Dem Autopiloten sind die Hände gebunden

Die Mobilitätsrevolution nimmt immer mehr Fahrt auf. Fast jeden Monat sorgen Industrie und Politik für neue Schlagzeilen zum automatisierten Fahren: Anfang April gab es die europäische Platooning-Sternfahrt der Lkw-Hersteller nach Rotterdam. Kurz darauf folgte ein Treffen der 28 EU-Verkehrsminister in Amsterdam, verbunden mit einer gemeinsamen Vereinbarung zur Standardisierung und Harmonisierung von Haftungs-, IT-Sicherheits- und Datenschutzvorschriften in Bezug auf die neuen Technologien. Und nun liegt eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger vor, die den Hype weiter anheizt. "Automatisierte Lkw lösen gleich mehrere Probleme des Güterverkehrs auf einen Schlag: Lenkzeiten, Sicherheit und Betriebskosten", heißt es darin. Erstmals kursieren Angaben, wie teuer deren Anschaffung sein könnte und was Transporteure dadurch einsparen würden. Nach Schätzung der Autoren könnte die für das automatisierte Fahren erforderliche Hard- und Software pro Truck bis zu 23.400 US-Dollar (umgerechnet rund 20.610 Euro) an Mehrkosten verursachen. Sie berücksichtigen dabei die fünf Stufen vom assistierten bis zum fahrerlosen, sprich autonomen Fahren (siehe Grafik auf Seite 20). Auf dem Weg dorthin variieren die Zusatzkosten in Abhängigkeit vom Automatisierungsgrad. "Heute sind wir bei Level zwei - teilautomatisiertes Fahren", sagt Stephan Keese, Senior Partner Automotive bei Roland Berger und einer der Autoren der Studie. Spannend werde es ab Stufe drei: Dann sitze der Fahrer nur noch zur Überwachung im Lkw, was den Stress am Steuer reduziere und zur Verkehrssicherheit beitrage, versichert er. "Bis 2020" hält der Experte diese Stufe für erreichbar, "technologisch schon vorher, in Serie jedoch erst dann". Ab "vollautomatisch" wird es lukrativ Vor allem diesen Sicherheitsaspekt haben die Berater als einen Treiber der Entwicklung für automatisiertes Fahren bis einschließlich der Stufe drei ausgemacht. Bis dahin hält sich der Nutzen für die Fuhrunternehmer nämlich in Grenzen verglichen mit den Kosten der neuen Systeme. Laut der Prognose von Roland Berger dauert es für den Langstreckenverkehr 37 Monate, bis sich die Anschaffung von automatisierten Lkw der Stufe zwei rentiert hat. Im Regionalverkehr unter 300 bis 400 Kilometer sind die Anschaffungskosten laut der Studie höher als die Einsparungen durch einen geringeren Spritverbrauch. Bei Stufe drei werden 66 Monate im Fernverkehr veranschlagt, bis sich die Ausgaben rentieren. In dieser Stufe sind die Investitionen mit 5460 Euro besonders hoch. Demgegenüber stehen aber noch keine Einsparungen beim Personal und das Potenzial, Sprit zu sparen, wurde schon in den ersten Stufen annähernd ausgereizt. Deshalb geht Keese davon aus, dass bis 2020 vor allem der Gesetzgeber mittels neuer Regelungen und Vorschriften den Einsatz der Hard- und Software für automatisiertes Fahren vorantreiben wird. "Richtig interessant für die Nutzer wird es dann mit Stufe vier und fünf", sagt er. In Stufe vier ist der Fahrer derart von seinen Aufgaben entbunden, dass die Lenkzeiten verlängert werden können oder er andere, administrative Dinge erledigen kann. Und in Stufe fünf fällt der Fahrer dann komplett weg. "In diesem Level können auf den langen Strecken 90 Prozent der Fahrerkosten eingespart werden", sagt der Berater. Weil das automatisierte Fahren die Zahl der Lkw-Unfälle bis 2040 um 90 Prozent senken könnte, ergäben sich weitere Einsparungen durch geringere Versicherungskosten, heißt es in der Studie. Im Langstreckenverkehr hat das Team von Roland Berger durch die geringeren Sprit-, Personal- und Versicherungskosten eine Gesamtersparnis von 1,67 