Alles aus dem Netz

Es war der Überraschungsdeal des Monats: Am 29. Juni gab DB Schenker bekannt, mit der US-Frachtenbörse Uship kooperieren zu wollen. Man habe einen "Millionenvertrag" abgeschlossen, hieß es aus der Berliner Zentrale. Anfang 2017 soll die Kooperation erste Früchte tragen, dann nimmt die Plattform "Drive4Schenker" den Betrieb auf, über die Frachtführer einfach zusätzliche Ladungen akquirieren können sollen (siehe Kasten Seite 22). Zunächst soll die Börse in Deutschland und ausgewählten europäischen Ländern verfügbar sein, später will Schenker sein ganzes europäisches Landverkehrsnetz integrieren. Die Technik im Hintergrund kommt von Uship. Zwei Punkte sollen die neue Börse auszeichnen: Zum einen ist sie für den mobilen Zugang per Handy oder Tablet optimiert, zum anderen sollen möglichst viele Teile eines Transportauftrags digital abgewickelt werden - von der Preisbildung über das Tracking bis zur Bewertung des Frachtführers. Kommt damit die Uberisierung der Logistik auf die Unternehmen zu (siehe Kasten Seite 20)? Dieses Wort elektrisiert momentan förmlich die Branche. Es leitet sich vom amerikanischen Taxidienst Uber ab, der in den vergangenen Jahren weltweit die Märkte erobert hat. Sein Erfolgsgeheimnis ist, dass er im Prinzip jedermann zum potenziellen Taxifahrer macht: Wer Passagiere befördern will, muss sich nur die Uber-App aufs Handy laden und kann nach einer kurzen Überprüfung durch das Unternehmen Aufträge übernehmen. Aufträge aus ganz Europa akquirieren Nach dem gleichen Strickmuster dringt der rasant wachsende Konzern auch in den KEP-Markt vor. Seit letztem Jahr stellen Uber-Fahrer in einigen US-Großstädten auch Pakete zu (Same-Day-Delivery) und einige Experten erwarten, dass sich dieses Geschäftsmodell auch auf dem Markt für Stückgut oder Komplettladungen verbreiten wird (siehe Interview Seite 21). Stimmt das, und wenn ja, was bedeutet das für die klassischen Frachtenbörsen? Fest steht: Die Digitalisierungswelle rollt und an der Spitze stehen die Frachtenbörsen. Früher waren sie nur Informationsanbieter, die Verlader und Spediteure zusammenbrachten und es ihnen überließen, das Geschäft abzuschließen. Doch sie entwickeln sich weiter. "Wir wollen noch stärker in die Transaktion reingehen und uns weiter zur digitalen Transportplattform ausbauen", bestätigt Marcel Frings, Sprecher von TimoCom. Einen neuen digitalen Zusatzservice hat der Platzhirsch vergangenen November vorgestellt: ein Chatprogramm (Messenger genannt), mit dem sich die Kunden untereinander austauschen können. Um das Geschäft mit internationalen Anbietern zu vereinfachen, plant TimoCom, Anfragen in 25 Sprachen zu übersetzen und sie als Textbaustein zur Verfügung zu stellen. "Wir wissen, dass es bei 37 Prozent der Aufträge sprachliche Probleme gibt", sagt Frings. Einen echten Übersetzungsservice bietet TimoCom nicht an - absichtlich, wie Frings betont. Die Technologie entspräche noch nicht den Qualitätsansprüchen. Dies könnte sich aber bald ändern: Beim Internet-Telefondienst Skype zum Beispiel ist eine Funktion zur maschinellen Sofort-Übersetzung von Kurznachrichten schon integriert und dank rasanter Fortschritte bei künstlicher Intelligenz arbeitet sie erstaunlich gut. Mit solchen Diensten werden auch Frachtenbörsen wohl bald ihr Angebot anreichern. Der Vorteil für die Nutzer liegt auf der Hand: Dank Übersetzungsfunktion könnten selbst Disponenten ohne perfekte Sprachkenntnisse Aufträge aus ganz Europa akquirieren. Als weiteren Zusatzservice führt TimoCom im dritten Quartal dieses Jahres einen integrierten digitalen Dokumentenspeicher ein. Darin können Marktteilnehmer zum Beispiel Lizenzen oder