Die Chemie muss stimmen

Das Outsourcing von Logistikleistungen an einen Dienstleister ist fast schon tägliche Praxis - aber dennoch alles andere als ein Selbstläufer. Die Übergabe solcher Leistungen fordert die Beteiligten immer wieder aufs Neue heraus. Denn jedes Outsourcingprojekt ist ein Unikat, für das es kein Patentrezept gibt, wie das Beispiel des Chemiehändlers IMCD zeigt, der seine Logistik an den Dienstleister Infraserv Logistics ISL übergeben hat. Die Akteure müssen sich mit den Rahmenbedingungen für beide - den Übertragenden wie für den Übernehmenden - vertraut machen. Sie müssen Ziele festlegen, Abläufe definieren und in der täglichen Praxis mit den Widrigkeiten des Alltags zurechtkommen, soll ein solches Projekt eine Erfolgsgeschichte werden. Die Rahmendaten: IMCD IMCD Deutschland gehört zu der niederländischen IMCD Gruppe, einem Unternehmen, das mit Chemieprodukten handelt (siehe auch Kasten Seite 24). Von Deutschland aus bedient das Unternehmen 3100 Kunden, vorwiegend in Deutschland, aber auch in Europa. "Europaweit ist unsere Philosophie: Wir konzentrieren uns auf den Handel mit Chemikalien und betreiben keine eigenen Lager oder einen eigenen Fuhrpark, sondern steuern unsere Dienstleister", sagt Martin Vermaßen, Manager Logistics bei IMCD Deutschland. Vor dem Outsourcing an ISL hatte IMCD das Geschäft an sechs Dienstleister vergeben. "Mit unserem Wachstum hatte sich auch unser Produktportfolio im Laufe der Zeit immer mehr ausgedehnt, zudem stiegen die Anforderungen an die Lagerhaltung. Daher mussten wir neue Lagerstandorte bei unseren Dienstleistern akzeptieren, zum Teil auch neue Dienstleister mit ins Boot holen", schildert Vermaßen. Die Folge waren eine steigende Komplexität, ein höherer Verwaltungsaufwand und zunehmende Bestände. Die Rahmendaten: Infraserv Logistics Warum für ISL die Übernahme der Logistik von IMCD alles andere als ein alltägliches Geschäft war, wird aus der Historie des Unternehmens deutlich. Die Mutter von ISL, die Infraserv, wurde 1997 gegründet, um im Industriepark Höchst Standortservices für die dort ansässigen Unternehmen zu erbringen. Dazu gehört auch die Logistik, für die ISL zuständig ist. "Wir machen in Höchst Standortlogistik: Von der Ver- und Entsorgung der Unternehmen, beginnend beim Tor, Lagerung jeglicher Behälter bis hin zur Versorgung des hiesigen Kraftwerks mit Kohle über eine werkseigene Güterbahn", schildert Sven Frerick, Leiter Marketing und Vertrieb bei ISL, das umfangreiche Spektrum. Doch bei ISL hat man gemerkt, dass in den vergangenen Jahren der Wettbewerbsdruck zugenommen hat und die im Industriepark ansässigen Firmen auch schon mal andere Dienstleister beauftragen. "Das war ein Zeichen, dass wir uns für Kunden auch außerhalb des Industrieparks öffnen müssen und als Logistikdienstleister in Wettbewerb zu anderen Anbietern in der Chemie- und Pharmalogistik treten wollen", sagt Frerick. Mit der Erbringung von Leistungen für die Ansiedler im Industriepark war auch verbunden, dass ISL es bislang vorwiegend mit Unternehmen aus der Großindustrie zu tun hatte. Die verschickt die Waren auf Paletten und hat in der Regel keine so engen Zeitfenster. Bei der IMCD sehen die Anforderungen hingegen anders aus: Das Logistikvolumen von IMCD Es sind die klassischen Logistikbereiche, die IMCD Anfang 2013 ausschreibt: Beschaffung, Lagerung und die Distribution zum Kunden für das gesamte Logistik- mit Ausnahme des Food-Geschäfts und der Abfüllung von Flüssigkeiten. In der Beschaffung handelt es sich vorwiegend um Rohstoffe aus der organischen Chemie. "Zu etwa 20 Prozent beziehen