Alle Hände voll zu tun

Fast könnte man meinen, dem Lkw geht es an den Kragen. Zumindest in den Seehäfen. Denn die Hafenbetreiber in den großen Seehäfen wollen vor allem die Bahn und das Binnenschiff fördern. Werden diese Planungen tatsächlich Realität, kommt einiges zu auf Bahn und Binnenschiff. Aber keine Bange, auch der Lkw wird nicht leer ausgehen, er bleibt unverzichtbar. Denn die Mengen in den Seehäfen steigen weiter kräftig an. So geht beispielsweise das Bundesverkehrsministerium in seiner Verkehrsprognose 2030 davon aus, dass der Seehafenhinterlandverkehr in Deutschland zwischen 2010 und 2030 um 54 Prozent zunimmt. Davon profitieren alle Verkehrsträger im Hinterland, auch der Lkw. Bahn und Binnenschiff im Vorteil Die Aussagen der großen Seehäfen zum Containerverkehr sind eindeutig und allesamt gleich: Der Anteil von Bahn und Binnenschiff am Modal Split soll weiter erhöht werden. Zum einen aus ökologischen Gründen, zum anderen, um die Straßeninfrastruktur in und zu den Häfen nicht noch stärker zu belasten. Aber auch die immer größeren Containerschiffe und deren steigende Anzahl sind eine Ursache: "Diese Schiffe bringen eine Vielzahl von Containern in einem kurzen Zeitraum. Binnenschiffe und Züge sind in der Lage, größere Mengen an Containern ins Hinterland zu bringen als der Lkw und damit Platz im Hafen zu schaffen", nennt Pascale Pasmans, Abteilungsleiterin "Intermodalität und Hinterland" im Hafen Antwerpen, einen weiteren Grund. 2015 hat sich der Hinterlandverkehr mit Containern in den Seehäfen unterschiedlich entwickelt. In Hamburg wurde ein leichtes Plus beim Transport von TEU (20-Fuß-Container) in Höhe von 0,2 Prozent registriert - und das, obwohl der Gesamtumschlag um 9,3 Prozent rückläufig war. Der Grund für die verhältnismäßig gute Entwicklung im Hinterlandverkehr: Der Transhipment-Umschlag (also der Weitertransport von Containern auf andere Seeschiffe) brach um 22,0 Prozent ein. Erfreut zeigt man sich in Hamburg über die Entwicklung im Schienengüterverkehr: Der nahm überproportional um 2,8 Prozent auf 2,3 Millionen TEU zu. Ähnlich war die Entwicklung bei der HHLA, Terminalbetreiber im Hamburger Hafen. Der Containerumschlag an den drei Terminals brach zwar um 12,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. Doch das Aufkommen im Containerhinterlandverkehr wuchs um 2,7 Prozent. "Die Bahngesellschaften Metrans und Polzug legten um fünf Prozent auf 1,0 Millionen TEU zu. Der Straßentransport hingegen verringerte sich auch aufgrund der schwierigen Verkehrsbedingungen im Großraum Hamburg um knapp 5 Prozent auf 0,3 Millionen TEU", sagt Klaus-Dieter Peters, Vorstandsvorsitzender der HHLA. Bremerhaven hat für 2015 noch keine Zahlen zum Hinterlandverkehr vorliegen. Doch da die Zahl der umgeschlagenen Container 2015 um 4,3 Prozent auf 5,546 Millionen TEU rückläufig war und für den Hafen Transhipment-Verkehre keine so große Rolle spielen wie beispielsweise in Hamburg, muss man davon ausgehen, dass sich der geringere Umschlag im Hinterlandverkehr bemerkbar gemacht hat. Auch in Rotterdam ging der Umschlag mit den Boxen zurück. 12,234 Millionen TEU wurden 2015 im größten Containerhafen Europas registriert - 0,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Hafenhinterlandverkehr mit Containern legte jedoch leicht um 5,3 Prozent zu. Der Gewinner unter den großen Nordseehäfen war 2015 Antwerpen. Mit einem Volumen von mehr als 9,6 Millionen TEU wurden im Vergleich zum Vorjahr 7,5 Prozent mehr Container umgeschlagen. "Der Containerhinterlandverkehr hat um 14 Prozent zugenommen", sagt Pasmans. Allerdings schränkt sie ein: "Durch den Umzug eines großen Terminals von MSC sind viele Container mit Binnenschiff vom alten zum neuen Terminal transportiert worden. Diese Mengen sind ebenfalls berücksichtigt worden." Dennoch sei der Hinterlandverkehr mit Containern 2015 stark gestiegen. Jeder Hafen hat im Hinterlandverkehr seine Besonderheiten. In Hamburg steht die Schiene im Mittelpunkt (siehe Grafik Seite 23). So investiert die HHLA in den Ausbau ihres Bahnnetzwerkes und will den Transport von Boxen auf der Schiene weiter ausdehnen. "Wir bauen momentan einen weiteren Hub-Terminal in Budapest", nennt HHLA-Chef Peters ein Beispiel. In dem neuen Standort sieht er eine "ideale Schnittstelle zwischen den nordeuropäischen Seehäfen und Südosteuropa." Aber auch im Hafen selbst sorgt die