Versicherungsbelege hinterlegen, sodass sie nicht bei jedem zusätzlichen Geschäftskontakt erneut verschickt werden müssen. Die Stoßrichtung ist klar: Man will der Branche helfen, vom Papier weg zu kommen. Das ist auch dringend nötig, denn die Logistik liegt beim Thema Digitalisierung im Vergleich mit anderen Industrien weit zurück, das ergab erst unlängst eine Studie des deutschen Unternehmens D.Velop. Nur in jedem fünften Unternehmen sind die Geschäftsprozesse schon überwiegend papierlos organisiert. Deshalb werden sich die Transportplattformen in Zukunft noch stärker als digitale Entwicklungshelfer positionieren. In eine ähnliche Richtung zielt auch Teleroute, einer der europaweit größten Fracht-Marktplätze. "Die Kunden wünschen sich eine bessere Integration in ihr IT-Ökosystem, um Echtzeitinformationen zur Verfügung zu stellen und damit allen Beteiligten Mehrwert zu liefern", sagt Antoine Bertrandy von Wolters Kluwer Transport Services, dem Betreiber von Teleroute. Der Vertriebsdirektor Europa kann sich vorstellen, dass die Frachtenbörsen künftig in größerem Maß direkt an Flottenmanagementund Sendungsverfolgungssysteme andocken. Als zweites großes Thema nennt Bertrandy weiterhin den Komplex Sicherheit und Compliance (Regeleinhaltung im Geschäft). Die Frachtenbörsen müssten sicherstellen, dass es die Kunden auf der Plattform nur mit vertrauenswürdigen Dienstleistern zu tun haben. Marktkenner äußern sich skeptisch Bei TimoCom soll es ab 2017 sogar möglich sein, einen Auftrag direkt über die Plattform zu vergeben; bisher handeln die Geschäftspartner dies noch individuell aus. Flapsig ausgedrückt: Damit käme der "Kaufen"-Knopf für den Transportauftrag und TimoCom würde sich weiter Internetgrößen wie Amazon annähern. Frings hält diese Entwicklung für folgerichtig. "Was im Privatleben genutzt wird, erwarten die Menschen auch im Geschäftsalltag." Folgt man dieser Argumentation, könnten die Frachtenbörsen irgendwann gar die Zahlungsabwicklung übernehmen - genau wie man bei Ebay die ersteigerte Ware auch direkt per Paypal bezahlen kann. Doch davor schreckt man bisher zurück. "Das wäre disruptiv", räumt Teleroute-Mann Bertrandy ein, im Gespräch sei das nicht. Auch TimoCom sieht diesen Service nicht bald kommen. Frings verweist darauf, dass viele Akteure in der Transportbranche noch nicht bereit seien für so eine voll digitalisierte Welt. "Man muss alle Anbieter mitnehmen." Auch die Ausschreibungsplattformen entwickeln ihre Dienste kontinuierlich weiter. Dort stellen Verlader langlaufende Kontrakte ein, bei denen es oft um komplexe Logistikleistungen und siebenstellige Summen geht. Schnelles Durchklicken zu Auftrag und Apps spielen in diesem Geschäft zwar keine Rolle, dennoch tüfteln auch hier die Plattformbetreiber an digitalen Hilfen. "Ab dem Herbst bieten wir ein neues Werkzeug an, mit dem ausschreibende Unternehmen die Angebote vergleichen können", sagt Johannes Schmidt, Geschäftsführer der Plattform Cargoclix. Der Hintergrund: Ein Logistikauftrag lässt sich häufig auf mehrere Arten vergeben. Angenommen, es werden zehn Linien ausgeschrieben, kann entweder ein Dienstleister alle übernehmen oder die Linien werden auf mehrere Anbieter verteilt. Mit dem neuen digitalen Werkzeug hat der Verlader die Möglichkeit, verschiedene Optionen am Bildschirm durchzuspielen. Dabei lassen sich, neben dem Preis, zusätzliche Qualitätskriterien wie Laufzeiten oder Größe des Anbieternetzes hinzufügen und gewichten. Das Programm wird über eine grafische Oberfläche gesteuert, lässt sich also leicht erlernen. Es könnte indirekt sogar Vorteile für Dienstleister bringen, da es das Augenmerk des Verladers weg vom