wir diese Ware aus Übersee: Der Dienstleister sollte also auch die Nachläufe aus den Westhäfen organisieren, nach Möglichkeit per Bahn oder Binnenschiff, und die Verzollung übernehmen", sagt Vermaßen. Dazu kommt die Übernahme der per Lkw gelieferten Waren. Hinsichtlich der Lagerung sind die für einen Chemiehändler selbstverständlichen Anforderungen an die Lagerung von Gefahrgut zu erfüllen: Als Beispiel seien hier die Vorgaben hinsichtlich der Gefahrgutverordnung genannt, eine entsprechende Ausbildung der Mitarbeiter sowie bauliche Einrichtungen für die Lagerung von Gütern in unterschiedlichen Temperaturbereichen. Die Distribution an die 3100 Kunden von IMCD Deutschland erfolgt dann per Lkw. Pro Jahr handelt es sich um 12.500 Sendungen, in der Regel um kleinere Sendungsgrößen bis zu einer Verpackungseinheit. "Ziel der Ausschreibung war es, vor allem die Komplexität der bisherigen Strukturen mit mehreren Anbietern zu reduzieren und zugleich mit dem neuen Dienstleister die Möglichkeit zu haben, ein Wachstum zu erzielen, ohne neue Lagerstandorte aufmachen zu müssen", erläutert Vermaßen. Aber auch einige Verbesserungen, wie ein Track & Tracing, das es vorher nicht gab, sollten Teil der neuen Vereinbarung sein. Die Auswahl des neuen Dienstleisters und die Vorteile für IMCD/ISL Anfang 2013 hat IMCD mit der Ausschreibung begonnen. Acht Kandidaten standen zur Auswahl. Die Bewerber wurden besucht. Letztlich hat ILS das Rennen gemacht. "Hier in Höchst konnten an einem Ort viele unserer Anforderungen erfüllt werden", nennt Vermaßen einen Grund. Es gibt in Höchst ein Terminal, über das mit Bahn oder Binnenschiff die Ware aus den Westhäfen angeliefert werden kann. Frankfurt liegt für eine Auslieferung zentral und ist vom IMCD-Standort in Köln gut erreichbar. "Der Spezialisierungsgrad ist hier in allen Bereichen hoch, egal, ob das Zollfragen, die IT oder das Thema Gefahrgut betrifft", nennt Vermaßen einen weiteren Vorteil. Gerade in Zeiten, in denen die Kunden von IMCD immer höhere Ansprüche stellen würden, sei es wichtig, dass IMCD mit ILS auf einen Dienstleister zurückgreifen könne, der fast alle wesentlichen Marktanforderungen selbst erfüllen kann. Doch IMCD profitiert nicht nur vom Know-how der ISL. "Ja, natürlich haben wir damit auch 2,50 Euro gespart", sagt Vermaßen, und beide - Vermaßen und Frerick - müssen bei diesen Worten lachen. Denn zu den genauen Einsparungen hält sich Vermaßen erwartungsgemäß bedeckt. Frerick ergänzt, dass IMCD immer auf eine Betrachtung nach dem Prinzip des "total cost of ownership", also der gesamten Kosten eines Prozesses, Wert gelegt habe. Vermaßen stimmt ihm zu: "Wir haben uns bei der Ausschreibung nicht nur auf die Kosten fokussiert, sondern wollten über eine Verringerung von Standorten eine Reduzierung der Komplexität erreichen." Positiv hat sich mit dem Outsourcing die Auslieferleistung entwickelt. "Unsere Auslieferquote hat sich hinsichtlich Pünktlichkeit und Vollständigkeit um fünf Prozentpunkte auf 97 bis 98 Prozent verbessert", sagt Vermaßen. Doch auch ISL zeigt sich zufrieden, nicht nur, weil dieser neue Auftrag zusätzliche Einnahmen in die Kassen spült und dazu beiträgt, die Auslastung der Lager zu erhöhen. Wichtig war es ISL auch, einen großen Kunden außerhalb des Industrieparks zu gewinnen und damit nach außen dokumentieren zu können, dass ISL mehr ist als ein Logistikmanager eines Industrieparks. Die Folge: "Mittlerweile ist der Fremdmarktanteil auf 20 Prozent gestiegen", sagt Frerick. Auch deshalb, weil ISL aus dem Projekt mit IMCD gelernt hat. Denn wie bei jedem Outsourcing-Projekt