Beinahe leergefischt

Bis 2017 konnten die Auftraggeber aus Industrie und Handel bestimmen, was im Transportmarkt gespielt wird", sagt Jörg Frommeyer, Vorstand von dem Plattformbetreiber Colo21. Doch das Blatt hat sich gewendet: "Durch den Fahrermangel ist der Laderaum-Engpass inzwischen so groß, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland ernsthaft gefährdet ist", schlägt er Alarm. "Die klassische Frachtausschreibung, wie wir sie seit vielen Jahren kennen, hilft da nicht mehr weiter. Denn schon jetzt gibt es Spediteure, die nicht mehr an Ausschreibungen teilnehmen, weil sie sich das neuerliche Preisdrücken nicht mehr gefallen lassen wollen", führt der vormalige Kühne + Nagel-Manager aus. Ein Verlader, der jetzt Transporte ausschreibe, um seine Kosten zu senken, bewirke oftmals also genau das Gegenteil. Nach der Ausschreibung hat er heute höhere Kosten als vorher. Und genau hier will Frommeyer mit seiner Lösung ansetzen: "Wir wollen Auftraggeber aus Industrie und Handel mit ähnlich gelagerten Warenströmen zusammenbringen, deren Nachfrage nach Transportkapazitäten bündeln und mit dem Angebot von Transport- und Speditionsdienstleistern gezielt zusammenbringen", kündigt er an. "Dafür sehen wir uns vor dem eigentlichen Transport die Warenströme an. Erst wenn wir diese Daten analysiert und die entsprechenden Bündelungspotenziale ermittelt haben, wählen wir für diese Verkehrsströme den passenden Dienstleister aus - das kann ein Straßengüterverkehrsunternehmer sein, das kann aber auch die Güterbahn als Carrier sein", erklärt er das Vorgehen. "Bislang gab es den Verlader, den Spediteur und den Frachtführer und mit unserem Angebot schaffen wir eine zusätzliche Rolle im Markt. Unsere Aufgabe ist der vorgelagerte Prozess, bevor die Güter an den Carrier gehen. Im Grunde sei dies, sagt er, "eine Konsolidierung rein auf Datenbasis vor dem eigentlichen Transport - nicht im Spot-Markt, sondern für regelmäßige Geschäfte. Sein Ziel sei es aber nicht, damit die Preise der Dienstleister zu drücken, sondern den zur Verfügung stehenden Laderaum effizienter zu nutzen und besser auszulasten, versichert Frommeyer. Frommeyer könnte mit seiner neuen Geschäftsidee tatsächlich den Nerv der Zeit treffen. Denn das Thema Laderaum- und Fahrermangel zieht immer größere Kreise, wie eine Blitzumfrage unter Logistikentscheidern in Industrie und Handel zeigt. "Gerade vor Feiertagen wie Ostern oder in kurzen Wochen wird es eng", bestätigt Thorsten Heitland, Leiter Supply Chain Execution bei Frosta in Bremerhaven. Der Tiefkühlkost-Spezialist betreibt drei Werke in Deutschland sowie eines in Polen und bewegt pro Jahr 220.000 Tonnen Ware, komplett im Landverkehr. Die Transporte in die Zentrallager des Handels übernehmen externe Dienstleister. Um sich den Zugriff auf Kapazitäten zu sichern, habe Frosta schon vor zwei Jahren beschlossen, mehr kleinere und mittlere Speditionen dazu zu nehmen, berichtet Heitland. Trotzdem komme es immer häufiger vor, dass ein Spediteur mangels Fahrer abwinke. "Dann muss man den zweiten oder dritten Anbieter bemühen, um einen Lkw zu bekommen - das wäre vor vier Jahren noch völlig undenkbar gewesen." Auch den Empfängern im Handel macht die Logistik zunehmend Sorgen, wenngleich noch keine Alarmstimmung herrscht. "Die angespannte Lage in der Transportbranche ist grundsätzlich spürbar", bestätigt Rainer Roewer, Betriebsleiter bei Metro Logistics in Gimbsheim. "Aufgrund langjähriger Kooperationen mit unseren Stammspeditionen sind wir hier sehr gut aufgestellt, es zeichnen sich keine Transportengpässe ab." Die Handelskonzerne Rewe und Edeka wollten sich dagegen auf Anfrage der Verkehrs-Rundschau nicht zur aktuellen Lage äußern. Fakt ist: Alle Praktiker beschäftigen sich derzeit mit der Frage, wie die Versorgung noch sichergestellt werden kann, wenn die kritische Ressource Fahrer in Zukunft noch knapper wird. Darüber, was mittelfristig hilft, herrscht Einigkeit: "Die vorhandenen Kapazitäten müssen besser genutzt werden", sagt Frosta-Manager Heitland. Ganz oben auf der Liste der dringenden Maßnahmen steht eine schnellere Abfertigung an den Rampen des Handels. "Wir erleben immer wieder vor Feiertagen, dass ein Lkw zwei, drei oder sogar fünf Stunden warten muss - trotz Zeitfenstermanagement", so Heitland. Die Lösung aus seiner Sicht wären längere Anlieferungszeiten, zum Beispiel von sechs bis 14 Uhr, auch wenn das für den Handel bedeuten würde, auf den teureren Zwei-Schicht-Betrieb umstellen zu müssen. .... Andere schlagen zudem vor, den Samstagvormittag