reinen Preis lenkt. Mit einem neuen Geschäftsmodell - dem einer Online-Spedition - startete im April die Firma Überland: Geschäftsführer Stefan Dörfelt beschreibt den Unterschied zur klassischen Spedition so: "Bei uns findet alles digital statt, von der Buchung bis zur Abrechnung." Verlader aus Industrie und Handel schließen mit Überland den Vertrag ab, ein Frachtführer aus dem Partnernetz führt den Auftrag dann im Selbsteintritt aus; für die Dienstleister ist die Nutzung der Plattform gratis, den Dokumentenaustausch und die Abrechnung übernimmt Überland. Wichtiges Kennzeichen des Newcomers ist, dass der gesamte Auftrag über eine Handy-App abgewickelt wird. Also wie bei Uber. Dennoch hält Geschäftsführer Dörfelt nichts von der prognostizierten Uberisierung der Logistikwelt. Er verweist auf die großen Unterschiede zwischen Taxi- und Transportgeschäft. "Über Uber werden Nachfrager und Anbieter ad hoc zusammengebracht. Natürlich kann man auch bei uns einen Lkw von jetzt auf gleich bekommen, doch das ist nicht das Hauptgeschäft", betont er. Große Mengen würden anders vergeben, die Kontraktlogistik lasse sich nicht über einen Spotmarkt abbilden. "Logistik braucht sicher digitale Optimierung, wie Uber sie bietet, aber sie bleibt ein People Business, in dem es zum Beispiel auch mal Rückfragen gibt", resümiert Dörfelt. Ähnlich skeptisch äußern sich auch andere Marktkenner zur vermeintlichen Uberisierung. "Das funktioniert im Privatbereich gut, im B2B-Geschäft dürfte das schwierig sein", meint TimoCom-Sprecher Frings. Man könne nicht eine Palette aufladen, wie man ein Paket zur Haustür liefert. Zudem gebe es im gewerblichen Güterkraftverkehr zu viele Regularien, um Dienstleistungen an ungeprüfte Akteure zu vergeben. Teleroute pflichtet dem bei. "Ist die Uberisierung wirklich für alle Transportflüsse geeignet, egal um welche Distanzen oder Güter er sich handelt? Ich denke nicht", so Vertriebsleiter Bertrandy. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Frachtenbörsen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Digitaler Wandel Studie: Die "Uberisierung" des Transports Die internationale Transport- und Logistikindustrie steht aufgrund der Digitalisierung vor einer tief greifenden Innovationswelle. "Diese ermöglicht neuen Wettbewerbern mit einem intelligenten, disruptiven Geschäftsmodell, den etablierten Akteuren Kunden streitig zu machen." Das zeigt der aktuelle Branchenreport "Transport & Logistics" der Managementberatung Oliver Wyman. Die Berater begründen dies damit, dass diese neuen Marktteilnehmer mittels der Digitalisierung schnell eine kritische Masse an Kunden erreichen könnten, ohne dafür viel in physische Infrastruktur investieren zu müssen. Die neue Studie steht unter www.oliverwyman.de zum Download bereit. eh Teil- und Komplettladungen Schenker startet neue Internetplattform im Landverkehr DB Schenker startet offiziell"Drive4Schenker". Ziel dieser Initiative ist es, dass Anfang 2017 die gesamte Zusammenarbeit im Teil- und Komplettladungsgeschäft zwischen Schenker und Frachtführern über eine Internetplattform abläuft: vom Hochladen des Transportauftrags, der Preisvereinbarung und Vergabe an den Frachtführer über das Monitoring des Transports bis hin zur elektronischen Abrechnung mit dem Frachtführer in der letzten Ausbauphase, beschreibt es Erik Fox, Vice President Direct Road der Schenker AG. Gestartet wird damit zunächst in Deutschland, im nächsten Schritt soll die Lösung europaweit ausgerollt werden - mit dem Schwerpunkt Kontinentaleuropa.Schenker übernimmt PreiskalkulationDafür hat das Speditions- und Logistikunternehmen einen fünfjährigen Vertrag mit der