Das Jahr der Unsicherheit

Der Jahresauftakt für die Börsianer war alles andere als verheißungsvoll. Der Absturz der Kurse an den chinesischen Finanzmärkten zog Kreise. So hatte der Dax in den ersten Januar-Tagen mehr als vier Prozent verloren und war unter die 10.000-Punkte-Marke gerutscht. Prompt wurden Stimmen laut wie die des Investors George Soros, der sich an die Finanzkrise 2008 erinnert fühlte. Doch sind Äußerungen wie diese eher die Ausnahme - noch zumindest. Zwar haben die Kursverluste durchaus für Aufsehen gesorgt. Andererseits ist es keine drei Monate her, da befand sich der Dax schon mal unter 10.000 Punkten. Also doch kein Grund, nervös zu werden? Wirtschaftswachstum bis zu 2,2 Prozent Eine Entwarnung scheint nicht angemessen. Denn noch mehr als die Finanzmärkte hat die Wirtschaft Chinas Einfluss auf die Konjunktur weltweit. Und hier gibt es keine Zweifel: Die Wachstumsraten in China schmelzen. Kleiner Trost: Immerhin, Chinas Wirtschaft wächst. All diese Gefahren sind nicht neu und in die Prognosen der renommierten Wirtschaftsinstitute zum Jahresende 2015 eingeflossen. Die Vorhersagen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland im Jahr 2016 reichen von 1,5 Prozent (Institut der deutschen Wirtschaft in Köln) bis 2,2 Prozent (Institut für Weltwirtschaft in Kiel). Damit würde Deutschland einen soliden Wachstumskurs einschlagen, von dem auch die Transport- und Logistikwirtschaft profitieren könnte. Doch kommen aus der Branche skeptische Stimmen. Adolf Zobel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), zählt einige Risiken auf: "Keiner weiß doch, wie sich die Wirtschaft in Griechenland entwickeln wird, ob die Eurokrise 2016 wieder aufkeimt, wie die Flüchtlingskrise bewältigt werden kann, ob europaweit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden, die auch den Handel beeinträchtigen und ob einige Länder den Austritt aus der EU beschließen oder vorbereiten." Auch Logistikexperte Professor Christian Kille von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt hält für die Transport- und Logistikwirtschaft ein "Jahr am Scheideweg" für möglich. Denn derzeit, so der Wissenschaftler, wisse keiner, wie das Pendel tatsächlich ausschlage: ob zugunsten der Logistikdienstleister - bedingt durch die niedrigen Ölpreise, den billigen Euro, die gute Binnennachfrage und die niedrigen Zinsen. Oder aber zu ihrem Nachteil - wegen der Risiken im Euro-Raum, in China und Nahost sowie in punkto Flüchtlingsintegration. Eine Prognose sei daher in diesem Jahr schwierig, betont Kille. Alles in allem dürfte das Marktvolumen nach Umsatz in der Logistikwirtschaft in Deutschland aber um zwei Prozent in diesem Jahr zulegen, so seine Erwartung. Zobel ist hingegen nicht so zuversichtlich, was die Entwicklung für heimische Unternehmen im Straßengüterverkehr betrifft. Er will sich angesichts der vielen Unsicherheiten nicht auf eine konkrete Zahl festlegen: "Wir erhoffen uns ein Wachstum und vielleicht können wir dabei die Ein-Prozent-Marke streifen." Seine Skepsis rührt unter anderem aus der regelmäßigen Befragung der BGL-Mitglieder, deren Erwartungen für das kommende Halbjahr schlecht ausfallen. Und Zobel zitiert die Mautstatistik aus den vergangenen Jahren, wonach die ausländischen Anbieter in der Regel doppelt so stark zulegen konnten wie deutsche Fuhrunternehmen: "Dass unsere Betriebe Marktanteile verlieren, dürfte sich 2016 fortsetzen." Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Thema aus dem Jahr 2015 seiner Ansicht nach auch in den kommenden zwölf Monaten eine wichtige Rolle spielen wird: Sozialdumping. "In Deutschland stationierte Fuhrparks werden auch 2016 umgeflaggt und mit günstigem Personal aus dem Ausland den hiesigen Unternehmen unter unangemessenen Sozialbedingungen Konkurrenz machen, wenn die Politik nichts dagegen unternimmt", befürchtet Zobel. Da sieht die Zukunft bei den Stückgutspeditionen schon besser aus. Ingo Hodea vom Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) rechnet mit einem Mengenwachstum von 1,5 bis 2 Prozent 2016 - dies erwarten die Stückgutkooperationen auch selbst, so Hodea. Wachstumstreiber sind die Konsumlaune der deutschen Verbraucher sowie neue Geschäftsfelder wie B2C (Privatkundengeschäft) im E-Commerce. Sorgen hingegen bereiten den Unternehmen laut Hodea nach wie vor der anhaltende Preis- und Wettbewerbsdruck, das Thema Netzsicherheit in den Kooperationen sowie der Fachkräftemangel. Sein Rat für 2016: "Die Sendungsmengen sind wieder auf Vor-Krisen-Niveau. Nun muss