Achtung, Engstelle

Die Frage, wie das Geschäft läuft, kann Werner Ruploh schnell beantworten. "Wir haben Vollauslastung", sagt der Spediteur aus dem westfälischen Beckum. Ein Fokus seiner Unternehmensgruppe, die 350 Mitarbeiter beschäftigt und 200 Sattelzugmaschinen im Einsatz hat, liegt auf der Baustofflogistik. Die roten Trucks der Werner Ruploh Spedition sind auf Baustellen in ganz Europa zu sehen. Sie befördern Beton, Steine, Schutt und andere trockene Massengüter. Besonders gut läuft das Objektgeschäft, also die Versorgung einzelner Baustellen, die mitunter auch im Ausland liegen. In den angrenzenden Benelux-Staaten etwa wird viel gebaut - und das Material kommt häufig aus Westfalen. "Der Markt ist im letzten Jahr um fünf Prozent gewachsen", freut sich Geschäftsführer Ruploh. Vieles deutet aus seiner Sicht darauf hin, dass es so weitergeht. "Bei einzelnen Kunden sind die Mengen seit Jahresbeginn um 40 Prozent gestiegen." Keine Frage, das Bau-Geschäft boomt, das zeigen aktuelle Branchenzahlen: Die Umsätze lagen zwischen Januar und April satte 8,9 Prozent über denen des Vorjahres, meldet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Berlin. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erreichte der Auftragseingang im April dieses Jahres den höchsten Wert seit 23 Jahren. Auslöser der Rekorde sind die allgemein gute Wirtschaftslage sowie die extrem niedrigen Zinsen. Angesichts der geringen Kapitalmarktrenditen investieren immer mehr Kapitalanleger in "Betongold". Der Staat seinerseits profitiert von niedrigen Zinszahlungen auf seine Schulden und steckt die ersparten Mittel in Infrastrukturprojekte. Die Folge: Bei vielen Bauunternehmen und Handwerkern sind die Auftragsbücher derzeit so voll, dass sie neue Kunden auf das kommende Jahr vertrösten müssen. Besonders stark wächst der Wohnungsbau, gefolgt vom gewerblichen und öffentlichen Bau. Die Branche fährt am Limit Auch die Logistikdienstleister profitieren vom aktuellen Boom. Auf die Frage, wann der Auftragseingang zum letzten Mal so gut gewesen ist, muss Jochen Quick, Geschäftsführer von Quick Baustoffe aus Buchholz/ Westerwald, kurz nachdenken. "Als die ICE-Strecke zwischen Köln und Frankfurt neu gebaut wurde", sagt er schließlich. Das war Anfang der 2000er-Jahre. Quick verfügt über einen Fuhrpark von 25 Kipperund Sattelzügen und liefert mineralische Baustoffe - von Kies über Tennisplatzmehl bis zu Natursteinen. Daneben ist der Familienbetrieb in Entsorgung und Recycling tätig. Dass die ganze Branche am Limit fährt, spürt Quick auch bei den Kunden: "Sätze wie 'Wir können nicht beladen, weil unser Baggerfahrer im Urlaub ist und wir keinen Ersatz finden', hören wir täglich." Hektik und Umplanen sind Alltag So gut die Umsätze derzeit auch sind - einfach ist das Geschäft für Spediteure im Bausektor nicht. Denn die Branchenkonjunktur neigt zu kräftigen Saison-Ausschlägen und auch das Tagesgeschäft schwankt stark. Gerade bei der Belieferung von Transportbetonwerken - sie produzieren fertig gemischtes Material - schwankt die Nachfrage extrem. Die Baustellen fragen eine Lieferung häufig mit wenigen Stunden Vorlauf ab, dann muss der Transportdienstleister sofort bereitstehen. Und auch dann kann noch viel dazwischenkommen. Schlägt das Wetter um oder der Polier merkt, dass der schon gelieferte Beton ausreicht, wird eine Tour mitunter kurzfristig abbestellt. "Das ist das volatilste Geschäft, das Sie sich vorstellen können", sagt Spediteur Ruploh, "allerdings nimmt die Bereitschaft der Kunden zu, sich mit uns abzustimmen." Hektik und häufiges Umplanen gehören zum Alltag auf Baustellen. Das ist unter anderem eine Folge der komplexen Versorgungsketten in der Branche. Traditionell kümmert sich nämlich jedes einzelne Gewerk um seine eigenen Transporte: Ob Beton für den Rohbau, Pflastersteine für den Garten oder Gipsplatten für den Innenausbau - jedes Mal fährt ein anderer Fuhrunternehmer vor. Hinzu kommt eine zunehmende Spezialisierung, die sich beim Eigenheimbau zum Beispiel so zeigt: Lieferte früher ein Unternehmen das komplette Badezimmer aus einer Hand, rückt heute für das gleiche Gewerk eine Handvoll Spezialisten an - vom Fliesenleger bis zum Waschbecken-Profi. "Statt eines Unternehmens fahren vier vor - und alles läuft über den Polier", erklärt Joseph Dörmann, Experte für Baulogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, Dortmund. Es geht aber auch anders: "Gerade bei Großbaustellen in der Innenstadt oder anderen komplexen Baumaßnahmen wird die Logistik schon zentral gesteuert", berichtet Dörmann. Alle Transporte werden auf einer Online-Börse ausgeschrieben, wo sich Dienstleister dann um Aufträge bewerben und ihre Ankunftszeiten anmelden. Dass