Winterreifen

Winterreifen Jeder Meter zählt! Auf dem Testgelände in Ivalo demonstrierte der finnische Reifenhersteller Nokian den Unterschied zwischen Ganzjahres- und echten Winterreifen. Auch andere Hersteller setzen auf spezielle LKW-Winterpneus. Ein Winterreifentest in der „weißen Hölle“ des Hakaapelliitta-Landes, dem Testzentrum von Nokian Reifen, beinhaltet gern extreme Temperaturen, die nachts bis auf minus 30 Grad Celsius abfallen können. Der Vizepräsident der Nokian-LKW-Reifensparte, Pontus Stenberg, optisch ganz wilder Wikinger, gibt den beiden Scania-Zügen mit Krone-Aufliegern den Marschbefehl. Einer ist mit aktuellen M+S-Spritsparreifen zweier Premium-Marken bereift, der andere steht auf Nokians „Hakaapelliitta“-Winterreifen. Nacheinander beschleunigen die Gespanne auf 80 km/h und ziehen eine riesige Schneestaubwolke hinter sich her. Dann bremsen die Fahrer voll ab – maximale Verzögerung ist gefragt. 35 Meter Unterschied beim Bremsweg Wie nicht anders zu erwarten, bremsen die nordischen Winterreifen die M+S-gelabelte mitteleuropäische Konkurrenz beim ersten Versuch aus: Aus 75 km/h steht der Nokian-bereifte Zug auf vereistem Untergrund 35 Meter vor dem Referenzzug: Die Messgeräte zeigen 157 statt 192 Meter an. Bei der zweiten Bremsung auf verdichtetem Schnee nimmt der Nokian den M+S-Rundlingen immer noch 27 Meter ab: Der Zug steht nach 121 statt nach 148 Metern. Zum Vergleich: Auf vereistem Boden steht ein ebenfalls auf 75 km/h beschleunigter, 1,5 Tonnen schwerer PKW nach rund 65 Metern, ein dreiachsiger Bus, auf rund 20 Tonnen ausgeladen, stoppt nach etwa 125 Metern. Erschütternd war in dem Zusammenhang der zweite Bremsversuch des Omnibusses aus 90 km/h, bei dem die Journalisten als „Reisegäste“ an Bord sein durften. Erst mal schoss der Bus praktisch ungebremst auf das Ende der Eispiste zu. Erst kurz vor der künstlich aufgeschütteten Barriere kam er zum Stehen – nach 175 Metern! Das sind 50 Meter mehr Bremsweg bei 15 km/h höherer Geschwindigkeit. Pontus Stenberg kannte das Ergebnis und lächelt: „Vertrauen sie den Einheimischen“. Ein LKW-Zug würde in dem Fall die Zweihundert-Meter-Marke reißen! Effektivere Beschleunigung spart Sprit Interessant war auch der Vergleich zwischen Neureifen und Pneus, die zu 50 Prozent abgefahren waren: Die reduzierte Profiltiefe kostet hier sieben Meter Bremsweg. Entsprechend argumentieren auch die anderen Reifenhersteller. Die haben neben dem M+S-Reifen auch richtige Winterprofile im Programm und empfehlen die M+S-Profile ebenfalls nur für gemäßigte Fahrbahnverhältnisse. Anschließend wird über 50 Meter beschleunigt: Als der winterbereifte Zug diese Marke passiert, hat die Kombination mit M+S-Reifen gerade einmal 41 Meter zurückgelegt. Am Ende der Testreihe steht ein sogenannter S-Schlag, ebenfalls auf eisglatter Piste. Während der M+S-bereifte Zug bei 47 km/h sichtbar Traktion verliert, zieht der Scania mit Winterreifen den Krone-Trailer auch mit 50 km/h noch durch die Pylonengasse. Erst bei 52 km/h geht auch ihm die Traktion aus. Natürlich erhebt Nokian für diese Tests keinerlei Anspruch auf die Absolutheit dieser Werte. Zumal laut Stenberg im Prüfalltag mindestens 100 Messungen