Drei, zwei, eins ... deins!

Über das Internet werden höchstens einzelne Frachten vergeben und niemals Großaufträge - dieses Vorurteil stimmt schon lange nicht mehr. Das beweist zum Beispiel die Firma Hydro Aluminium Rolled Products: Der Aluminiumhersteller vergibt einen Auftrag im Wert von mehreren Millionen Euro über die Internetplattform Cargoclix, Freiburg. Dabei geht es um Transport, Umschlag und Lagerung von 300.000 Tonnen Aluminiumoxid. Diesen Monat soll der Auftrag nach mehreren Gebotsrunden im Internet vergeben werden. Auch Seefrachten schreibt Hydro mittlerweile digital aus. "Die komplexen Kontrakte nehmen ganz klar zu", freut sich Johannes Schmidt von Cargoclix. Die Internetplattform bietet neben einer klassischen Frachtenbörse auch die Möglichkeit, langfristige Logistikkontrakte online auszuschreiben. Mittlerweile liege der Anteil dieser Aufträge schon im zweistelligen Prozentbereich. Teilweise gehe es bei den Kontrakten um dreistellige Millionenbeträge. Beim Wettbewerber Ticontract aus Kempten werden pro Jahr Aufträge im Gesamtvolumen von acht Milliarden Euro vergeben. In der Tendenz ist das Volumen auf allen Plattformen steigend. Damit zeichnet sich ein klarer Trend ab: Auch komplexe Logistikleistungen werden künftig elektronisch ausgeschrieben. Sowohl Dienstleister als auch Verlader tun gut daran, sich auf die neue Praxis einzustellen. Unumstritten ist die Online-Ausschreibung allerdings nicht. Einige Marktkenner halten sie für ungeeignet (siehe Interview Seite 46), andere Dienstleister kritisieren das Netz als Preisdrückmaschine. Einen Vorteil bieten Ausschreibungsplattformen allerdings: Sie stellen neue Geschäftskontakte her. Die Auftraggeber erfahren von Anbietern, die sie bisher noch nicht kannten, und die Dienstleister hören von Verladern und Ausschreibungen, die sie in der vordigitalen Welt niemals auf dem Schirm gehabt hätten. Insofern kann der Rat an alle Marktteilnehmer nur lauten: Auf jeden Fall bei den Plattformen registrieren. Das ist meist kostenlos. Unternehmen werden kontrolliert Weil der Wert der Internetplattformen vor allem in den Kontaktmöglichkeiten liegt, stecken die Betreiber viel Energie in die Pflege des Nutzer-Pools. "Jede Registrierung wird überprüft", betont Martin Beyrer, Ticontract-Vertriebsleiter für die Dach-Region. Bei dem Anbieter sind weltweit 16 Mitarbeiter für den Nutzer-Pool zuständig. Eine Überprüfung der einzelnen Firmen vor Ort ist aufgrund ihrer Masse nicht möglich, stattdessen wird aus der Ferne ausgesiebt. Ticontract lässt sich immer eine Kopie der Gewerbeanmeldung oder Transportlizenz vorlegen und führt eine Plausibilitätsprüfung durch. Passt die Mitarbeiterzahl zum Fuhrpark? Wie professionell wirkt das Internetangebot? Schließlich sollen nur seriöse Unternehmen bei den Ausschreibungen mitbieten. Passenden Lieferantenpool definieren 25.000 Dienstleister haben sich schon bei Ticontract registriert, davon 7000 bis 8000 allein aus Deutschland. Cargoclix zählt europaweit 17.000 Nutzer. Auf all diese Unternehmen kann ein Auftraggeber theoretisch zugreifen. Theoretisch. Doch diese Masse ungefiltert anzusprechen, würde zum internettypischen Überangebot führen: Ein deutscher Verlader, der einen Anbieter für Komplettladungen nach Polen sucht, hätte vermutlich die Auswahl unter mehreren Tausend Spediteuren. Ticontract verlangt daher vor einer Ausschreibung, dass ein passender Lieferantenpool festgelegt wird. Bei dieser "Lieferantenverdichtung" schränken die Auftraggeber den Kreis der potenziellen Anbieter ein, indem sie zunächst das Ergebnis der Datenbanksuche filtern. An verbleibende Kandidaten verschicken sie dann zum Beispiel einen elektronischen Fragebogen. Auf diesem Weg werden Informationen eingeholt, die im normalen Firmenprofil nicht hinterlegt wurden (Request for Information, RFI). So kann herausgefunden werden, ob der Dienstleister für den Auftraggeber schon an einem anderen Standort aktiv war. Wurde die Schar der Dienstleister auf eine kleine Auswahl (Short List) verengt, beginnt die eigentliche Ausschreibung. Die Dienstleister werden aufgefordert, ein Angebot anzugeben, dann einigt man sich - mitunter im Verlauf von mehreren Runden - auf einen Preis. Dabei gilt: Auf Plattformen wie Ticontract findet keine "Reverse Auction" statt, bei der sich die Teilnehmer ständig gegenseitig unterbieten müssen. Jeder Spediteur und Logistiker unterbreitet frei sein Angebot. Allerdings können die Auftraggeber ein Feedback für die Mitbietenden einstellen: Entweder der Dienstleister sieht in einem (anonymen) Ranking, wo er preislich steht. Oder der derzeit niedrigste Preis wird eingeblendet, wiederum ohne den Namen des Anbieters. Nachdem die Angebote eingegangen sind, kann der Verlader am Bildschirm verschiedene Vergabevarianten durchspielen. Beispiel: Den ganzen Tender an Firma A, alle deutschen Relationen an B, jede Relation jeweils an den günstigsten Anbieter. Am Schluss erteilt der Auftraggeber den Zuschlag. Läuft es darauf hinaus, dass der Billigste gewinnt? Diesem Vorurteil widersprechen die Plattform-Betreiber. "Oft geben auch Dinge wie Transportlaufzeit oder -frequenz den Ausschlag", so Martin Beyrer. Aber natürlich ist es Sinn der Plattformen, die Zahl der potenziellen Dienstleister zu erhöhen und so für mehr Wettbewerb zu sorgen. Das bestreiten die Betreiber nicht. "Allein zu wissen, dass ich als Dienstleister nicht mehr gegen drei, sondern gegen 300 antrete, wirkt", räumt Beyrer ein. Der Mechanismus funktioniert: Insider rechnen damit, dass Auftraggeber mitunter Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich realisieren können, wenn sie online ausschreiben. Was Verlader beachten sollten Für die Dienstleister ist es in der Regel kostenlos, an einer Ausschreibung teilzunehmen. Die Kosten für das Verfahren zahlen die Auftraggeber. Sie entrichten an die Plattform eine Gebühr, die von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Bei Cargoclix bemisst sie sich zum Beispiel nach der Anzahl der LKW-Ladungen, die vergeben werden. Bis zu 50 Ladungen kostet eine Ausschreibung 100 Euro, jede weitere Ladung schlägt mit zwei Euro zu Buche; dieser Betrag sinkt, je mehr Ladungen nachgefragt werden. Doch das sind nur grobe Anhaltspunkte, schließlich bieten die Plattformen etliche - teilweise kostenpflichtigen - Leistungen an. Verlader können zum Beispiel ihre Verträge elektronisch verwalten lassen, auf Wunsch wird die Rechnungsprüfung oder sogar die komplette Zahlungsverwaltung übernommen. Was sollten Verlader beachten, die einen komplexen Auftrag digital vergeben wollen? "Eine Ausschreibung muss wie ein Maßanzug sein", sagt Cargoclix-Geschäftsführer Schmidt. Damit das Ergebnis am Schluss stimmt, muss der Auftrag Runde für Runde immer weiter konkretisiert werden. Bewährt hat sich in der Praxis ein mehrstufiges Verfahren: Zunächst geht das beauftragende Unternehmen auf den Markt zu und beschreibt das Projekt ganz grob, samt Investitionsvolumen. "Hier sollte noch nicht die Preiskomponente angegeben werden", rät Schmidt. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Wettbewerb in dieser Phase keine kritischen Details erfährt. Die Dienstleister reichen in Runde eins dann ihre Konzepte und Ideen ein - ebenfalls ohne Preise. Aufgrund dieser Vorschläge engt der Auftraggeber den Kreis der möglichen Dienstleister ein. In der nächsten Runde nennt er alle Details und die Dienstleister konkretisieren ihr Angebot entsprechend; in dieser Phase können auch Workshops vor Ort stattfinden. Erst in der finalen Gebotsrunde, wenn sich herauskristallisiert hat, wie genau der Auftrag auszuführen ist, geht es ans Thema Preise. Für die Dienstleister bedeutet das ein Umdenken. Während man in Frachtenbörsen einen Preis angibt und auf "Ok" klickt, ist auf den Ausschreibungsplattformen mehr Engagement gefragt. "Erfolg hat, wer sein Know-how und seine Kompetenzen vermitteln kann", betont Schmidt. Der Dienstleister müsse qualifiziert und ausführlich schildern, wie er den Auftrag ausführen würde. Es gehe um eine echte Bewerbung, nicht nur um einen Mausklick. Die Serie Logistikleistungen online ausschreibenWarum welche Internetplattformen boomen- VR 38: Auswirkungen auf die Transport- und Logistikbranchee- VR 39: Markt-Überblick Die Dienstleister-Perspektive "Das lohnt sich" An Online-Ausschreibungen teilzunehmen, gehört für Claus Mohn zum Alltag."Verschiedene Kunden sind damit schon vor Längerem auf uns zugekommen", sagt der Key Account Manager von M&M Militzer & Münch, Stockstadt. Das Traditionsunternehmen (456 Millionen Euro Umsatz) ist in über 30 Ländern aktiv und organisiert Luft-, See- und Straßentransporte. Viele der Aufträge werden mittlerweile via Internet gewonnen, so Mohn:"Zu 90 Prozent geht es um Transporte, in fünf bis zehn Prozent auch um Zusatzleistungen wie Zollabfertigung oder Einlagerung." Teilweise würden selbst Großaufträge auf diesem Weg vergeben, etwa alle Landtransporte eines Verladers weltweit. Militzer & Münch hat zuletzt einen großen Auftrag für Osteuropa-Transporte über das Netz gewonnen.Dienstleistern, die zum ersten Mal an einer elektronischen Ausschreibung teilnehmen, empfiehlt Mohn, bei der nötigen Firmenauskunft (zum Beispiel Mitarbeiter, Standorte, Leistungen) Sorgfalt walten zu lassen. Da manche Auftraggeber diese Informationen jedes Jahr aufs Neue abfragen, hat er selbst sich die benötigten Angaben so bereitgelegt, dass das Ausfüllen der Fragebögen nicht unnötig viel Zeit kostet. Beim eigentlichen Ausschreibungsprozess warnt Mohn vor überstürzten Geboten."Schauen Sie sich genau an, was der Kunde will, und hinterfragen Sie kritisch, ob Sie das auch leisten können." Zu sagen'Das passt nicht zu unserem Leistungsportfolio' sei keine Schande.Dem Vorurteil, dass Ausschreibungsplattformen nur die Preise drücken, widerspricht Mohn."Der digitale Wettbewerb bildet nur den realen ab. Dumping-Anbieter überleben so oder so nicht am Markt." Auch den Vorwurf, dass das Geschäft auf diese Weise unpersönlicher werde, lässt er nicht gelten."Sie kommen nicht rein, wenn der Kunde Sie nicht kennt." Der persönliche Kontakt vor und nach einer Ausschreibung sei immer noch unabdingbar. Insgesamt ist der Key Account Manager von den neuen Onlinewegen überzeugt."Das lohnt sich. Wir haben so definitiv neue Kunden gewonnen." cg

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