Bericht aus Brüssel

Bericht aus Brüssel Grenzenloses Europa in Gefahr Kontrollen an den dänischen Grenzen, Diskussionen um das Schengener Abkommen: Die Europäische Union muss wegen aufkeimendem Nationalismus und Flüchtlingsströmen um eine ihrer wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte fürchten. Die Inspektoren aus Brüssel bekamen nichts zu sehen: An diesem Tag seien nun einmal keine Stichproben vorgesehen gewesen, hieß es aus Kopenhagen, nachdem die EU-Beamten, die sich ein Bild von den von Dänemark angekündigten neuen Grenzkontrollen machen sollen, unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Im Auftrag von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sollten sie prüfen, ob die dänische Praxis mit dem europäischen Recht vereinbar sei. Das lässt Kontrollen an den Grenzen nur dann zu, wenn diese „stichprobenartig“ erfolgen und auf einer konkreten „Risikoanalyse“ beruhen. In der Vergangenheit wurde diese Ausnahme etwa bei großen Fußball-Turnieren angewandt, um Hooligans aus anderen Ländern an der Einreise zu hindern. Jetzt berufen sich die Dänen auf sie mit dem Hinweis, dass über die Grenzübergänge Drogen oder Flüchtlinge geschmuggelt würden. Doch das Problem reicht über die Frage hinaus, ob damit das EU-Recht gebrochen oder nur weit ausgelegt wird: „Was Dänemark tut, muss all denen Sorgen machen, die befürchten, dass die Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird“, warnte der polnische Premierminister Donald Tusk kürzlich bei seiner Antrittsrede als neuer EU-Ratspräsident vor dem Europaparlament. Kontrollen notwendig Diese Warnung erfolgte nicht ohne Grund: Als Italien und Frankreich zuletzt darüber stritten, ob die auf der Mittelmeerinsel Lampedusa eintreffenden Flüchtlinge nach Frankreich weitergeschickt werden dürften, einigte man sich schließlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Die Schengener Regeln müssten geändert werden, damit Grenzkontrollen künftig auch dann möglich seien, wenn ein Land durch Flüchtlingsströme überfordert sei, forderten Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Präsident Nicolas Sarkozy einvernehmlich. Dieser Forderung haben sich beim Gipfel im Juni auch die anderen Regierungschefs angeschlossen. Das Europaparlament hat dazu eine klare Meinung: „Das durch den Schengener Vertrag errichtete System ist ausreichend zuverlässig“, stellten die Abgeordneten in einer Resolution fest. Sie sprachen sich zwar auch dafür aus, die Regeln zu überarbeiten, allerdings nur, um „die Bewegungsfreiheit zu fördern“. Die EU-Kommission, so das Parlament, müsse eine Initiative ergreifen, damit die geltenden Regeln künftig strikter angewandt würden. Staus an Grenzübergängen Die Vorstellung von Kontrollen und Staus an immer mehr Grenzübergängen in der EU ist für die meisten Europaabgeordneten ein Graus. In dem polnischen Premier Tusk haben sie dabei einen Verbündeten: „Die Geschichte zeigt, dass, wenn immer Europäer glaubten, die Antwort auf ihre Probleme liege in Nationalismus oder Protektionismus, dies in einer Katastrophe endete“, sagte der in seiner Rede. Vom Parlament bekam er dafür viel Applaus, ob es ihm als Ratspräsident in den kommenden Monaten gelingt, auch die anderen Regierungen davon zu überzeugen, bleibt abzuwarten. ❙❚■ Tobias Freudenberg, VR-Korrespondent in Brüssel Stichprobenartig kontrolliert Dänemark wieder seine Grenzen In dem Luxemburger Winzerort Schengen, am Dreiländereck mit Deutschland und Frankreich gelegen, wurde 1985 der Abbau der Grenzkontrollen sowie deren Verlagerung an die Außengrenzen zwischen zunächst fünf Ländern, Deutschland, Frankreich sowie den Benelux-Staaten, vereinbart. Die Regeln des ursprünglichen Vertrags, etwa im Hinblick auf die polizeiliche Zusammenarbeit, die Terrorismusbekämpfung oder auch das Zollwesen, sind seitdem weitgehend in das Recht der EU übergegangen beziehungsweise durch deren eigenes Recht ersetzt worden. Heute gehören dem sogenannten „Schengen-Raum“ 28 Staaten an: Alle EU-Staaten – außer Großbritannien und Irland – sowie Norwegen, Island und die Schweiz. tof Schengen-Abkommen