Automobillogistik

Automobillogistik Zwischen Preisdruck und Innovation Wer das umkämpfte Geschäft der Automobillogistik versteht, hat gute Chancen als Wertschöpfungspartner. Was die Automobilhersteller und Zulieferer von ihren Logistikdiensten fordern und wo diese nachbessern sollten, lesen Sie in Teil 3 der Serie Automobillogistik. Spricht man Susanna Webber auf die Qualität der Logistikdienstleister von General Motors in Europa an, bekommt man von der für Einkauf und die Supply Chain verantwortlichen Vizepräsidentin zunächst ein großes Lob zu hören. „Alle unsere Dienstleister zeigen hervorragende Leistungen und entsprechen sehr hohen Erwartungen“, sagt Webber auf Anfrage der Verkehrs-Rundschau. Einen Wunsch hat Top-Managerin Webber jedoch. „Verbesserungspotenzial sehen wir bei der Entwicklung neuer Konzepte, die über den heutigen Handlungsspielraum hinausgehen.“ Auch Jürgen Wels, Leiter Logistik bei der Porsche AG, findet klare Worte: „Wir halten es für selbstverständlich, dass unsere Logistikdienstleister Optimierungsvorschläge machen und ihre Leistung permanent verbessern.“ Ganz ähnlich klingt es aus der Zulieferindustrie. „Die Logistikdienstleister können sehr gut Prozesse übernehmen, die wir outsourcen wollen. Es gibt in der Breite aber noch zu wenig Dienstleister, die bereit sind, an der kontinuierlichen Weiterentwicklung und der Qualität der Prozesse zu arbeiten. Dafür fehlen teilweise auch gute Konzepte und Methoden“, sagt Andreas Reutter, Mitglied der Geschäftsleitung im Zentralbereich Einkauf und Logistik des Stuttgarter Unternehmens Robert Bosch, das soeben auf dem Forum Automobillogistik der BVL und des VDA für seine virtuelle Abbildung von Lieferketten mit dem VDA-Logistik-Award geehrt wurde (siehe Seite 37). Dienstleister reagieren auf das Thema Innovation und Prozessverbesserung aber meist eher zurückhaltend. Die Auftraggeber verwechselten manchmal Innovation mit Preissenkung, beklagte ein Teilnehmer am Rande des gemeinsamen BVL- und VDA-Forums Automobillogistik 2014 in Frankfurt/Main. Seine Aussage ist keine Einzelmeinung. Viele Logistikdienstleister fürchten, dass Prozessverbesserungen allein den Industrieunternehmen zugute kommen, während ihnen die Entgelte zusammengestrichen werden. Dementsprechend neigen sie dazu, an den in Pflichtenheften vereinbarten Prozessen festzuhalten. Damit geraten sie allerdings immer häufiger in Widerspruch zur Branchenlogik in der Automotiveindustrie. Dort integrieren sich die OEM (Original Equipment Manufacturer) und die Zulieferer immer mehr, um in dem wettbewerbsintensiven Markt gemeinsam Kosten zu senken oder die Produktivität zu verbessern. „Produktionsprozesse ändern sich immer rasanter und müssen kontinuierlich angepasst werden“, betont Michael Kaufhold, Logistikleiter der Brose Gruppe, einem führenden Hersteller von Sitzsystemen. Logistikdienstleister können bei dieser Dynamik nicht außen vor bleiben – ansonsten werden sie zum Hemmschuh und das Logistik-Outsourcing somit für die Verlader unattraktiv. Vielen Dienstleistern fehle das Verständnis dafür, dass es darum gehe, gemeinsam Verbesserungen umzusetzen – und nicht darum, die eigenen Erlösmöglichkeiten gegen Rationalisierungsmaßnahmen zu verteidigen, die im Sinne der gesamten Wertschöpfungskette nötig sind, stellt ein Branchenexperte klar. Dienstleister bemängeln hingegen, dass sie mit den finanziellen Folgen von abrupten Prozessänderungen