Erfurt. Die befürchtete Prozessflut zum Mindestlohn, der seit Anfang 2015 gilt, ist ausgeblieben. „Es gibt keine Klagewelle“, sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Ingrid Schmidt, am Mittwoch in Erfurt. Das lasse den Schluss zu, dass sich die Arbeitgeber an das Gesetz hielten und die Kontrollen effizient seien.
Bei Streitigkeiten ginge es kaum um die vorgeschriebenen 8,50 Euro pro Stunde, vielmehr um den Wegfall oder die Anrechnung von Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Schmidt kündigte im Herbst ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von Sonderzahlungen auf den Mindeststundenlohn an.
Mindestlohn bei Bereitschaftsdienst
Im konkreten Fall gehe es darum, ob ein Arbeitgeber eine gezahlte Treueprämie nutzen könne, um den Stundenlohn auf die geforderten 8,50 Euro hochzurechnen. Außerdem werden sich die Bundesrichter am Fall eines Rettungsassistenten damit beschäftigen, ob Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienste fällig wird. Insgesamt lägen aber nur einzelne Mindestlohnverfahren in Erfurt zur Entscheidung vor.
Bereits von den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten als unzulässig eingestuft sei der Versuch einiger Arbeitgeber, über Änderungskündigungen bisher gewährte Sonderzahlungen im Zuge der Mindestlohneinführung zu streichen. Solchen Änderungskündigungen sei damit ein Riegel vorgeschoben worden. Das BAG werde sich damit nicht befassen. „Das haben die Vorinstanzen entschieden“, sagte Schmidt. Sie sieht in den schnellen Entscheidungen zum Mindestlohn einen Beleg dafür, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit gut funktioniert. „In nicht einmal eineinhalb Jahren ist in vielen Fragen Rechtssicherheit hergestellt.“
Weitere Baustelle: Streiks
Nach Angaben der Präsidentin wird sich das Bundesarbeitsgericht in diesem Jahr erneut mit Schadenersatzforderungen an Gewerkschaften wegen Streiks beschäftigen. Es gehe um einen Arbeitskampf am Flughafen Frankfurt, bei dem Fluglotsen zu einem Unterstützungsstreik aufgerufen worden seien. 2015 hatten die Erfurter Richter bereits entschieden, dass die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) wegen der Folgen von Lotsenstreiks keinen Schadenersatz an Airlines zahlen musste. Es ging damit um Schadenersatzansprüche Dritter bei Arbeitskämpfen.
Auch für Arbeitnehmer, die sich nur schwer von ihrem Arbeitsplatz trennen können, stellen die Bundesrichter eine Entscheidung in Aussicht: Es gehe um die Frage, ob ein Arbeitgeber einen Angestellten aus Gründen des Gesundheitsschutzes in den Urlaub schicken darf.
Die Zahl der Streitfälle, die 2015 vor dem Bundesarbeitsgericht landeten, blieb auch wegen der guten Situation am Arbeitsmarkt konstant bei rund 2300. Die durchschnittliche Dauer der Verfahren lag laut BAG zwischen acht und neun Monaten.
Komplexe Fälle durch gewiefte Anwälte
Nach Aussage von Arbeitsrichtern werden die Verfahren allerdings zunehmend schwieriger. „Die Verfahren nehmen immer mehr an Komplexität zu“, sagte der Vorsitzende des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA), Christoph Tillmanns, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch). „Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht werden erbitterter geführt“, sagte Tillmanns. Grund dafür sei, dass sich immer mehr Anwälte spezialisierten: „Die Fälle werden bis ins letzte Detail aufgebohrt.“ (dpa)