US-Online-Frachtenbörse Uship für die exklusive Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet. Uship ist laut Fox insbesondere in den USA stark und vereinzelt in Europa tätig, unter anderem in England. Auftraggeber sind zum Beispiel Nutzer von Onlineplattformen wie Ebay. Insgesamt arbeitet die Frachtenbörse mit 600.000 Carriern zusammen. "Uship hat die neue Technologie und unser Unternehmen hat das Frachtvolumen", fasst er zusammen.Das Projekt Drive4Schenker läuft in drei Phasen ab: In der ersten Phase haben sich dafür laut dem Manager bislang fast 26.000 Frachtführer auf der Internetplattform registriert und wurden dafür von Schenker autorisiert. Sprich: Sie wurden in puncto Zuverlässigkeit, Qualität, Bonität, Versicherungen, Equipment und vielen anderen Kriterien bewertet. Einzige Voraussetzung ist die Ausstattung mit Internet und Android-Smartphone. Diese Phase ist laut Fox weitgehend abgeschlossen. Die Frachtführer, die diesen"Preferred Carrier"-Prozess durchlaufen haben, sollen künftig in der Auftragsphase bevorzugt behandelt werden, betont er. Und in der nun folgenden zweiten Phase wird Schenker sein Spot-LTL- und FTL-Geschäft, also tagesaktuelle Ladungen, ab Anfang 2017 über die Internetplattform täglich neu verchartern."Möglichst alles elektronisch, also ohne Telefonate und ohne Fax."Für Frachtführer hat Drive4Schenker laut Fox unter anderem folgende Vorteile. Sie können "sehr einfach und schnell auf Ladungen zugreifen und ihre Lkw so besser auslasten.Zudem werden ihre Fahrer mittels Fahrer-App direkt zum Beladepunkt der Ladung gelotst", führt er aus. Zudem werde Schenker seine Transportpartner im nächsten Schritt" dabei unterstützen, ihre bestehenden Frachtpreise zu gestalten - in aller Fairness" (Fox), sprich für diese die Preise kalkulieren. Frachtführer, die diesen Prozess durchlaufen haben, könnten sogar - ohne jegliche Rücksprache nehmen zu müssen - sofort auf die Ladung zugreifen, sobald diese auf der Plattform angezeigt sei. Schenker selbst verspricht sich laut Fox vor allem eine effizientere und dadurch kostengünstigere Transportabwicklung - auch durch die Reduzierung des Frachtpapier-Aufkommens. "Zudem können wir schneller auf freie Frachtkapazitäten unserer Transportpartner zugreifen." Vorteil für die Auftraggeber sei, dass sie durch das elektronische Monitoring der Transportprozesse über jeden einzelnen Schritt online informiert seien - bis hin zur Auslieferung ihrer Waren inklusive Foto, betont Fox. In der dritten und letzten Ausbaustufe von Drive4Schenker könnten diese und neue Kunden als Alternative, voraussichtlich in ein, zwei Jahren, ihre Aufträge sogar nicht einmal an die Schenker-Niederlassungen vor Ort übermitteln, sondern sie direkt auf der Internetplattform platzieren und dann unter eigener Verantwortung die Fracht selbst managen; wie ein "SelfServe Marketplace".Macht sich Schenker selbst überflüssig?Sorge, dass sich Schenker mit der neuen Lösung als Spediteur einmal überflüssig macht, hat Fox nicht, da dies ausschließlich das Teil- und Komplettladungsgeschäft betreffe. See- und Luftfracht- sowie Stückgutsendungen sowie Logistikaufgaben würden nach wie vor über die Schenker-Niederlassungen abgewickelt werden. Gleichwohl steht für ihn fest: "Mittelfristig werden wir durch die IT-Neuerungen völlig neue Geschäftsmodelle haben. Die Speditionswelt von morgen sieht ganz anders aus als heute." Auch die Reisebüro-Branche und ihr Geschäftsfeld hätten sich durch das Internet in den vergangenen Jahren komplett gewandelt. Fox: "Schenker treibt digitale Innovationen voran, um auch auf den Märkten von morgen und bei den Kunden von morgen erste Wahl zu bleiben." eh