HHLA vor: "Für 2017 planen wir, mit dem Ausbau des Bahnhofs am Container-Terminal Burchardkai zu beginnen", sagt Peters. Ehrgeizige Pläne zum Bahnverkehr Auch Rotterdam will mehr Verkehre auf die Schiene verlagern. Das "Railprogramm" sieht vor, das Volumen der per Bahn transportierten Container in den nächsten 20 Jahren zu verfünffachen: von 579.000 TEU (2013) auf 3,5 Millionen TEU im Jahr 2035. Bis 2020 sollen immerhin bereits 880.000 TEU erreicht werden. Dazu sollen mehr Güter in den Süden Deutschlands sowie weiter nach Süd- und Südosteuropa transportiert werden. "Hier wollen wir unser Netz ausbauen und arbeiten mit Partnern wie dem Bayernhafen und der Rail Cargo Austria zusammen", sagt Wouter van Dijk, Direktor Logistik beim Port of Rotterdam. So hat der Hafen zusammen mit der Bayernhafen-Gruppe eine Befragung unter potenziellen Verladern und Spediteuren zum Wachstumspotenzial für Transporte zwischen Bayern und Rotterdam durchgeführt. 2016 sollen weitere Workshops folgen und nach Möglichkeit zusätzliche Zugverbindungen ins Leben gerufen werden. Aber auch das Binnenschiff spielt für Rotterdam eine wichtige Rolle. Das lässt sich daran ablesen, dass im Containerhinterlandverkehr der Modal Split der Binnenschifffahrt von derzeit 36,1 Prozent auf 45 Prozent (2035) wachsen soll. Die Bahn soll im gleichen Zeitraum noch stärker von 10,5 auf 20 Prozent zulegen, während sich der Anteil des Lkw von 53,4 auf 35 Prozent verringern soll. Auch in Antwerpen hat man sich zum Ziel gesetzt, den Anteil des Lkw am Modal Split im Containerverkehr zugunsten der beiden anderen Verkehrsträger zu verringern. Derzeit ist der Lkw mit 55 Prozent noch der klare Marktführer vor dem Binnenschiff (38 Prozent) und der Bahn (7 Prozent). 2030 sollen die Zahlen dann anders aussehen: Der Lkw bleibt zwar mit 43 Prozent die Nummer eins. Das Binnenschiff ist mit 42 Prozent nahezu gleichauf und die Bahn kann ihren Anteil mehr als verdoppeln auf 15 Prozent. Um diesen Wandel zu erreichen, ergreift der Hafen verschiedene Maßnahmen. "2014 ist der Liefkenshoek Eisenbahntunnel eröffnet worden, der das rechte und das linke Scheldeufer miteinander verbindet und somit den Bahnverkehr erleichtert", sagt Pasmans. Außerdem stellt der Hafen für einen Zeitraum von drei Jahren eine Anschubfinanzierung für Containerzüge zur Verfügung, die offen für verschiedene Nutzer sind. Im Juni wird mit der Kieldrecht-Schleuse die größte Schleuse der Welt eröffnet. Damit gibt es wasserseitig einen zweiten Zugang zum linken Schelde-Ufer. Der kommt nicht nur den Seeschiffen zugute. "Ab dann wird der wasserseitige Verkehr noch zügiger verlaufen", sagt Pasmans. Davon profitieren auch die Binnenschiffer. Mit weiteren Maßnahmen wie der Höherlegung von Brücken auf dem Albert-Kanal nach Lüttich soll es der Binnenschifffahrt erleichtert werden, mehr Container zu befördern. Mehr zum Thema im Dossier Seefracht und Häfen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Bremerhaven investiert in Verkehrswege Neuer Hafentunnel soll die Fahrzeit für Lkw verkürzen Auch wenn 2015 kein gutes Jahr für Bremerhaven war und der Gesamtumschlag um 6,2 Prozent und der Containerumschlag um 4,3 Prozent rückläufig waren im Vergleich zu 2014: Der Hafen geht von einem weiteren Wachstum aus und investiert daher auch in die Infrastruktur. So wird seit einigen Monaten an dem Hafentunnel gebaut, der den Verkehr im Norden von Bremerhaven entzerren soll. Der 1800 Meter lange Tunnel soll die Fahrzeit der Lkw zwischen der Autobahn A 27 und den Auto- und Container-Terminals deutlich verkürzen und die Staus reduzieren. Die Baukosten werden auf 180 Millionen Euro beziffert. Mit Fertigstellung ist Ende 2018/Anfang 2019 zu rechnen. Aber auch für den Schienengüterverkehr sind einige Investitionen geplant. Die Schiene ist mit 46,8 Prozent (Anteil am Modal Split im Containerhinterlandverkehr) der zweitwichtigste Verkehrsträger nach dem Lkw (49,3 Prozent) und auch für den Autotransport wichtig, der in Bremerhaven eine große Rolle spielt. So wurden im Kaiserhafen 12 von 16 Gleisen auf bis zu 750 Meter Länge gestreckt und elektrifiziert. Erweitert wird gerade der am Containerterminal befindliche Hafenbahnhof am Imsumer Deich um acht zusätzliche Parallelgleise. In Bremerhaven geht man davon aus, dass sich die Zahl der wöchentlichen Güterzüge von derzeit 580 langfristig auf 700 erhöhen wird. cd