"Dashcam-Rabatte sind nicht geplant"

Wie zufrieden sind Sie mit dem ersten Geschäftsjahr in neuer Position als Vorstandsvorsitzender der Kravag-Gesellschaften? Mit Beitragseinnahmen von 197,8 Milliarden Euro ist der gesamte Versicherungsmarkt im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent gewachsen. Auch die Kravag-Logistic verzeichnet mit einem Plus von über vier Prozent ein Wachstum. Damit bin ich sehr zufrieden. Im Logistiksegment haben wir neue Kunden gewonnen und konnten so unseren Marktanteil weiter ausbauen. Wie haben sich die Aufwendungen für Schäden im Vergleich dazu entwickelt? Die Schaden-Kosten-Quote lag unter 100 Prozent. Damit liegen wir im schwierigen Transport- und Logistikgeschäft auf Marktniveau. Die durchschnittliche Schadenshöhe im Fuhrparkbereich war etwas höher als im Vorjahr. Hinzu kamen mehr Elementarschäden, vor allem wegen bundesweiter Hagelstürme, und einige Großschäden. Beispiel der tragische Busunfall auf der A 9 in Bayern im vergangenen Juli. Der Gesamtaufwand bewegte sich im erwarteten Rahmen. In diesem Geschäftsjahr rechnen wir damit, dass die Schäden durch Unwetter weiter zunehmen und der Schadensaufwand steigt. Nach den Orkantiefs Friederike und Burglind hatten wir im Februar schon die Hälfte der Schäden in den Büchern, die wir für das gesamte Jahr 2018 eingeplant hatten. Neben allgemeinen Kostensteigerungen bei der Schadensregulierung kalkulieren die Versicherer inzwischen auch mehr Elementarschäden ein. Werden Unwetter auch für Kfz- und Transportversicherer zunehmend zur unberechenbaren Größe? Ja, die Klimaerwärmung macht uns zu schaffen. Immer häufiger überflutet Starkregen ganze Städte und richtet Zerstörungen an. Kein Ort ist mehr vor Extremwetter sicher. Wir erwarten, dass diese Schäden um etwa 25 Prozent steigen. Kravag-Kunden sind auch bei Unwettern auf der sicheren Seite. In der Kravag-Logistic-Police sind solche Schäden im Fuhrpark automatisch versichert - und mit dem entsprechenden Baustein auch im Gebäudebereich. Auf der einen Seite höhere Einnahmen, auf der anderen Seite steigende Kosten: Wohin entwickeln sich die Prämien also 2018? Damit wir unser ausgeglichenes Ergebnis halten können, kalkulieren wir die Beiträge bei der Kravag-Logistic mit einem Plus von etwa drei Prozent. Ein Grund für die notwendige Anpassung sind die stetig steigenden Reparaturkosten bei Fahrzeugschäden. Hier macht sich die zunehmende technische Komplexität moderner Fahrzeuge deutlich bemerkbar. Inwieweit die Erhöhung auch Bestandskunden betrifft, hängt vom individuellen Schadensverlauf ab. Aus vielen Gesprächen mit den Unternehmern wissen wir aber, dass sie den Anteil der Versicherung an den Betriebskosten durch ein gutes Schadensmanagement von 4 auf 2,5 Prozent senken können. Bei den Renditen im Transport- und Logistikgewerbe macht sich das deutlich bemerkbar. Inwiefern kann das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen nach einem Verkehrsunfall dazu beitragen, dass es für Lkw-Flottenbetreiber günstiger wird? Ich begrüße das BGH-Urteil. Damit dürfen Aufzeichnungen von Dashcams in bestimmten Fällen gerichtlich verwertet werden. Das führt zu einer schnelleren und gerechteren Abwicklung von Unfällen, sofern das Interesse an der Aufklärung datenschutzrechtliche Interessen überwiegt. Zur besseren Beweisführung sind Dashcams eine tolle Sache. Ob Halter von Lkw davon profitieren, weil diese möglicherweise oft zu Unrecht eines Unfalls beschuldigt werden, bleibt abzuwarten. Schadensfreiheitsrabatte für Kravag-Kunden, die Dashcams nutzen, sind also vorerst nicht geplant? Sie sind nicht geplant. Denn die Anzahl der Unfälle wird sich kurzfristig durch den Einsatz von Dashcams nicht verringern. Die Leistungspflicht verschiebt sich nur von einem Risikoträger auf einen anderen. Noch ist vollkommen unklar, ob wir mithilfe der Minikamera-Aufnahmen in der Kfz-Haftpflichtversicherung überproportional viele unberechtigte Ansprüche an Kravag-Kunden abwehren können. Langfristig ist es jedoch vorstellbar, dass etwa gestellte oder provozierte Unfälle rückläufig sein werden, wenn Kriminelle befürchten müssen, dass ihre Machenschaften aufgezeichnet werden. Wir sind dankbar, wenn unsere Kunden Dashcams nutzen und dabei die datenschutzrechtlichen Auflagen erfüllen. Neben neuen Urteilen mussten Sie sich im vergangenen Jahr auch auf die oder andere gesetzliche Änderung einstellen. Wie weit ist Kravag etwa bei der Versicherung des automatisierten und autonomen Fahrens? Bis Fahrzeuge wirklich selbstständig fahren, wird es sicherlich noch ein paar Jahre dauern. Da aber schon heute immer mehr Fahrerassistenzsysteme an Bord kommen, setzen wir uns damit intensiv auseinander. Ein angemessener Versicherungsschutz für die Nutzer der neuen Fahrzeugtechnik ist schon heute gewährleistet. Aus unserer Sicht besteht keine Veranlassung, das geltende System von Halter-, Fahrer- und Herstellerhaftung für den Betrieb hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge zu verändern. Egal, wer den Unfall verursacht hat - der Mensch oder der Computer -, die Kfz-Haftpflichtversicherung zahlt. Der Gesetzgeber hat kürzlich die maximalen Haftungssummen erhöht, die bei Unfällen durch automatisierte Fahrzeuge ausgezahlt werden sollen. Sie liegen jetzt bei zehn Millionen Euro bei Personenschäden, die ohne Verschulden des Haftpflichtigen eingetreten sind, vorher waren es fünf Millionen Euro. Das kritisiere ich, weil es nicht interessengerecht ist. Wenn ein Mensch einen Personenschaden verursacht, gibt es dieses gesetzliche Limit nicht. Wir plädieren deshalb dafür, dass die Haftungshöchstsummen im Straßenverkehrsgesetz einheitlich auf 100 Millionen Euro angehoben werden. Ein anderes Megathema im Versicherungsmarkt ist momentan Cyberschutz. Viele Betriebe scheuen hier aber noch die Versicherungskosten. Wie beurteilen Sie die Lage? Beim Start in Deutschland vor rund zwei Jahren wurde die Cyber-Schutz-Versicherung im Markt als die neue Haftpflichtversicherung bejubelt. Inzwischen ist diese Euphorie etwas zurückgegangen. Wir stellen leider fest, dass das Risikobewusstsein im Markt hier noch viel zu gering ist. Mit unserer Police, die sich branchenübergreifend an kleinere und mittlere Unternehmen richtet, sind wir gut gestartet. Wir bieten einen umfassenden Schutz gegen Attacken und Störungen der eigenen IT an, der auch grob fahrlässiges Verhalten von Mitarbeitern einschließt. Das Angebot richtet sich vor allem auf die Deckung der Betriebsausfallkosten und die Datenwiederherstellung. Auch wenn die wenigsten Unternehmen gern darüber reden oder Angriffe von Kriminellen mitunter gar nicht melden: Das Risiko, gehackt zu werden oder anderweitig Opfer einer IT-Störung zu werden, hat gerade in jüngster Zeit rapide zugenommen. Hier sind wir gefordert: Wir müssen die gewerblichen Kunden weiter sensibilisieren und das Bewusstsein schaffen, dass die Cyber-Schutz-Versicherung gerade für den Mittelstand ein absolutes Muss ist. Eine andere Ausprägung der Kriminalität, die Sie beschäftigt, ist Ladungsdiebstahl. Was halten Sie von der neuen, staatlichen Förderung für sicheres Lkw-Parken? Ich halte das neue Zuschussprogramm des Bundesamtes für Güterverkehr für sinnvoll, weil es ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit der Fahrer und Zeichen gegen Kriminalität ist. Viele Unternehmer waren nach unserer Erfahrung bisher nicht bereit, Gebühren von 15 oder 20 Euro pro Nacht für Lkw-Parkplätze mit Kameraüberwachung, Eingrenzung und Zufahrtsbeschränkung auszugeben. Nur bei hochwertigen Gütern wurden diese Optionen mitunter genutzt, wenn der Auftraggeber dies ausdrücklich wünschte und bereit war, dafür zu zahlen. Da ist noch viel zu tun. In Zeiten von Fahrermangel muss auch der Arbeitsplatz im Lkw attraktiver werden. Insofern ist dies eine wichtige und richtige Unterstützung durch die Politik. Auch wir wollen unsere Kunden hier unterstützen. Wie soll diese Unterstützung aussehen? Der Parkplatzmangel ist für unsere Kunden ein großes Problem. Wir wollen deshalb eine europäische Parkplatz-App um sichere Lkw-Parkplätze ergänzen, die sich Kravag-Kunden gegenseitig zur Verfügung stellen. Über die App bekommen die Unternehmen einen Überblick, auf welchem Betriebshof an der Route noch ein Platz für ihr Fahrzeug frei ist, den sie dann reservieren können. Wir sind derzeit in der Probephase. Sind weitere neue Produkte geplant? Und Ziel ist es seit jeher, unseren Versicherungsschutz weiterzuentwickeln und an neue Risiken anzupassen. Aktuell zum Beispiel für die Elektromobilität. Bei E-Lkw geht es unter anderem um die Entsorgung von Batterien und Schäden an Ladestationen. Für KEP-Dienste, die Lastenräder einsetzen, wollen wir als Ergänzung zur Kravag-Logistic-Police bald neue Bausteine anbieten, weil viele Unternehmen derzeit nicht ausreichend vor solchen Schäden geschützt sind. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Versicherung" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Edgar Martin ist seit 1. Januar 2017 Vorstandvorsitzender der drei Kravag-Gesellschaften. Kravag-Logistic, Kravag-Allgemeine und Kravag-Sach gehören zur R+V-Gruppe und sind für das Lkw- und Transportversicherungsgeschäft zuständig. Darüber hinaus bieten sie Kfz-Versicherungen für Privatkunden an.Der promovierte Betriebswirt kam 1989 zur R+V-Versicherung, wo er in unterschiedlichen Funktionen vor allem im Controlling tätig war. Von 1999 bis 2005 zeichnete er als Direktor für den Bereich Konzern-Controlling im Ressort des Vorstandsvorsitzenden verantwortlich. Anschließend übernahm er den Bereich Kfz-Betrieb in der R+V Allgemeine. Zu seinen Aufgaben als Vorstandsmitglied der Kravag-Gesellschaften gehören die strategische Ausrichtung des Geschäfts, die Tarifentwicklung und die Steuerung. Martin ist verheiratet und hat eine Tochter. ag

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