Chaos beim Abfertigen von Containern

Sigward Glomb weiß, wie man mit sozialen Medien umgeht. Seit Mai 2010 hat der geschäftsführende Gesellschafter des GCD Glomb Container Dienst ein Facebook-Konto und vernetzt sich dort zwanglos mit geschäftlichen und privaten Kontakten. Doch seit Februar adressiert Glomb dort auch ein Thema, das ihm und anderen Containertrucking-Unternehmern das Leben schwer macht: die Abfertigungssituation an den Containerterminals im Hamburger Hafen. Glomb hat auf Facebook die Seite "Hafen Hamburg - Verkehr und Abfertigungssituation" ins Leben gerufen. Inzwischen gibt es für Facebook-Verweigerer sogar eine App (siehe Kasten Seite 26), welche die gleichen Informationen liefert. Das Konzept: LKW-Fahrer und Unternehmer stellen Fotos, Informationstexte und Rundschreiben auf die Seite, die sich mit der Situation in und um die Terminals im Hamburger Hafen befassen. "Wir wollten mehr Transparenz schaffen", sagt Glomb. "Wie schlimm die Situation mitunter ist, haben wir selbst nicht erwartet." Mehr als einen Monat läuft die Facebook-Seite schon und mehrfach in der Woche berichten genervte LKW-Fahrer von Staus und teilweise stundenlangen Wartezeiten. Über die Gründe wissen die gestressten LKW-Lenker in aller Regel jedoch wenig. Sie schimpfen über Abfertigungsstopps wegen Betriebsversammlungen, frühe Schließungszeiten beim Veterinär, über angeblich unmotivierte Terminalmitarbeiter und mutmaßen über Personalengpässe. Doch die Ursachen liegen offenbar woanders: Da ist zum einen eine strukturelle Veränderung bei den Schiffsanläufen. Immer mehr Großschiffe laufen den Hamburger Hafen an. Brachten im Jahr 2012 in den ersten neun Monaten 3896 Containerschiffe noch 6,7 Millionen TEU (20-Fuß-Container) in die Hansestadt oder nahmen sie von dort mit, waren es im Vergleichszeitraum 2013 nur noch 3756 Schiffe, die 7,0 Millionen TEU transportierten. "Durch die größer werdenden Schiffe und die dadurch steigenden Umschlagmengen pro Großcontainerschiff haben sich 2013 und in den ersten Monaten 2014 verstärkt schwankende Auslastungen (Peaks) an den Hamburger Containerterminals bemerkbar gemacht", steht auf der Website des Hamburger Hafens. Das lässt sich belegen: Mehr als 400 Großschiffe mit einer Kapazität von 10.000 oder mehr TEU kamen 2013 nach Hamburg - 60 mehr als im Vorjahr. Während der Abfertigung der Containerriesen herrscht an den Terminals Stress pur. Das Schiff soll möglichst schnell entund wieder beladen werden, um teure Liegezeiten zu sparen. Gleichzeitig wollen die Kunden so rasch es eben geht an die entladenen Container - an den Terminals können Staus entstehen. Das ist Tagesgeschäft - doch seit Anfang 2014 haben mehrere Unwetter die Fahrpläne der großen Containerlinien durcheinandergebracht. Mit teilweise mehrtägiger Verspätung laufen die Schiffe in Hamburg und auch in den anderen europäischen Häfen ein. "Dadurch haben sich große Mengen an Exportcontainern aufgebaut", sagt HHLA-Sprecher Karl Olaf Petters. Im Klartext: Speditionen und Verlader lassen die Exportcontainer an die Terminals bringen, obwohl die Schiffe deutliche Verspätung haben. Die durchschnittliche Verweildauer eines Exportcontainers hat sich deswegen in den letzten Monaten verdoppelt. Am Burchardkai, so steht es in einem Rundschreiben der HHLA an die Kunden, sei die durchschnittliche Verweildauer von vier auf sechseinhalb Tage gestiegen. Das Container Terminal Altenwerder meldete am 18. März sogar eine Verweildauer von 10 bis 12 Tagen. Die Folge sind Umschlag- und Lagerflächen, die nahezu 100-prozentig ausgelastet sind, optimal sind 75 bis 80 Prozent. Folge: Die Container können nicht mehr bestmöglich gestapelt werden. "Diese Yardauslastung führt zu längeren Fahrwegen der Van Carrier sowie zu einer erhöhten Umstapelrate. Bei gleichbleibender Personaldecke hat das automatisch einen Rückgang unserer Leistungsfähigkeit zur Folge", schreibt Jens Hansen, Geschäftsführer des HHLA-Terminals Burchardkai an die Kunden. Zusätzliche Personalkapazitäten seien durch weiter anziehende Verweildauern aufgezehrt worden. Auch die Verlader sind alarmiert Diese Situation wird zunehmend verschärft durch Baumaßnahmen an den Zufahrten. Südlich des Hafens ist die A7 auf Höhe der