-mitteln, wie ein Unternehmen auf den demografischen Wandel vorbereitet ist. Zusammengestellt hat den Fragenkatalog die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, die bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angesiedelt ist. „Der Fragenkatalog deckt die Bereiche Gesundheit und Arbeitsschutz, Führung und Unternehmenskultur, Qualifizierung und Kompetenzentwicklung, Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung sowie Personalführung und Rekrutierung ab. Eine Auswahl: Wir haben keine Probleme, Nachwuchs-kräfte zur Ausbildung sowie erfahrene Fachkräfte für unser Unternehmen zu gewinnen. Wir bieten den Mitarbeiter/innen aller Al-tersgruppen eine berufliche Perspektive in unserem Unternehmen. Wir beziehen unsere Beschäftigten in die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes und der Arbeitsabläufe mit ein. Wir bieten allen Mitarbeiter/innen – auch den älteren – an, ihre Kompetenzen zu erweitern. Wir stellen sicher, dass beim Ausscheiden von Mitarbeiter/innen deren Kompe-tenzen dem Unternehmen erhalten blei-ben. Wir sensibilisieren unsere Vorgesetzten regelmäßig für die spezifischen Belange älterer Beschäftigter. In unserem Betrieb treten keine gehäuf-ten gesundheitlichen Probleme auf. Wenn die Punkte für ein Unternehmen zutreffen, ist es auf den demografischen Wandel gut vorbereitet. Wenn nicht, besteht dringend Handlungsbedarf. fb Quelle: Inqa.de – Initiative Neue Qualität der Arbeit Demografischer Wandel: Wie gut sind Sie dafür gerüstet?

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