Seattle. Amazon ist innerhalb von 20 Jahren vom Online-Buchhändler zum weltgrößten Internet-Kaufhaus aufgestiegen – doch Konzernchef Jeff Bezos hat offenbar noch nicht genug. Sein Unternehmen dringt mit Hightech-Supermärkten in den stationären Einzelhandel vor und baut, fast nebenbei, ein Imperium der Lieferlogistik auf. Auch Zustelldienste wie UPS, DHL und FedEx müssen neben US-Shoppingriesen wie Walmart und Target bangen.
Denn Bezos setzt seinen Masterplan ohne Zögern durch: Ganz Amerika will der Amazon-Boss in den nächsten Jahren mit Service- und Logistikzentren überziehen. So sollen Bestellungen effizienter und unabhängiger von den etablierten Lieferdiensten abgewickelt werden. Der Personalbedarf für diese Expansionsoffensive ist enorm. „Wir planen, in den nächsten18 Monaten landesweit 100.000 neue Amazonians einzustellen“, kündigte Bezos jüngst an.
2016 wuchsen Amazons Erlöse um ein Viertel
Diese großspurigen Ziele scheinen bei näherer Betrachtung durchaus realistisch. Seit 2011 stieg die Zahl der Mitarbeiter bereits von 30.000 auf mehr als 180.000. Amazon sichert sein Turbo-Wachstum seit Jahren mit Milliarden-Investitionen und ist inzwischen eine Weltmarke – längst nicht mehr nur im Online-Shopping. Ob bei Internet-TV oder Cloud-Diensten, dem hochprofitablen Geschäft mit Rechenleistung aus dem Netz: Bezos strebt die Führung an.
Die am Donnerstagabend veröffentlichten Jahreszahlen für 2016 zeigen, welche Dominanz Amazon bereits erreicht hat. Die Erlöse legten um über ein Viertel auf 136 Milliarden Dollar zu, der Gewinn stieg von 596 Millionen auf 2,4 Milliarden Dollar. Nachdem hohe Ausgaben lange Zeit für Verluste gesorgt hatten, schaffte Amazon zum Jahresende das siebte Quartal in Folge schwarze Zahlen. Das gefällt auch den Anlegern – die Aktie steht im Jahresvergleich mit über 50 Prozent im Plus.
Eigene Lieferinfrastruktur trifft UPS, FedEx und DHL
Der Amazon-Chef hat offenbar weitere ehrgeizige Pläne. Die offizielle Sprachregelung verbietet zwar jegliche Kampfansagen an die klassischen Zustelldienste wie UPS, FedEx oder auch die Deutsche-Post-Tochter DHL. Bei der Telefonkonferenz mit Analysten am Anschluss an die Bilanzvorlage betonte das Management erneut die Verbundenheit mit den Logistikpartnern und vermied den Eindruck eines direkten Wettbewerbs.
Doch die Ambitionen, eine eigene Lieferinfrastruktur aufzubauen, lassen sich nicht von der Hand weisen. In den USA betreibt Amazon bereits eine eigene Lieferwagen- und Flugzeug-Flotte. Mit dem am Dienstag angekündigten Bau eines Frachtflughafens im Bundesstaat Kentucky folgt nun der nächste Schritt zur Unabhängigkeit von externen Lieferdiensten.
Die Eroberung des Marktes, auf dem UPS und FedEx einen gefestigten Vorsprung haben, wäre zwar ein finanzieller Kraftakt. Aber Bezos hat oft bewiesen, dass hohe Investitionen ihn nicht schrecken. Eine Scheibe des auf einen Jahresumsatz von rund 400 Milliarden Dollar geschätzten globalen Zustellmarktes wäre äußerst lukrativ.
Amazon mischt zuhause und im Einzelhandel mit
Amazons Zukunftsplanung ist darauf ausgerichtet, Märkte umzukrempeln – wie bereits beim Buchhandel und E-Commerce geschehen. Der Konzern dringt mit „Dash“-Bestellknöpfen und Bestellungen auch per Sprachbefehl über den Amazon-Lautsprecher „Echo“ immer massiver ins Alltagsleben seiner Kunden vor.
In Seattle startete Amazon im Dezember seinen ersten Supermarkt ohne Kassen. Sensoren machen den Einkauf mittels Smartphone ohne Warteschlange möglich. Amazon könnte damit den Einzelhandel zu revolutioneren.Noch steckt der Service in der Testphase und ist nur für Mitarbeiter verfügbar. Doch im Laufe des Jahres soll das Geschäft für die breite Kundschaft öffnen, danach könnte das Konzept in Serie gehen. (dpa/jt)