lief auch bei IMCD/ISL nicht alles von Anfang an rund. Die Probleme beim Outsourcing und wie sie gelöst wurden "Man kann im Vorfeld versuchen alle Abläufe in Form von Verfahrensanweisungen festzuhalten: Doch Papier ist geduldig. Und am Ende wird man immer wieder von der Realität überholt", fasst Vermaßen seine Erfahrungen aus den Anfangszeiten des Projektes zusammen. Ein Beispiel war die Erfassung von Stammdaten in der IT: "Wir verkaufen keine Palette, wir verkaufen die Waren in Kilo oder Liter", sagt Vermaßen. In der IT von ISL muss jedoch zwingend das Packmittel angegeben werden. Eine Anpassung der Daten war notwendig. Auch die Kleinteiligkeit in Verbindung mit der Schnelligkeit, mit der Produkte zur Verfügung stehen müssen, war ISL vorher so nicht gewohnt. "Bei IMCD sind für unsere Kollegen die Verkäufer die Ansprechpartner", sagt Frerick. "Die stehen natürlich viel mehr im Fokus ihrer Kunden, reagieren auf deren Bedürfnisse direkter als die Logistiker, mit denen wir es auf Industrieseite bislang zu tun hatten." Hinzu kam, dass ISL mit einem höheren Anteil an Waren für das automatische Hochregallager gerechnet hat. "Wir mussten dann feststellen, das kippt ins Gegenteil. Das hat uns vom Lagerkonzept und vom Personalaufwand Probleme bereitet", sagt Frerick. Und wie löst man diese Probleme? Wenn bei IMCD die Ware nicht zu dem Zeitpunkt da ist, die man dem Kunden versprochen hat? Wenn die einzulagernden Mengen bei ISL andere sind als ursprünglich mit IMCD geplant? "Man muss miteinander reden, gemeinsam das Problem anpacken und beiderseits auch mal Kompromisse eingehen", sagt Vermaßen. "Wir haben dann ein Customer Service Team eingerichtet mit festen Ansprechpartnern auf beiden Seiten, die nach Lösungen gesucht haben", sagt Frerick. "Das war eine ganz entscheidende Maßnahme", lobt Vermaßen und ergänzt, wie es sich für einen fordernden Kunden gehört: "Das hätte man auch früher machen können." "Für uns war das auch ein wichtiger Lernprozess", sagt ISL-Manager Frerick. Bei Produzenten sei das Produktportfolio fast immer gleich. "Bei Chemiehändlern verschiebt es sich immer wieder. Auch darauf mussten wir uns einstellen." "Am Ende sind es immer Menschen, die Geschäfte machen", sagt Vermaßen rückblickend. Gerade bei einem Outsourcing-Projekt sei es wichtig, dass die Mitarbeiter beider Seiten miteinander sprechen, die jeweilige andere Seite und deren Prozesse kennen und verstehen lernen. Frerick ergänzt: "Wenn ein Outsourcingprojekt erfolgreich sein soll, muss die Chemie stimmen." Vermaßen nickt zustimmend. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Chemielogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten und Fakten Spezialist für Chemielogistik - gegründet: 2000 als 100-prozentige Tochter der Infraserv GmbH & Höchst KG- Umsatz 2014 : 76,0 Millionen Euro (+ 4,9 %)- EBIT 2014: 814.000 Euro (- 9,4 %)- Mitarbeiter: 472- Anbieter von logistischen Dienstleistungen für die Chemie- und Pharmaindustrie (Lagerung, Kommissionierung und Transport unter anderem von Gefahrstoffen und Pharmaprodukten) sowie ein Lager mit 180.000 Paletten-Stellplätzen Daten und Fakten Spezialist für Chemiehandel - Tochter der IMCD N.V. mit Sitz in Rotterdam, die 2015 mit 1700 Mitarbeitern einen Umsatz von 1,53 Milliarden Euro macht- Umsatz 2014 IMCD Deutschland: 207,7 Millionen Euro (+ 3,6%)- Jahresüberschuss IMCD Deutschland: 9,2 Millionen Euro (+ 42,4%)- Mitarbeiter: 134- Tätigkeitsfeld: Verkauf, Vermarktung und Distribution von Spezialitätenchemikalien und Nahrungsmittelzusatzstoffen

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