Tunbridge Wells. Der größte britische Transportverband Freight Transport Association (FTA) warnt vor den verheerenden Folgen für den britischen Straßengütertransport, wenn der Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit) ohne vertragliche Einigung vollzogen wird. Britische Lkw-Fahrer müssten in diesem Fall, anders als bisher, neben ihrem britischen Führerschein auch noch einen internationalen Führerschein besitzen, um in der EU fahren zu dürfen. Die meisten britischen Lkw-Fahrer würden diesen internationalen Führerschein nicht besitzen, und pro Jahr könnten in Großbritannien zurzeit nur 1224 solcher Führerscheine ausgestellt werden, so FTA.
FTA reagierte mit diesen Äußerungen auf Informationen der britischen Regierung. Diese bestätigte, dass ein „No-Deal“ mit der EU zunächst die verpflichtende Mitführung eines internationalen Führerscheins für britische Lkw-Fahrer in EU-Ländern bedeuten würde. Bilaterale Verhandlungen mit jedem einzelnen EU-Land müssten dann klären, wie die Regelung für jedes einzelne Land aussehen könnte. Für Lkw-Fahrer aus EU-Staaten, die nach Großbritannien fahren wollen, werde sich an der heutigen Praxis dagegen nichts ändern.
Schwerwiegende Folgen für die Lieferkette
„Das wird schwerwiegende Folgen für die gesamte Lieferkette in Großbritannien bedeuten“, teilte FTA-Europabeauftragte Pauline Bastidon mit. Zum einen seien die 1224 internationalen Führerscheine, die britische Behörden zurzeit nur in der Lage seien, pro Jahr für Lkw-Fahrer auszustellen, viel zu wenig. „Zur Einschätzung: Allein in Dover können täglich bis zu 10.000 Lkw im Austausch mit dem Kontinent abgefertigt werden“, sagte Bastidon. Zum anderen würden mit Sicherheit viele Fahrer oder ihre Auftraggeber zunächst gar nicht wissen, dass sie zusätzliche Papiere benötigten, um in der EU zu fahren. Zahllose britische Lkw könnten an der Grenze zurückgewiesen werden.
Obwohl es ähnliche Probleme auch im Flug- und Zugverkehr bei einem Brexit ohne vertragliche Einigung zwischen EU und Großbritannien geben könnte, sieht FTA die Situation im Straßengüterverkehr als besonders brenzlig. „Die Priorität muss jetzt darin bestehen, eine EU-UK-Einigung für den Straßengüterverkehr zu erzielen. Das ist noch dringlicher als ein Handelsvertrag. Denn ohne Führerscheine wird es keine Lkw geben. Und ohne Lkw, keinen Handel“, so FTA-Expertin Bastidon.
Die Brexit-Verhandlungen laufen seit Beginn an schwierig. Laut des Artikels 50 der EU-Verträge, auf dessen Grundlage der Brexit vorbereitet wird, müssen die Verhandlungen bis März kommenden Jahres abgeschlossen sein, um den Brexit vertraglich geregelt abwickeln zu können. Bislang sieht es nicht danach aus, dass dieser Zeitrahmen eingehalten werden kann. (kw)
Norbert Hagen