Anschlussstelle Heimfeld seit einigen Monaten auf zwei Spuren verengt. Seit vergangener Woche wird die Asphaltdecke im Elbtunnel saniert und zu allem Überfluss stehen von April bis November Sanierungsarbeiten an der Köhlbrandbrücke an, die auf zwei Spuren verengt wird. "Baustellenkoordination können die Behörden in Hamburg nicht wirklich", schimpft ein Betroffener. "Die Fahrten zu den Hamburger Terminals sind nicht mehr planbar", ärgert sich Wolfgang Weber, Geschäftsführer der EKB Container Logistik. Für die Containertrucker, die auf exakte geplante Rundläufe angewiesen sind, ist das der GAU. Die Margen in diesem Geschäft sind überschaubar. Lange Wartezeiten erträgt die Kalkulation nicht. "Wir haben Verständnis für den Ärger der Trucker. Sie sind das letzte Glied in der Kette ", sagt HHLA-Sprecher Petters. Verständnis haben offenbar auch die Kunden. Sowohl Glomb als auch Weber berichten darüber, dass die Bereitschaft wächst, den Containertruckern mit pauschalen Zuschlägen oder einer Vergütung für Wartezeiten zu helfen. Viele Verlader seien besorgt, dass sich niemand mehr bereitfindet, in den Hafen zu fahren. Weber gruselt es nicht zuletzt davor, dass durch die geplanten Bauarbeiten an der A7 (siehe VR 10/2014) sich die Situation in den kommenden Jahren weiter aufschaukelt. "Der Hafen Hamburg könnte in diesem Fall erheblich an Bedeutung verlieren", warnt Weber. Solche Stimmen hört man im Hamburger Hafen gar nicht gern. Auch Glomb bekommt auf seiner Facebookseite Gegenwind von verärgerten Terminalmitarbeitern, die "Stimmungsmache" des in Bremerhaven ansässigen Spediteurs gegen Hamburg vermuten. Glomb weist das weit von sich. "Uns geht es nicht darum, den Hafen schlecht zu machen Wir leben zu einem großen Teil von Verkehren im, zum und vom Hafen Hamburg, nur wir und alle anderen Betreiber von LKW können nur davon leben, wenn es zumindest einigermaßen läuft", betont er. Reedereien sind gefragt Im Brennpunkt der Kritik steht neben dem Burchardkai auch das HHLA-Terminal Tollerort, wohin einige Schiffe zur Entlastung des Burchardkais umgeleitet wurden. Auch das Terminal in Altenwerder taucht dann und wann bei Facebook auf, ebenso wie Eurogate. Herbe Kritik der Trucker muss das private Leercontainerdepot Progeco einstecken, vor dem es immer wieder zu Staus kommt. Bisher wagen die Terminalbetreiber noch keine Prognose, wann sich die Situation wieder normalisiert. Sie müssen einen Teufelskreis durchbrechen. Die Schiffsverspätungen haben zu einer Exportcontainerflut geführt. Diese senkt die Produktivität an den Terminals, was zu weiteren Verzögerungen führen kann - sowohl bei den Großschiffen als auch in den Hinterlandverkehren. Im Moment suchen alle Beteiligten nach einem Ausweg. Burchardkai-Geschäftsführer Hansen appelliert in einem Rundschreiben an die Kunden, die Exportcontainer erst kurz vor Schiffsankunft anzuliefern. Das hält auch Hans Stapelfeldt, Geschäftsführer des Hamburger Containerspezialisten Stapelfeldt Transport, für sinnvoll. Allerdings müssten dann die Ladeschlüsse bei verspäteten Schiffen auch offiziell verlängert werden. "Es darf nicht passieren, dass wir den Exportcontainer für ein verspätetes Schiff später anliefern und dies als Anlass genommen wird, diesen Container nicht mehr mitzunehmen", sagt Stapelfeldt. Protestbrief der Spediteure Nach Stapelfeldts Meinung sind auch die Reeder gefordert, sich an der Bewältigung der Krise zu beteiligen, beispielsweise durch ein Steaming-up - ein Erhöhen der Schiffsgeschwindigkeit - wie es beispielsweise Hamburg Süd praktiziere, um wieder die Fahrpläne zu halten. Die Terminals müssten sich außerdem fragen, ob genügend Personal zur Verfügung steht. Eine ähnliche Meinung vertritt der Verein Hamburger Spediteure (VHSp) in einem scharf gehaltenen Schreiben an Reedereien und Terminals. "Die Spediteure wollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und nicht Problemlöser für Dritte spielen, die ihre jeweilige Verantwortung an der Eskalation offenbar negieren", steht in dem von VHSP-Geschäftsführer Kurt-Jürgen Schimmelpfeng unterzeichneten Brief. Von den Reedereien als Vertragspartner erwarteten die Spediteure, dass sie und die von ihnen eingesetzten Terminalbetreiber alles in ihrer Macht