Baustelle Digitalisierung

Am 11. Dezember war es so weit: In Stupino, einem kleinen Ort nahe Moskau, wurde zum ersten Mal ein komplettes Haus mit einem 3-D-Drucker hergestellt - innerhalb von nur 24 Stunden. Die Maschine trug dafür den Zement in dünnen Schichten auf, bis das runde Gebäude mit einer Grundfläche von 38 Quadratmeter fertig war. Bauwirtschaft hinkt hinterher Ganz ohne Menschen ging es allerdings (noch) nicht: Das Verputzen, der Anstrich sowie der Einbau der Fenster wurden in traditioneller Handarbeit erledigt. Die gesamten Baukosten sollen bei 10.000 US-Dollar gelegen haben. Gefüttert wurde der 3-D-Drucker mit den Daten des Architekten. So beeindruckend dieses Projekt auch sein mag - repräsentativ ist es nicht. "Die Bauwirtschaft läuft anderen Branchen in Sachen Digitalisierung hinterher", sagt Michael Krupp, Professor an der Hochschule Augsburg. Was etwa die Vernetzung der Unternehmen angehe, sei man weit von anderen Branchen wie der Automobilindustrie entfernt, so der Experte. Krupp betont aber auch, dass dieser Rückstand den besonderen Bedingungen in der Branche geschuldet sei. Denn eine Baustelle ist kein Produktionsort wie jeder andere: Maschinen und Werkzeuge stehen nicht da, sondern müssen zunächst angeliefert werden. Jedes Gewerk hat eine eigene Lieferkette. Die Beziehungen zu den Lieferanten sind flüchtig, was eine enge Zusammenarbeit wie in der Automobilindustrie erschwert. Doch am wichtigsten: Auf dem Bau gibt es nur sehr wenig Standardprozesse - aber genau die braucht es, damit Digitalisierung schnell Nutzen stiftet. Die größten Herausforderungen in der Baubranche fasst Krupp mit einer einfachen Frage zusammen: "Wo ist mein Beton?" Sie fällt auf vielen Baustellen täglich. Der Grund ist, dass die Personen vor Ort oft nur wenig oder gar keine Informationen aus der Supply Chain bekommen, geschweige denn Echtzeitdaten (siehe auch Kasten zum Projekt SmartSite). Außerdem wird Baumaterial oft in zu großer Menge und mit groben Vorgaben wie "Lieferung in der Kalenderwoche 34" bestellt. Kommt es zu einer Störung im Zeitplan, steht das Material oft herum und verwittert womöglich. "Lieferungen just-in-time sind selten", sagt Kai-Stefan Schober, Experte für die Baubranche bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Daneben läuft auf dem Bau einfach vieles ineffizient ab: Die Gewerke stimmen sich schlecht untereinander ab, es wird kurzfristig gedacht und gehandelt, viele Prozesse laufen noch papierbasiert ab. Das Ergebnis ist reichlich tote Zeit. Professor Krupp hat in einer Stichprobenuntersuchung ermittelt, dass ein Polier 1,5 bis 5,5 Stunden am Tag Dinge tut, die außerhalb seiner Kerntätigkeit liegen. Er muss Troubleshooting-Telefonate führen, Papierdokumentation erledigen - oder bereits angeliefertes Material suchen. Immer mehr digitale Prozesse Immerhin, bei letzterem Problem hilft mittlerweile Digitaltechnik. Die Firma Paschal beispielsweise bietet Schalungselemente an, die mit einem Funkchip (RFID-Technik) ausgestattet sind. Bei der Ankunft auf der Baustelle werden sie mit einem Scanner erfasst, danach wandern die Daten in die Cloud, wo sie für jeden abrufbar sind. Ein ähnliches Nachverfolgungssystem bietet Hilti für seine Werkzeuge an. Der Vorteil: Jeder Mitarbeiter eines Bauunternehmens, egal ob in der Zentrale oder vor Ort, kann über eine Smartphone-App sehen, auf welcher Baustelle sich eine Bohrmaschine oder eine Säge befindet. Außerdem kann geprüft werden, ob das Gerät gewartet werden muss. Hintergrund: Im Durchschnitt "verschwinden" in jedem Unternehmen zwei Werkzeuge pro Monat, 52 Stunden pro Monat wird nach Angaben von Hilti auf Baustellen nach Geräten gesucht. In Sachen Industrie 4.0 macht die Branche ebenfalls erste Gehversuche. Der Zementhersteller Cemex zum Beispiel bietet ein Zementsilo an, das via Datenfunk mit dem Internet verbunden ist. Sensoren im Innern messen den Füllstand und melden ihn ständig an die Cemex-Zentrale. Ein Mitarbeiter dort schickt dann eine Nachlieferung los, wenn das Baumaterial auszugehen droht. Auch in der Baulogistik geht es mit der Digitalisierung voran. "Bei Mischgut (Asphalt, d. Red.) ist das Interesse an digitalen Services