US-Dollar pro Meile errechnet. Das wären umgerechnet 0,93 Euro pro Kilometer. Die Studie orientiert sich am US-Markt Da die Studie für den US-Markt gemacht worden ist, lassen sich die Prognosen nicht eins zu eins auf Deutschland und Mitteleuropa übertragen. Denn nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, sondern auch die Kostenstruktur in der Gütertransportbranche ist in den USA ganz anders. Aber: Auch in Deutschland ließe sich durch automatisiertes Fahren so viel Geld sparen, dass es sich lohnen werde, ist Keese überzeugt. Allerdings lediglich dort, wo der Fahrer primär zum Fahren gebraucht werde und nicht für Entladetätigkeiten oder sonstige Aufgaben. Dazu Keese: "In Europa könnte sich der fahrerlose Lkw ab 400 oder 500 Kilometer lohnen." Neue Technik braucht noch zehn Jahre Noch sind die Einsatzgebiete für das automatisierte Fahren hierzulande allerdings sehr begrenzt. Jeder Autobauer tüftelt vor sich hin. Vorreiter Daimler dürfte bisher auf öffentlichen Straßen lediglich mit Ausnahmegenehmigung fahren. Und Scania will anscheinend damit beginnen, selbstfahrende Systeme in abgeschlossenen Arealen zu testen. Etwa in Hafengebieten oder im Bergbau, wo keine Kinder spielen, es keine Zebrastreifen gibt und kaum andere Verkehrsteilnehmer stören könnten. Zunächst sollen die Systeme nämlich beweisen, wie zuverlässig sie arbeiten. In zehn Jahren könnte die Technik so weit ausgereift sein, dass es möglich ist, autonom fahrende Lkw in Serie zu produzieren. Bis sie regelmäßig auf Fern- und Bundesstraßen verkehren, dürfte es mindestens bis 2030 dauern. Darüber sind sich sowohl die Automobilindustrie als auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) einig. Zunächst sind hochautomatisierte Fahrfunktionen in einem wenig komplexen Verkehrsumfeld auf der Autobahn - etwa Stausituationen - zu erwarten. Deutschland will als erstes Land den Regelbetrieb für Fahrzeuge mit Autopilot einleiten. Das stellte Dobrindt bei einer Kabinettsklausur in Meseberg Ende Mai klar. Das größte Hindernis auf dem Weg dorthin ist die Haftungsfrage. Um den technischen Fortschritt nicht auszubremsen, ist es erforderlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen und die Vorschriften international abzustimmen. Wiener Übereinkommen ist Knackpunkt Grundvoraussetzung für die nächsten Stufen des automatisierten Fahrens ist die Anpassung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr. Es ist das weltweit maßgebliche Regelwerk, an das sich 72 Länder halten, und geht bisher ausschließlich von einem aktiv das Fahrzeug steuernden Fahrer aus. Erst 2014 ergänzte ein Expertenausschuss der UN die Konvention. Demnach dürfen Computer in Fahrzeugen selbstständig neue Aufgaben übernehmen. Die Systeme müssen dafür so gestaltet sein, dass Fahrer sie jederzeit übersteuern oder abschalten können. Dies betrifft zum Beispiel Brems- und Spurhalteassistenten oder Systeme, bei denen der Fahrer für einige Zeit die Hand vom Lenkrad nehmen kann. Vor zwei Monaten beschloss das Bundeskabinett daraufhin eine entsprechende Erweiterung der rechtlichen Grundlagen für das automatisierte Fahren. Als nächsten Schritt legte Dobrindt jetzt in Meseberg in einem Strategiepapier mehrere Vorschläge für weitergehende Änderungen im deutschen Straßenverkehrsrecht vor. Im Straßenverkehrsgesetz soll erstmals festgeschrieben werden, dass automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug dem Fahrer gleichgestellt werden und somit grundsätzlich zugelassen sind. Um dies zu erreichen, macht er sich auf internationaler Ebene für eine weitere Öffnung des Wiener Übereinkommens für den Einsatz aller automatisierten Fahrsysteme stark. Die analogen Anpassungen