als zusätzlichen Anliefertermin hinzuzunehmen, wobei Heitland das nicht für nötig hält. "Die Erweiterung der Zeiten unter der Woche würde schon ausreichen. Samstags ist deshalb nicht so günstig, weil es dann weniger Möglichkeiten gibt, Ladungen zu kombinieren." Einige Handelsunternehmen haben ihre Rampenzeiten schon flexibler gestaltet. "Obst und Gemüse werden zum Teil bereits außerhalb der Hauptverkehrszeiten am späten Abend in den SB-Warenhäusern von Real sowie den Großmärkten angeliefert", berichtet Betriebsleiter Roewer von Metro Logistics. Während bei Real Nachtschleusen zum Einsatz kommen, liegen die Anlieferzeiten bei Metro Cash & Carry aufgrund der Öffnungszeiten der Großmärkte teilweise bei 22 Uhr. Weil zu diesen Uhrzeiten weniger Verkehr ist, können die Lkw in gleicher Zeit mehr Standorte anfahren. Fallweise hilft Doppelstock-Beladung Wobei das, was für Händler gilt, natürlich gleichermaßen die Verlader betrifft. "Sie können an ihren Rampen auch einiges besser machen", meint Frosta-Experte Heitland. Oft mangele es hier an Kapazitäten und die Steuerung der Dienstleister könne verbessert werden. Daneben sieht Heitland noch Chancen durch mehr Zusammenarbeit innerhalb der Verladerschaft. Die Idee, dass sich Hersteller und Produzenten über eine Internetplattform zusammentun, um so die Kapazitäten bei der Versorgung der Zentrallager besser auszuschöpfen, bewertet er als "interessant". Eine weitere Maßnahme, die bei gleichem Personaleinsatz mehr beförderte Fracht ermöglicht, ist die Doppelstock-Beladung. Durch Querstreben entsteht im Laderaum eine zweite Ebene, die mit palettierter Ware beladen werden kann, sodass unter Umständen die gesamte Höhe von 2,80 Metern ausgeschöpft wird. Metro Logistics zum Beispiel nutzt im Frische-Bereich schon Doppelstock-Beladung, allerdings lässt sich die Technik nicht überall anwenden. Frosta-Manager Heitland weist darauf hin, dass im Tiefkühlsegment die reguläre Beladungshöhe schon so groß sei, dass sich eine zweite Ebene nicht lohne. Wird ein Gut knapp, steigen die Preise - das lernen Wirtschaftsstudenten im ersten Semester. Für das "Gut" Lkw-Fahrer gilt es natürlich genauso - auch wenn die Entscheider im Handel über anziehende Frachtraten nicht so gerne reden. Frosta-Manager Heitland dagegen ist offen. "Das geht jetzt los, wenn über neue Verträge gesprochen wird." Angesichts der Laderaumverknappung würden 2 bis 4,5 Prozent höhere Frachtraten verlangt. Doch auch höhere Frachtraten sind in Zukunft keine Garantie mehr, Zugriff auf Mann und Maschine zu bekommen. Eigenfuhrpark aufbauen Gewinnt vor diesem Hintergrund der Eigenfuhrpark als sichere Quelle von Transportkapazitäten wieder an Bedeutung? "Einen Eigenfuhrpark aufzubauen ist keine Option", sagt Frosta-Mann Heitland. Dazu habe man weder die Erfahrung, noch die nötigen Rückladungen im System. "Das können Spediteure besser." Metro Logistics dagegen plant mittelfristig mit rund einem Drittel eigener Fahrzeuge. Bei einigen Lagerstandorten liegt der Anteil bei 55 Prozent. "Der Einsatz unseres Eigenfuhrparks wird beim jeweiligen Tagesausgangsvolumen vorrangig disponiert. Um eine optimale Auslastung sicherzustellen, holen wir während des Rücklaufs von den belieferten Märkten zu unseren Standorten Ware von der Industrie ab", berichtet Roewer. Selbst das beste Rampenmanagement, die optimale Beladung und perfekte Planung können aber nur kurzfristig Linderung verschaffen. Solange die Industrie das Grundproblem des Fahrermangels nicht angeht, wird es rund um die Feiertage - und nicht nur dann - immer wieder Engpässe geben. Der Job des Fahrers muss aufgewertet werden, damit das Angebot auf dem Arbeitsmarkt wieder steigt. "Um dem Fahrermangel im Eigenfuhrpark entgegenzuwirken, bilden wir selbst Berufskraftfahrer aus und bieten unseren Fahrern attraktive Konditionen - neben einer branchenüblichen Vergütung regelmäßige Arbeitszeiten und freie Wochenenden", so Betriebsleiter Roewer von Metro Logistics. Der Handelsverband Deutschland (HDE) will das Thema grundsätzlicher angehen. "Wir müssen darüber nachdenken, ob die dreijährige Ausbildung des Berufskraftfahrers noch zeitgemäß ist", sagt Ulrich Binnebößel. Zudem sollte man Maßnahmen ergreifen, die den Arbeitsalltag familienkompatibler machen. Ein Vorschlag: Auf langen Strecken zwei Lkw einsetzen, die sich auf der Mitte treffen und die Ladung übergeben. So können beide Fahrer abends eher zu Hause sein. Mehr zum Thema im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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