oft genug allein gelassen werden. Welche Leistungen an Logistikdienstleistungen fremdvergeben werden, unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen. General Motors ist, ebenso wie Ford, beim Logistik-Outsourcing sehr weit gegangen. Das Unternehmen hat den Logistikdienstleister Gefco zum 4PL für die Beschaffungs- und Distributionslogistik in Europa gemacht. In der Ersatzteillogistik steckt Opel in einem Projekt mit dem Berliner Unternehmen 4Flow. „Durch die Partnerschaft mit dem 4PL-Dienstleister haben wir praktisch das gesamte Aufgabengebiet der Logistikaktivitäten transferiert. Neben dem reinen operativen Geschäft umfasst dies auch den Einkauf von Logistikleistungen und die Netzwerkplanung. Darüber hinaus arbeiten wir mit vielen anderen Unternehmen zusammen, die weitere Leistungen innerhalb der Supply Chain erbringen wie zum Beispiel Sequenzieren, ‚Kitting‘, Materialbereitstellung, Leergut-Handling und andere wertschöpfende Tätigkeiten“, sagt Susanna Webber. Offenheit und pro-aktive Ideen gefragt Und welche Anforderungen hat die GM-Vizepräsidentin an Speditions- und Logistikdienstleister? „Grundsätzlich erwarten wir ausgezeichnete Qualität im Service und konkurrenzfähige Geschäftsbedingungen für eine Partnerschaft. Außerdem legen wir viel Wert auf Kreativität bei der Beseitigung von Verschwendung und beim Ausschöpfen von Optimierungspotenzialen sowie auf eine offene und pro-aktive Einstellung, damit neue Ideen oder Konzepte entwickelt und umgesetzt werden.“ Weitere Schlüsselfaktoren seien Transparenz und absolute Verlässlichkeit. Andere Firmen halten sich beim Outsourcing deutlich mehr zurück. Die meisten OEM sehen zumindest die Logistiksteuerung als Kernkompetenz und scheuen sich davor, sich länger als unbedingt nötig an einen bestimmten Logistikdienstleister zu binden. „Das ist wie eine Verlobung: Festhalten und weitersuchen“, frotzelte Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL), auf dem Forum Automobillogistik. Bei Bosch sind neben Transport- und Lagerleistungen Bereitstellung, Management und Reinigung von Transportbehältern fremdvergeben, außerdem einfache Montagen, besonders in den Fällen, wo die Bosch-Werke weiter von Kunden entfernt sind. In Einzelfällen, so Reutter, würden auch der interne Materialfluss und die Verpackung fremdvergeben. Voraussetzung dafür: „Der Dienstleister muss Prozesssicherheit und Servicequalität herstellen können. Und er muss bereit sein, an kontinuierlichen Verbesserungsprozessen mitzuarbeiten.“ Interessant: Während bei Bosch die Transportaufgaben für KEP sowie für Luft- und Seefracht nach Regionen beziehungsweise zwischen Kontinenten nach Relationen vorwiegend an größere Dienstleister vergeben werden, haben im Warehousing und bei Landtransporten auch Mittelständler eine Chance. „Wir arbeiten durchaus mit Local Heros zusammen“, betont Andreas Reutter. Generell strebt der Zulieferer im Logistikbereich stabile Partnerschaften und den Aufbau von bevorzugten Dienstleistern an. Eine erhebliche Herausforderung für die gesamte Automobilbranche ist die Suche nach geeigneten Logistikkonzepten und -partnern für die Produktion auf anderen Kontinenten, insbesondere in der Boomregion Asien. Der Großteil der global aktiven OEM hat es sich zum Ziel gesetzt, die Produktion näher an die Absatzmärkte heranzubringen. Die Zulieferer folgen ihren Kunden. „Wir produzieren, wo wir verkaufen und kaufen, wo wir produzieren“, bringt es Susanna Webber auf den Punkt. Gesucht: Innerasiatische Logistiknetze „Die Verschiebung der Märkte nach Asien müssen wir auch logistisch bewältigen“, sagt Bosch-Manager Reutter. „In Asien gibt es nur wenige entsprechend den Anforderungen entwickelte Logistikdienste. Wir müssen dort Logistikpartner vor allem für Läger und Landtransporte finden und aufbauen.