auf internationaler Ebene sind bereits in Arbeit und könnten bereits 2017 verabschiedet werden. Gemäß dem Strategiepapier soll zudem die Straßenverkehrsordnung geändert werden, sodass "die ordnungsgemäße Nutzung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge keine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers darstellt" und damit keine zusätzlichen Haftungsrisiken für ihn entstehen. Zwar sind sich Juristen einig, dass zivilrechtlich auch bei einem selbstständig fahrenden Auto weiter die Versicherung des Fahrzeughalters für Schäden aufkommen muss (siehe Kasten rechts). Dobrindt will aber klarstellen, dass ein Insasse nicht fahrlässig handelt, wenn er den Autopiloten wie vorgeschrieben nutzt und daher bei einem möglichen Unfall nicht rechtzeitig einschreiten konnte. Dobrindt will Ethik-Kommission schaffen Darüber hinaus plant der Verkehrsminister eine Kommission, die "ethische Fragen beim Paradigmenwechsel vom Autofahrer zum Autopilot" klärt. Sie soll Leitlinien für Algorithmen entwickeln, nach denen Autos in Risikosituationen reagieren. Hierfür soll etwa gelten: "Ein Sachschaden ist einem Personenschaden immer vorzuziehen." Im Laufe dieses Jahres will die Europäische Kommission passend dazu einen Masterplan für vernetzte und selbstfahrende Autos vorstellen. Die Brüsseler Behörde will sich ebenfalls vor allem mit den juristischen Problemen auseinandersetzen - vor allem mit der Frage der Letztverantwortung bei Unfällen durch Einwirkung der neuen Technologien. Sind diese gelöst, steht bloß noch die Hürde im Kopf dem Autopiloten im Weg. Mehr zum Thema unter Autonomes Fahren www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Versicherungsfrage Der Halter haftet auch künftig für Unfälle, spart aber Beiträge Rund 90 Prozent aller Verkehrsunfälle passieren aktuell, weil der Fahrer etwas falsch gemacht hat. Um Fahrfehler zu vermeiden, bewegen oft schon heute Abstandspiloten, Notbrems- oder Einparkassistenten ein Fahrzeug. In Zukunft wird der Automatisierungsgrad zunehmen. Doch auch der Autopilot kann versagen. Deshalb stellt sich die Frage, wer künftig für solche Schäden aufkommt.Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht davon aus, dass sich durch das hochautomatisierte Fahren nicht viel ändern wird. Für den Versicherungsschutz sei es egal, wer oder was den Fehler macht. "Die Kfz-Haftpflichtversicherung deckt die Gefahren, die vom Betrieb eines Autos ausgehen - und nicht nur die Gefahr von Fahrfehlern", erklärt Tibor Pataki, Leiter der Abteilung Kraftfahrtversicherung im GDV. Unabhängig von der Unfallursache hafte künftig für alle Schäden, die beim Betrieb eines Autos verursacht werden, der Halter. "Damit im Ernstfall auch wirklich alle Kosten beglichen werden können, verpflichtet der Gesetzgeber jeden Fahrzeughalter, eine Kfz-Haftpflichtversicherung abzuschließen", sagt Pataki. Einem Verkehrsopfer sei es nicht zuzumuten, dem Autohersteller einen eventuellen Produktfehler nachweisen zu müssen, bevor es eine Entschädigung erhält. Die Automobilindustrie solle dies allerdings nicht als Freibrief missverstehen. "Die Versicherer werden für etwaige Regressansprüche praktikable Lösungen mit den Herstellern finden", betont Pataki vom GDV. Auf der Strecke bleiben dürfte bei der Umstellung neben der Fahrerhaftung das bisherige System der Schadenfreiheitsrabatte, weil die neuen Technologien den Verkehr weitestgehend unfallfrei machen könnten. Allerdings verlangen die Versicherer von Anwendern hochautomatischer Systeme niedrigere Beiträge für Kfz-Policen, weil sie weniger Geld für Schadenregulierung und -ersatz aufwenden müssen. ag

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