gefahren werden, um belastbare Ergebnisse zu bekommen. Dass die Finnen sich von allen anderen Reifenherstellern unterscheiden, dokumentieren sie auch mit ihrem Testzentrum in Ivalo, nördlich des Polarkreises, das sie eben die „weiße Hölle“ nennen. Dort investiert Nokian mehr als die Hälfte des Entwicklungsbudgets in die Tests der Produkte. Der Vorteil sind extreme Temperaturschwankungen von bis zu 40 Grad binnen 24 Stunden. Der „normale Mitteleuropäer“ empfindet die Schwankungen um 18 Grad am Testtag – es erwärmte sich von minus 34 auf minus 16 Grad Tageshöchsttemperatur – immer nur als verdammt kalt. Kein Wunder, dass Nokian zu 75 Prozent reine Winterreifen herstellt und damit auch im LKW-Sektor stärker Fuß fassen möchte. Im PKW-Bereich haben die Finnen in den letzten zehn Jahren bei Reifenvergleichstests bereits einige Siege erzielen können, mittlerweile übrigens auch bei Sommerreifen. In Sachen Reifenlabel bleiben die Nordmänner zurückhaltend, haben aber trotzdem Werte parat, die im Falle des Rollwiderstands prinzipbedingt zwischen C und E, beim Nassgrip zwischen B und D landen. Praktisch: Anzeigen im Reifen selbst Bei der Profilierung selbst setzen die Finnen prinzipiell auf die gleichen Zutaten wie die anderen Hersteller auch. Was man grob vereinfacht mit der Formel „solide Profilblöcke mit dreidimensionalen, waffelförmigen Lamellen stützen sich gegenseitig ab“ umschreiben könnte. Praktisch ist, dass Nokian zwei Indikatoren ins Profil einbrachte: Eine vertiefte Schneeflocke zeigt an, dass der Wintergrip nachlässt, wenn sie abgerieben ist. Und vertiefte Zahlen zeigen ebenfalls über das Abfahren in Vier-Millimeter-Schritten das Restprofil an. Welche Reifen bieten die Hersteller an? Jüngste Neuzugänge im Nokian-Programm sind der Hakkapeliitta D und der Traktionslaufstreifen Noktop 42. ➞ Goodyear Dunlop bietet für die Lenk-, Antriebs- und Trailerachse zahlreiche Winterprofile mit der 3PMSF-genannten Winterreifen-Kennzeichnung (siehe Kasten „Hintergrund“) an: Für die Lenkachse gibt es unter anderem den Goodyear Ultra Grip WTS und den Dunlop SP 362, die dank offener Profilgestaltung, Z-förmig angeordneten Lamellen und einer Silica-Laufflächenmischung eine hohe Seitenführung und Bremskraftübertragung bei winterlichen Straßenverhältnissen bieten sollen. Der Fulda Wintercontrol ist ebenfalls ein spezieller Winterreifen für die Lenkachse und erfüllt auch die Voraussetzungen für die 3PMSF-Kennzeichnung, Dieser Reifen wird jedoch erst schrittweise das Symbol auf der Seitenwand tragen. „Grip“ und „Scandinavia“ haben Biss Auf der Antriebsachse bieten Goodyear mit dem „Ultra Grip WTD“ und Dunlop mit dem „SP 462“ Winterprofile an. Dank offener Profilgestaltung und 3D-BIS-Lamellen-Technologie sollen diese Winterprofis viel Traktion beim Beschleunigen und viel Grip beim Bremsen bieten. Der Fulda „Winterforce“ erfüllt auch die Voraussetzungen für die 3PMSF-Kennzeichnung. Da Fulda dafür jedoch erst neue Negativformen beschaffen muss, wird diese Kennzeichnung erst schrittweise auf der Seitenwand auftauchen. Zusätzlich bietet Goodyear mit dem Ultra Grip WTT einen speziellen Trailerreifen mit eigens entwickeltem Winterprofil an. Der Nokian-Test