“ Die Global Players unter den Dienstleistern verfügen laut Reutter zwar über gute Netze zwischen den Kontinenten, tun sich aber bei innerasiatischen Landverkehren schwer. Derzeit arbeitet Bosch in Asien zum Großteil mit asiatischen Dienstleistern, die zumindest ein regionales Netz vorweisen. Auf einen anderen Trend macht Porsche-Logistikchef Jürgen Wels aufmerksam – als verbrauchernahe Branche legt die Automobilindustrie großen Wert auf Nachhaltigkeit. „Wir erwarten von unseren Dienstleistern, dass sie grüne Technologien nutzen und sich multimodal aufstellen. Wo es Sinn macht, sollte die Bahn für Transporte genutzt werden“, sagt Wels. ❙❚■ Björn Helmke, VR-Korrespondent in Hamburg Die Serie In der Automobillogistik als Dienstleister erfolgreich punkten Die neuen Chancen und Herausforderungen im Automotive-Markt VR 5: Interview mit Schenker-Kontraktlogistik-Chef Thomas Böger VR 6: Best Practice: die Volatilität erfolgreich beherrschen VR 7: Umfrage: Was die OEM und Automobilzulieferer in der Logistik fordern VR 8: Automobilzulieferer VR 9: Die Wachstumsmärkte in der Automobillogistik von morgen Interview, „Es gibt noch genug Wachstumsfelder“ Was Logistikdienstleister künftig in der Automobilbranche beherrschen müssen, sagt Bernd Gottschalk von Gottschalk Consult. Trotz lahmender Konjunktur in Europa sind die Automobile deutscher Hersteller weiter ein Exportschlager. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? Bernd Gottschalk: Die Unternehmen sind wettbewerbsfähig, technologisch führend, und sie bedienen Segmente, in denen sie diese Stärken voll ausspielen können. Trotzdem glaube ich, dass das deutsche Exportmodell zunehmend modifiziert wird. Die deutsche Automobilindustrie geht immer stärker dazu über, in ihren Absatzmärkten auch zu produzieren. Die Zukunft ist ein Mix aus Export und Produktion vor Ort. „Made-in-Germany“ wird immer mehr ergänzt durch „German Brand“. Die Produktion asiatischer, aber auch westeuropäischer Hersteller wandert immer stärker ins östliche Mitteleuropa und auch nach Osteuropa. Wird sich dieser Trend weiter fortsetzen? Das ist richtig, aber deutsche und asiatische Hersteller haben unterschiedliche Motive für ihr Osteuropa-Engagement. Für die deutschen Hersteller geht es um die Nutzung noch wettbewerbsfähigerer, kostengünstiger Produktionsstandorte. Zwischen den deutschen und osteuropäischen Standorten ist ein flexibles Netzwerk entstanden, das die jeweiligen Stärken zur Geltung bringt. Die asiatischen Unternehmen nutzen oft die osteuropäischen Standorte im Rahmen ihrer Markteintrittsstrategie; sie wollen über diese Flanke ihre Präsenz in den europäischen Traditionsmärkten verbessern. Haben auch Logistikdienstleister die Chance, sich stärker in der Wertschöpfung einzubringen? Absolut. Sie sind heute schon integrierter Teil der globalen Wertschöpfungskette – ohne ihre Leistungsfähigkeit wäre die Globalisierung der Produktion gar nicht denkbar. Die Versorgung von Werken rund um den Erdball kann heute keine interne Logistikabteilung mehr