am größten", sagt Peter Schmitt, Geschäftsführer von Schmitt Peterslahr. Das Westerwälder Transportunternehmen ist in der Baulogistik und in der Entsorgung tätig und verfügt unter anderem über einen 140 Sattelkipper umfassenden Fuhrpark. Alle Fahrzeuge sind mit Telematiksystemen ausgestattet, in deren Daten auch die Kunden Einblick bekommen können. Dadurch lässt sich leichter abschätzen, wann ein Lkw auf der Baustelle ankommt. Bei Erdtransporten können die Kunden via Internet die aktuell von Schmitt Peterslahr transportierte Tagestonnage einsehen. In der Steuerung der Subunternehmen setzt das Unternehmen ebenfalls auf ein digitales Werkzeug: Sie können ihre Fahraufträge direkt auf eine App geschickt bekommen. Daneben nutzt Schmitt Peterslahr bereits eine digitale Abfahrtkontrolle sowie ein System zur elektronischen Erfassung von Schadensmeldungen. Doch Schmitt räumt ein, dass dies nur erste Schritte seien: "Bis alle am Bau Beteiligten rundum digital informiert werden, dauert es noch." Er sieht zwei Hindernisse: Zum einen hat sich noch kein digitales Informationssystem in der Branche durchgesetzt, zum anderen gibt es im Baubereich viele Unwägbarkeiten. Schon ein kräftiger Regenguss kann alle Planungen über den Haufen werfen - da hilft auch keine Elektronik. Dennoch wird sich die Digitalisierung auf dem Bau in den kommenden Jahren beschleunigen. Dafür sorgen zwei Triebkräfte: Zum einen ist mit dem Smartphone ein Gerät verfügbar, das jeder bedienen kann; Tablet-PC konnten sich hier nie in der Breite durchsetzen. Zum anderen wird das sogenannte BIM die digitale Aufholjagd anheizen. Das Kürzel steht für Building Information Modeling, also für die Idee, alle Abläufe beim Bauen digital abzubilden, von der Konstruktion des Gebäudes als 3-D-Computermodell über die Ausführung bis zur Bewirtschaftung. Logistiker müssen sich mit BIM befassen Der Staat treibt die Methode massiv voran: Ab 2020 muss bei jedem öffentlichen Infrastrukturprojekt BIM genutzt werden. Wer die digitalen Abläufe bis dahin nicht beherrscht, ist in der Ausschreibung chancenlos. "Durch BIM wird die Digitalisierung der Baubranche von null auf 180 gebracht", meint Roland-Berger-Berater Schober. Auch die Transportdienstleister seien gut beraten, sich mit dem Thema BIM zu beschäftigen. "Die Logistik wird einen großen Anteil an der Optimierung am Bau haben", ist Schober überzeugt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Baulogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Perfekte Logistik sorgt für perfekte Strassen Weniger Stillstand auf der Autobahnbaustelle Eine Straße mit einer Fahrbahndecke zu versehen ist eine logistische Herausforderung: Das Mischgut muss in der genau richtigen Temperatur auf der Baustelle ankommen, sonst kann es nicht mehr verbaut werden. Das gelingt nicht immer, vor allem, weil den Beteiligten wichtige Informationen fehlen: Die Mitarbeiter auf der Baustelle wissen zum Beispiel oft nicht, wo sich ein Lkw befindet und wann mit seiner Ankunft gerechnet werden kann.Dass sich diese Probleme mit digitalen Werkzeugen lösen lassen, hat die Universität Hohenheim in ihrem Forschungsprojekt SmartSite gezeigt. Das Prinzip: Alle wichtigen logistischen Informationen, wie zum Beispiel Standort und Beladung des anliefernden Lkw, werden in einer Datenbank (Cloud) hinterlegt. Ein Computerprogramm berechnet dann die zu erwartende Ankunftszeit und zeigt sie dem Fahrer des Fertigers in einem Display an. Verspätet sich eine Mischgutlieferung, schlägt das System eine verminderte Geschwindigkeit vor, sodass der Fertiger niemals anhalten muss - so werden Wellen in der Straße vermieden. Daneben haben alle am Bau Beteiligten per Tablet oder Smartphone Zugriff auf die aktuellen Logistikdaten.Auf zwei Landstraßen in Baden-Württemberg wurde diese neue, vernetzte Art des Straßenbaus im vergangenen Jahr getestet:"90 Prozent der Fertiger-Stillstände ließen sich reduzieren", sagt Marcus Müller vom Forscherteam. Zudem wurde das Mischgut mit einer gleichmäßigeren Temperatur verbaut."Das kann die Nutzungsdauer der Straße bis zu 30 Prozent verlängern", so der Wissenschaftler. cg

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