Zum Auftrag geklickt

Der Auftrag ist hochklassig, es geht um Frachten im Wert von 70 Millionen Euro: Das Aluminiumwerk Hydro Aluminium Rolled Products sucht einen Logistikdienstleister, der die Rohstoffversorgung seines Werks im rheinischen Grevenbroich organisiert. Er soll pro Jahr 300.000 Tonnen Aluminiumoxid, die per Binnenschiff in Rotterdam und Stade ankommen, zum Rheinwerk transportieren. Dabei trägt der Dienstleister eine große Verantwortung, schließlich ist er für alle Umschlags- und Lageraktivitäten zuständig. Bei der Vergabe dieses Auftrags ist Hydro unlängst einen neuen Weg gegangen: Die Ausschreibung wurde auf der Internetplattform Cargoclix veröffentlicht. Alle Dienstleister konnten ausschließlich im Netz ihre Konzepte einreichen und ihre Angebote unterbreiten. Jetzt nähert sich das Projekt seinem Ende, im September soll der ausgewählte Logistiker den Zuschlag bekommen - nähere Angaben macht das Unternehmen derzeit nicht. Zeit für eine erste Bilanz: Halten die digitalen Werkzeuge, was sie versprechen? Und was kommt damit auf die Dienstleister zu? Mehrstufiges Ausschreibungsverfahren Hydro ist mit der Resonanz zufrieden, obwohl der Großauftrag allein wegen seiner Komplexität sicher nur für wenige Spediteure infrage kam. Das Ausschreibungsverfahren lief mehrstufig ab: In der ersten Runde wurden zunächst nur Konzepte eingereicht, ohne Preise. Danach lud Hydro die Dienstleister zu Einzelgesprächen ein, um sich die Konzepte genauer anzuhören. Im Anschluss daran wurden sämtliche Anbieter zu einem Ortstermin ins Rheinwerk eingeladen. Hier konnten die Logistikprofis zum Beispiel die Entladestellen in Augenschein nehmen und den Logistikfluss noch einmal begutachten. Erst danach ging es in die finale Ausschreibungsphase, in der die Dienstleister ihre endgültigen Konzepte - mit Preisen - einreichen konnten. Nach dem Ende des Ausschreibungsverfahrens wählten die Verantwortlichen nach einer genauen Prüfung das Gewinnerkonzept aus. Digitale Vergabe wird fast Standard Müssen sich alle Dienstleister darauf einstellen, in Zukunft nur noch so an Aufträge zu kommen? Wenn ihre Kunden aus der Großindustrie stammen, auf jeden Fall, denn die digitale Vergabe wird vor allem von Konzernen vorangetrieben. In Branchen wie der Automobilindustrie ist sie schon fast Standard. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen wollen die Konzerne natürlich das Feld der Anbieter vergrößern und so auch die Kosten senken. Zum anderen gelten in Großorganisationen zunehmend strengere Regeln zur sogenannten Compliance und die schreiben vor, dass bei einer Ausschreibung bestehende Lieferanten nicht bevorzugt werden dürfen. Die alte Praxis, nur "rund um den Kirchturm" einzukaufen, hat in dieser durchregulierten Welt ausgedient. Anonyme Online-Ausschreibungen dagegen versprechen gleiche Startchancen für alle Dienstleister. Für Michael Finsterwalder gehört es zum Tagesgeschäft, Aufträge über das Internet zu gewinnen, zum Beispiel über die Plattform Ticontract. "Extrem viele Großkunden schreiben so aus. Im Regelfall geht es um Tausende von Ladungen, meist europaweit", erklärt der Geschäftsführer von Finsterwalder Transport & Logistik, Türkheim. Bei dem Mittelständler (131 Millionen Euro Umsatz) sind allein zwei Vollzeitmitarbeiter damit beschäftigt, Großtender (Angebote bei einer Ausschreibung) via Internet zu bearbeiten. Dass elektronische Ausschreibungen mehr Arbeit machen als traditionelle, findet Finsterwalder nicht. "Natürlich müssen sehr umfangreiche Fragebögen ausgefüllt werden, aber das liegt eher daran, dass die Anforderungen der Verlader zugenommen haben, zum Beispiel in Sachen Compliance." Was sich durch die Digitalisierung eher geändert habe, sei die Häufigkeit der Ausschreibungen. "Früher liefen die Verträge zwei bis drei Jahre, heute werden sie vielleicht schon wieder nach einem Jahr ausgeschrieben", gibt Finsterwalder als Beispiel. Dienstleistern, die zum ersten Mal auf einer Plattform wie Cargoclix oder Ticontract