stehende unternehmen, damit die von den Spediteuren gebuchten Container pünktlich und ohne zusätzlichen Kostenaufwand verladen werden. Die Spediteure behielten sich das Recht vor, die Mehrkosten wie Standgelder und Sonderfahrten einzufordern. Die Terminals empfehlen hingegen, Container außerhalb der Peakzeiten anzuliefern oder abzuholen. Momentan gibt es Peaks in den Morgenstunden und zwischen 13 und 17 Uhr. Am späten Abend es ist relativ ruhig. Doch diese Abholzeiten machen aus Sicht der meisten Trucker nur Sinn, wenn die Empfänger oder Versender der Container eine Abholung oder Anlieferung außerhalb der Kernzeiten ermöglichen - bislang eher die Ausnahme. Das könnte sich jedoch ändern, wenn lange Wartezeiten tagsüber weiter zunehmen: Ab einem bestimmten Punkt wird es günstiger, Container nachts anzuliefern oder abzuholen und Lösungen für eine Pufferung der Container außerhalb der Terminals zu finden. Stapelfeldt warnt alle Beteiligten davor, den Schwarzen Peter an die anderen Beteiligten der Containerlogistikkette weiterzugeben. Wichtig sei es, gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle tragfähig sind. Im Gespräch ist in Hamburg mittelfristig beispielsweise ein Truck Appointment System, das über die Zuteilung von Zeitfenstern für eine Abflachung von Auslastungsspitzen sorgen soll. Aus Sicht der Containertrucker ist dies ein zweischneidiges Schwert, da es einen Eingriff in die Disposition bedeutet. Außerdem ist es eine entscheidende Voraussetzung für Zeitfenstersysteme, dass genügend Zeitfenster für das benötigte Transportvolumen zur Verfügung stehen. Auch muss es die Verkehrssituation es erlauben, die gebuchten Zeitfenster zu treffen. Weitere Maßnahmen könnten zusätzliche Leercontainerflächen in der Nähe der Terminals sein, um hafeninterne LKW-Umfuhren zu reduzieren. Das LKW-Sonntagsfahrverbot für hafeninterne Umfuhren aufzuheben, würde die Lage zusätzlich entspannen. Neue Impulse erhoffen sich die Containertransporteure von der Fachgruppe Containerverkehre der Deutschen Seehäfen, der die meisten wichtigen Containertrucking-Unternehmen angehören. Der Verein hat in der vergangenen Woche angekündigt, ihre Task Force wiederzubeleben und will die Situation mit den einzelnen Terminals erörtern. Gesamter Hafenhinterlandverkehr mit Problemen Auch Eisenbahn und Binnenschiffer leiden Die schwierige Abfertigungssituation an den Containerterminals trifft auch die Eisenbahn und das Binnenschiff. "Es gibt bei der Abfertigung der Containerzüge in Hamburg erhebliche Probleme", sagte Bernd Pahnke, Hafenbeauftragter Nord von DB Schenker. Da die Züge aufgrund der Fahrpläne in ein starres Korsett eingebettet sind, beinträchtigen Verzögerungen an den Terminals unter anderem die Auslastung der Züge und mindern damit den wirtschaftlichen Erfolg."Wir müssen feststellen, dass es auf der Wasserseite genauso schwierig ist", sagt Jens Hohls, Geschäftsführer des Hafens Braunschweig. Während die Trucker lange warten müssten, kämen die Binnenschiffer gar nicht erst dran. Am Burchardkai habe es eine Woche lang keinen Liegeplatz für Binnenschiffe gegeben. Hohls sieht in der schwierigen Situation auch hausgemachte Probleme. Einige Terminals in Hamburg seien noch nicht optimal auf die neuen Schiffsgrößen vorbereitet. hel Tagesaktuelle Infos Informationen über Facebook und Apps Der GCD Glomb Containerdienst versucht, über die Verkehrs- und Abfertigungssituation im Hamburger Hafen zu informieren. Dabei fordert das Unternehmen andere Betroffene auf, möglichst aktuelle Meldungen und Fotos zu posten. Außerdem werden relevante Rundschreiben und Briefe von Terminals, Spediteuren und Verbänden veröffentlicht. Auf Facebook kommt man auf die Seite, indem man"Hafen Hamburg - Verkehr und Abfertigungssituation" sucht und dann auf der Seite"liked" - also den "Gefällt-mir-Button" drückt.Wer kein Facebook, aber ein Smartphone oder einen Tabletcomputer hat, kann sich eine kostenlose App mit dem Namen"HH Hafen LKW" herunterladen und auf die gleichen Inhalte zugreifen. Für i-Phones gibt es eine App im Appstore. In der App kann man auf die Informationen anderer Nutzer zugreifen und auch eigene Mitteilungen posten. hel

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