solche digitalen Werkzeuge zum Einsatz kommen, ist jedoch die Ausnahme. "Es gibt auf dem Bau immer noch viel Papier, und es wird viel telefoniert", so Dörmann. Das allerdings wird sich in den kommenden fünf bis zehn Jahren ändern, erwartet Dörmann, "die öffentliche Hand wird hier Vorreiter sein". Hintergrund: Ab 2020 muss bei jedem öffentlichen Infrastrukturprojekt Building Information Modeling (BIM) genutzt werden. Alle Abläufe beim Bauen sind dann digital abzubilden, von der Konstruktion des Gebäudes als 3-D-Computermodell über die Ausführung bis zur Bewirtschaftung. So schreibt es eine EU-Verordnung vor. Preise stehen unter Druck Sorgen macht den Baulogistikern derzeit - wie vielen Branchenkollegen - der Fahrermangel. "Wir stoßen personell an die Decke, gerade unsere Tochtergesellschaft in Thüringen", sagt Spediteur Ruploh. Wachstum sei dort kaum möglich, weil Fahrer fehlten. Im Nahverkehr, wo die Mitarbeiter jede Nacht zu Hause sein können, sei das Problem noch beherrschbar, für den Fernverkehr dagegen könne man oft kein Personal finden. Der höhere Aufwand bei der Rekrutierung führe natürlich zu höheren Kosten - die man weitergeben müsse. "Wir versuchen auf jeden Fall höhere Preise anzusteuern", so Ruploh. Allerdings sei es in der wettbewerbsintensiven Baulogistik schwierig, sie auch beim Kunden durchzusetzen. Quick gibt ebenfalls an, Preise "nur bedingt" anpassen zu können. Als Beispiel nennt er Preissteigerungen, die sich zum Beispiel durch Engpässe bei Rohstoffen und Deponieraum ergeben. Ein weiteres Problem, das viele Baulogistiker beschäftigt, ist der steigende Verwaltungsaufwand. Den erhöht zum Beispiel das Entsendegesetz drastisch: Wer wie Ruploh oft in Frankreich oder Luxemburg unterwegs ist, muss seine Fahrer offiziell anmelden und nachweisen, dass er Mindestlöhne zahlt. "Wir denken darüber nach, allein für diese Administration eine zusätzliche Halbtagskraft einzustellen", sagt der Spediteur. Der steigende administrative Aufwand belastet besonders Kleinbetriebe. Nicht zuletzt deshalb gibt es in der Baulogistik, wie auf allen Transportmärkten, eine Tendenz zur Größe. Speditionen oder Logistikkonzerne kaufen kleine Betriebe auf, um an Schlagkraft zugewinnen. Dieser Trend wird durch die aktuell gute Auftragslage allerdings ein wenig gedämpft. "Auch kleine Anbieter haben noch Chancen. Wer über Personal verfügt, bekommt Geschäft", fasst Ruploh zusammen. Konkurrenz droht vor allem von den Verladern selbst. Gerade große Baukonzerne denken nämlich darüber nach, die Logistik in die eigene Hand zu nehmen, weil sie sich davon einen besseren Zugriff auf Kapazitäten versprechen. Im täglichen Geschäft macht natürlich auch der Verkehr Probleme. Eine Problemzone sind Baustellen in Innenstadtbereichen. Hier herrscht mitunter das reinste Chaos. Zum Teil tragen die ausführenden Firmen auch selbst zu den Verkehrsproblemen bei. Ein typischer Fall: Der Handwerker merkt, dass ihm ein Satz Schrauben fehlt, und fährt aus der City bis zum Baumarkt in der Vorstadt, um ihn zu beschaffen. Hier verstecken sich wiederum Potenziale für die Logistik. "Allein durch ein verbessertes Management solcher C-Teile ließe sich viel erreichen", betont Wissenschaftler Dörmann. Lösungsansätze gibt es reichlich: Einige Bauunternehmen legen Kleinteilelager in der Innenstadt an, andere beauftragen Kurierdienste oder sogar Auch in den kommenden Jahren bleibt es bei der guten Auftragslage Fahrradkuriere mit ihrer Beschaffung: Nischen für Lagerlogistiker und KEP-Unternehmen. Geht der Boom am Bau weiter? Branchenkenner Ruploh ist optimistisch. "Die Baukonjunktur wird anhalten." Seiner Meinung nach sprechen einige Faktoren dafür: In den Städten steigt die Nachfrage nach Wohnraum weiter. In der Industrie sind die Auftragsbücher voll, was die Errichtung neuer Produktions- und Logistikhallen erfordert. Hinzu kommen mehr öffentliche Infrastrukturprojekte, Fundamente von Windkraftanlagen, der Ausbau des Stromnetzes ... Ruploh schränkt allerdings ein: "Es wird kein starker Anstieg sein, weil die Bauindustrie jetzt schon an der Kapazitätsgrenze arbeitet." Marktkenner Quick freut sich über die gute Auftragslage - warnt aber vor Euphorie. Bei vielen Infrastrukturprojekten hole man nur nach, was früher versäumt worden sei. "Man kann nicht damit rechnen, dass es ewig so weitergeht." Unsicher sei auch, wie es nach der Bundestagswahl um die Investitionen in Infrastruktur stehe, betont Quick. "Bei der Regierung jetzt haben sie vielleicht Priorität - aber wie sieht es bei der nächsten aus?" Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Baulogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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