mitbieten wollen, rät der Profi zur Besonnenheit. "Erst nachdenken, dann verpreisen", betont der Marktkenner. Gerade Anfänger ließen sich oft angesichts von Großaufträgen zu schnellen Angeboten hinreißen - um dann tags darauf festzustellen, dass sie die Leistung überhaupt nicht bringen können oder sie nicht ins Portfolio passt. Hier sei Besonnenheit gefragt, so Finsterwalder. "Lieber von 100 Ausschreibungen zehn ordentlich bearbeiten als 90 nur oberflächlich." Anbieter geraten unter Druck Die meisten elektronischen Ausschreibungen gehen über zwei Runden: In der ersten können die Dienstleister ihr Angebot eingeben, danach bekommen sie ein Feedback in Ampelform. Grün bedeutet zum Beispiel, dass der Dienstleister preislich in den Top drei liegt, orange steht für die Plätze vier bis sechs und rot heißt, dass viele Konkurrenten billiger sind. In Runde zwei kann dann nachgebessert werden. Aber drückt dieses Verfahren nicht die Preise? "Natürlich schafft das Transparenz - und das bringt die Anbieter unter Druck", räumt Finsterwalder ein. Doch nachteiliger findet er, dass Bestandsanbieter keine besseren Chancen haben als Newcomer, weil die Ausschreibungen in der Regel anonym ablaufen. "Das kann auch negativ für die Verlader sein", findet Finsterwalder. Insgesamt sehen die Dienstleister den Vormarsch der Netzplattformen mit gemischten Gefühlen (siehe Kasten Seite 42). Oft wird kritisiert, dass die Auftraggeber zu viele Dienstleister einladen, zu umfangreiche Fragebögen verschicken und letztendlich doch nur auf den Preis achten. Die Verlader weisen diese Punkte allesamt zurück und klagen ihrerseits über das Verhalten der Dienstleister. Die Fragebögen seien nicht zu lang - sondern die Firmen nur zu träge, sie auszufüllen. Außerdem wird bemängelt, dass viele Dienstleister schlecht informiert in den Ring steigen. "Der ein oder andere liest sich nicht die Dokumente durch", heißt es von einem großen Verlader, der namentlich nicht genannt werden will. Die Serie Logistikleistungen online ausschreibenWarum welche Internetplattformen boomen- VR 38: Auswirkungen auf die Transport- und Logistikbrancheg- VR 39: Wie Transport- und Logistikdienstleister erfolgreich mitbieten Praxislösung Frigo-Trans Es findet ein Massenrennen um den günstigsten Preis statt "Mittlerweile kommt jeden Tag eine Ausschreibung herein - man könnte sich theoretisch mit nichts anderem mehr beschäftigen", sagt Peter Norheimer, geschäftsführender Gesellschafter der Frigo-Trans in Frankenthal. Sein Unternehmen ist auf Logistik für die Pharmaindustrie spezialisiert, verfügt über 80 Trailer und 4500 Quadratmeter Lagerfläche.Wenn es darum geht, neue Kunden zu gewinnen, verlässt sich Norheimer lieber auf Mund-zu-Mund-Propaganda, Online-Ausschreibungen dagegen sieht er kritisch. Den erfahrenen Logistiker stört vor allem, dass sich die Auftraggeber das Leben oft leicht machen und die Ausschreibung mehr oder weniger wahllos an Dienstleister verschicken. Die Folge: Es findet ein Massenrennen zum niedrigsten Preis statt, in dem es zum Beispiel keine Rolle mehr spielt, ob der Dienstleister mit zahllosen Subunternehmern zusammenarbeitet oder - wie Frigo-Trans - die Leistung selbst erbringt. Äpfel würden zu oft mit Birnen verglichen, so Norheimer. "Jeder, der einen Kühl-LKW besitzt, wird zum Beispiel plötzlich zum Pharmalogistiker. Dabei kann nicht viel herauskommen."Darüber hinaus stört ihn, dass bei Online-Ausschreibungen oft mit Ja-Nein-Fragebögen hantiert wird, in denen der Dienstleister überhaupt nicht seine Kompetenz zeigen kann."Es gibt immer Möglichkeiten, die der Anfragende nicht kennt. Doch dafür ist in den Fragebögen kein Platz."Völlig ignorieren kann Norheimer die Online-Ausschreibungen aber natürlich nicht. Doch der Profi hat aufgehört, sich auf jeden eilig ins Netz gestellten Auftrag zu bewerben. "Als jemand, der 'frisch angeklickt' wurde, hat man kaum Chancen. Wir konzentrieren uns auf die Bestandskunden." cg

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