Bericht aus Berlin

Bericht aus Berlin Eine ungewöhnliche Allianz Die Meldungen zu Dumpinglöhnen und unzumutbaren Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer mehren sich. Anlass für den BGL und Verdi, mit einem Bündnis gegen eine weitere Öffnung des EU-Straßengüterverkehrsmarktes vorzugehen. Dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gemeinsam in der Öffentlichkeit für ein Thema auftreten, ist selten. Da müssen schon besondere Umstände vorliegen. Ein hoher Leidensdruck zum Beispiel. Diese Woche gab es so einen solchen Auftritt: Erstmals traten in der Frankfurter Zentrale der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) mit seinem Chef Adalbert Wandt und die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Andrea Kocsis, gemeinsam vor die Presse, um ihr Bündnis gegen eine weitere Öffnung des EU-Straßengüterverkehrsmarktes vorzustellen. Anlass für diese Allianz sind die sich häufenden Verwerfungen bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der Berufskraftfahrer. BGL und Verdi sehen die Ursachen dafür in der Gesetzgebung. Die Rechtsvorschriften im europäischen Güterverkehrsmarkt seien noch nicht harmonisiert beziehungsweise würden solche Missstände nicht verbieten. „Es ist bezeichnend, wenn ein lettisches Speditionsunternehmen seine europäische Fuhrparkflotte mit philippinischen Fahrern besetzt und damit unverblümt das Mittel des Lohn- und Sozialdumpings zum Marktprinzip erklärt“, sagte Wandt. Aufgrund der geringeren Steuerlast und niedrigerer Sozialstandards würden die Fuhrunternehmen ihre Flotten in Staaten mit geringeren Steuersätzen und Sozialabgaben verlagern und dort die Fahrer zu untragbaren Konditionen beschäftigen. Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten, fordert der BGL unverzüglich eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften. Nach Ansicht von BGL und Verdi ist es für die Umsetzung der völligen Freigabe der Kabotage (siehe auch Kasten), wie es die EU-Kommission langfristig anstrebt, noch zu früh. „Das Steuer- und Sozialgefälle zwischen den Mitgliedstaaten ist noch viel zu hoch. Wir wollen einen nachhaltigen europäischen Binnenmarkt, der gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Menschen in Europa schafft“, sagte Kocsis. Sie nannte fehlende Kontrollen als ein großes Problem und kritisierte, dass das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) das Personal für diese Kontrollen verringert habe. „Die Fahrer müssen die Rechte und Arbeitsbedingungen erhalten, die ihnen zustehen“, forderte Kocsis. Mindestlohn kein Tabu für den BGL Um Lohn- und Sozialdumping im europäischen Straßengüterverkehr zu verhindern, sieht Kocsis in einer altbekannten Forderung von Verdi ein wirksames Instrument: „Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro wäre in Deutschland der einfachste und effektivste Schutz“, sagte die Gewerkschafterin. Docht trägt der BGL eine solche Forderung mit? „Wir haben nichts gegen einen Mindestlohn“, antwortete BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt, „aber wir wollen keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, sondern einen zwischen den Tarifparteien vereinbarten Mindestlohn.“ Mario Klepp, Bereichsleiter bei Verdi, sah in der Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Verdi und BGL einen ersten Auftakt für weitere Maßnahmen. Ein Ziel sei es, die derzeitigen Kabotageregelungen zu verlängern – um so den Leidensdruck für Fahrer und Betriebe zu lindern. ❙❚■ Michael Cordes Kabotage Kabotage ist eingeschränkt – noch Als Kabotage wird der innerstaatliche Transport durch gebietsfremde Unternehmer, die in einem anderen Staat niedergelassen sind, verstanden. In der EU und damit in Deutschland dürfen alle Unternehmen mit Sitz in einem europäischen Mitgliedstaat (alle EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) Kabotagetransporte durchführen, sofern sie eine Gemeinschaftslizenz besitzen. Die Kabotage ist allerdings nur „zeitweilig“ erlaubt: Im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung dürfen bis zu drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen mit demselben Fahrzeug durchgeführt werden. cd

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