leisten. Wachstumsfelder gibt es noch genügend, etwa die innerbetriebliche Logistik oder das Materialmanagement. Wer dieses hart umkämpfte Geschäft versteht, hat gute Chancen als Wertschöpfungspartner. Was genau muss ein Logistikdienstleister können, um ein zukunftsfähiger Partner für die Automobilindustrie und deren Zulieferer zu werden oder zu bleiben? Er muss auf jeden Fall eine hohe Netzwerkqualität haben, muss multimodal aufgestellt sein und seine Wettbewerbsfähigkeit in jeder Lage unter Beweis stellen. Er muss ein verlässlicher Partner sein, der die Prozesse mit den Augen des OEM, ja sogar des Endkunden sieht. Entscheidende Faktoren sind dabei die Qualifikation, die Motivation und das Verantwortungsbewusstsein des Personals. Auch ökologisches Denken und Handeln wird für die Dienstleister der Automobilindustrie immer wichtiger. hel Die Top-Trends der Automobilbranche Die Integration von Liefer- ketten wird immer wichtiger Die Globalisierung der Automobilindustrie geht in die nächste Runde. Zahlreiche Hersteller gehen mit ihrer Produktion näher an die Absatzmärkte. Beispiel: Die Produktion neue C-Klasse von Mercedes läuft 2014 innerhalb weniger Monate auf vier Kontinenten an. In den letzten Jahren haben immer mehr asiatische Hersteller ihre Produktion in Osteuropa gestartet. Hindernis bei der Globalisierung ist der zunehmende Protektionismus, besonders in den Schwellenländern. Diese Staaten bauen Handelshemmnisse auf, um Wertschöpfung ins Land zu holen oder sie dort zu behalten. Das bedeutet für die Logistiker den Aufbau einer Versorgung von Montagewerken mit kleinen Mengen. Die Bündelung von Lieferungen verschiedener Zulieferer in Konsolidierungszentren wird dadurch wichtiger. Hersteller wie General Motors gehen zu einer „Total Cost Enterprise-Strategie“ über. Dabei werden für Einzelfunktionen suboptimale Lösungen akzeptiert, wenn sie für das Gesamtunternehmen zu einer kostenoptimalen Gesamtlösung führen. Die Integration von Lieferketten nimmt zu. Dazu tragen IT-Plattformen wie Axit oder Supply On bei, die von OEM und Zulieferern beziehungsweise von Zulieferern der unterschiedlichen Stufen (zum Beispiel 1stTier, 2ndTier) gemeinsam genutzt werden, um Kapazitäten und Bestände transparent zu machen. Von Logistikdienstleistern wird erwartet, sich in diese Plattformen einzuklinken. Uneinheitlich geht die Automobilindustrie in der Frage der Ansiedlung ihrer Lieferanten vor. Während einige Unternehmen aus Gründen der Risikominimierung und der Senkung von Transportkosten ihre Lieferanten in Werknähe präferieren, setzen andere OEM unvermindert auf die Produktion in Niedriglohnländern. Selbst Just-in-Sequence-Teile werden mittlerweile quer durch Europa zu den Montagewerken transportiert. Risikobetrachtungen spielen im Automotive-Segment eine immer größere Rolle. Sowohl OEM als auch Zulieferer verwenden viel Zeit darauf, ihre Lieferketten gegen die Folgen von Naturkatastrophen, politische Unruhen oder Streiks bei Lieferanten abzusichern. hel Dienstleister reagieren auf das Thema Innovation und Prozessverbesserung meist zurückhaltend „Es gibt nicht genug Dienstleister, die an der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Prozesse arbeiten“ Andreas Reutter, Geschäftsleiter zentraler Logistik-Bereich Robert Bosch Porsche erwartet von seinen Logistikdienstleistern, dass sie sich multimodal aufstellen

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