sich die Erlössituation in den Betrieben verbessern - auch durch eine geschicktere Vermarktung der Unternehmensservices." Auf ein noch höheres Wachstum als bei den Stückgutkooperationen können sich die Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) freuen: Drei Prozent Umsatz- und Mengenwachstum seien 2016 möglich, schätzt Kille. Auf ein eher schwieriges Jahr müssen sich die Güterbahnen in Deutschland einstellen. Dem Schienengüterverkehr wird hierzulande für 2016 bei der Verkehrsleistung nur ein geringes Plus von 0,5 Prozent vorhergesagt. Allerdings stammt diese Zahl bereits vom August 2015 aus der Kurzfristprognose, die das Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat. Die Deutsche Bahn als der maßgebliche Akteur im nationalen Schienengüterverkehr wollte gegenüber der VerkehrsRundschau keine Prognose für 2016 abgeben und begründete dies mit Veränderungen im Rahmen des Konzernumbaus, der für dieses Jahr ansteht. Als Wachstumsträger sieht das Unternehmen weiterhin den Kombinierten Verkehr, besonders durch erwartete Impulse aus Südosteuropa und der Türkei. Wie im Schienengüterverkehr, so muss sich auch die Binnenschifffahrt 2016 mit einem geringen Plus bei der Verkehrsleistung in Höhe von 0,6 Prozent abfinden. Von der höheren Dynamik in der Weltwirtschaft können See- und Luftfracht profitieren: Ihnen wird ein Zuwachs von 2,6 beziehungsweise 2,2 Prozent prognostiziert. Mehr finden Sie im Dossier Logistikmarkt www.verkehrsrundschau.de/dossiers Automobilindustrie: China hinterlässt seine Spuren Treiber: "Ein bis zwei Prozent globales Umsatzwachstum - mehr ist für die deutsche Automobilbranche in diesem Jahr wohl nicht drin", schätzt Professor Stefan Bratzel, Leiter des Centers of Automotive Management in Bergisch-Gladbach. Wachstumslokomotive bleibe Nordamerika: Plus 3,5 Prozent mehr Absatzvolumen erwartet er dort. In Südostasien wie Thailand, Vietnam und Indonesien rechnet Bratzel sogar mit durchschnittlich plus sieben Prozent. Die neuen Märkte von morgen sieht er mittelfristig aber ganz klar in Indien und Subsahara-Afrika.Bremser: "Jedes vierte Fahrzeug der deutschen Automobilindustrie wird mittlerweile in China verkauft", sagt Bratzel. Um so dramatischer wertet er die Abschwächung in China. Diese dürfte auch in der deutschen Automobilbranche ihre Spuren hinterlassen. Damit nicht genug: Auch die Erholung in Westeuropa fällt 2016 überschaubar aus. So rechnet der Verband der Automobilindustrie (VDA) in diesen Märkten nurmehr mit ein Prozent Anstieg bei den verkauften Einheiten. Und in Deutschland steht laut VDA ebenfalls nur ein Plus von einem Prozent zu Buche - bei der Inlandsproduktion der Pkw sowie beim Export.Welche Themen die Branche bewegen: Der Börsencrash Anfang Januar zeigt, wie volatil der Automobilmarkt ist. Höchste Flexibilität, schnelles Reaktionsvermögen und damit schlanke Firmenprozesse sind für Speditions- und Logistikdienste also ein absolutes Muss. eh* Wachstum Pkw-Inlandsproduktion und -Export Bauwirtschaft: Der Aufschwung hält an Treiber: Kein Gewerbe hat ein so großes Transportaufkommen zu vergeben wie das Baugewerbe. Die Zeichen bei dieser für den Transport ungemein wichtigen Branche stehen auf Wachstum: Mit einem realen Umsatzplus von 1,5 Prozent rechnen die Bauverbände für das laufende Jahr nach null Prozent 2015."Brutto gehen wir sogar von einer Zunahme in Höhe von drei Prozent aus", sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Treiber mit brutto vier Prozent Zuwachs sind der öffentliche Bau und mit einem kräftigen Plus in Höhe von brutto fünf Prozent der Wohnungsbau.Bremser: Der Wirtschaftsbau dümpelt nach wie vor vor sich hin. Schon 2015 stagnierten die Umsätze, das soll auch 2016 nicht anders sein."Es gibt ganze Industriezweige, die ihre Abschreibungen nicht ersetzen", klagt Stiepelmann. Besonders betroffen seien energieintensive Branchen, die Investitionen im Ausland vorziehen. +1,5 %* Welche Themen die Branche bewegen:Trotz guter Aussichten steigt der Kostendruck."Die Baubranche ist daher gezwungen, ihre Prozesse weiter zu optimieren", sagt Baulogistik-Experte Joseph Dörmann vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. Eine bessere Vernetzung der Bau- und Nachunternehmen sei erforderlich, angefangen bei der Führung eines digitalen Bautagebuches bis hin zum Zeitfenstermanagement bei der Anlieferung. Auch bei der Belieferung der Baustellen müssten die Akteure stärker kooperieren. cd* Wachstum Netto-Umsatz in Deutschland

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