bewies, dass echte Winterreifen tatsächlich besser bremsen und greifen. Prinzipbedingt brauchen sie aber mehr Sprit und reichen auch beim Nassbremsen nicht ganz an die M+S-Profile heran. Bei Michelin erklärt die Leiterin Presse Nutzfahrzeugreifen, Nina Grigoleit: „Generell ist jeder Michelin-Nutzfahrzeugreifen so konzipiert, dass er bei durchschnittlichen mitteleuropäischen Witterungsbedingungen wintertauglich ist. In der Regel tragen alle von Michelin für den Winter empfohlenen Reifen für die Antriebsachse die M+S-Markierung. Sie sind an der ausgeprägten Querorientierung des Profils zu erkennen.“ Bei den „echten“ Winterreifen setzen auch die Franzosen auf das 3PMSF-Symbol: Nahezu alle seit dem 1. Juli 2012 produzierten Michelin-Traktionsreifen für die Antriebsachse und zahlreiche weitere Michelin-Nutzfahrzeugreifen tragen bereits heute das Three Peak Mountain Snow Flake (3PMSF)-Symbol. Das ist der offizielle Beleg dafür, dass die Reifen den normierten Praxistest auf Schneefahrbahn bestanden haben. Für den harten Wintereinsatz hat Michelin den Ice Grip in 275/70 R 22,5 für festgefahrenen Schnee oder vereiste Fahrbahn. Dafür sollen die spezielle Gummimischung sowie die hohe Anzahl an wellenförmigen, bi-direktionellen Lamellen sorgen. Das tiefe Profil soll viel Traktion und Querhaftung bieten. Noch ziemlich neu sind die sogenannten Michelin X Multi D-Antriebsachsreifen für Leicht-LKW. Dabei handelt es sich um einen Ganzjahresreifen mit hoher Haftung bei Nässe oder winterlichen Bedingungen. Gegenüber dem Vorgängermodell Michelin XDE 2 in gleichen Dimensionen soll er bis zu 18 Prozent länger laufen. Bei Continental hören die Winterreifen der HSW2-, HDW2- und HTW2-Serie auf den Beinamen„Scandinavia“. Auch sie bieten aufgrund der Laufflächen- und Profilgestaltung mehr Grip unter winterlichen Fahrbahnverhältnissen. Trotzdem achtet Conti auch darauf, dass die Winterpneus auch bei trockener Fahrbahn nicht mit Laufleistung geizen. Gemeinsames Problem gegenüber den M+S-Pneus sind immer schlechtere Verbrauchs- und vereinzelt auch schlechtere Nasshaftungswerte. Zumal Conti jetzt den neuen Eco Plus HT3 angekündigt hat, der in der Energieeffizienz ein „A“ erreichen soll. Auch Pirelli, Goodyear und Michelin entwickeln ihre M+S-tauglichen Langläufer Richtung „AA“-Label bei Bremsen und Nasshaftung weiter. Was also tun? Die Reifenhersteller empfehlen, auf Nummer sicher zu gehen und raten verstärkt zu 3PMSF-gelabelten Winterreifen. Etwas kostengünstiger bleibt es, im Herbst frische M+S-Reifen auf den Zug zu ziehen. Dazu sollte ein 3PMSF-gelabelter Satz Winterreifen wenigstens für die Antriebsachse bereitstehen und bei entsprechender Wettervorhersage rechtzeitig aufgezogen werden – damit man im Falle eines Falles rechtzeitig zum Stehen kommt! ❙❚■ Gregor Soller In der „weißen Hölle“ klettern die Temperaturen am Testtag auf minus 16 Grad Höchstwert „Echte“ Winterreifen auf der Antriebsachse bringen einen schon viel weiter Hintergrund Das Peaked-Mountain-Snow-Flake Symbol (3PMSF) Die speziellen Winterreifen einiger Markenhersteller wie Goodyear-Dunlop oder Michelin tragen zusätzlich zum M&S-Symbol das mittlerweile für LKW-Reifen standardisierte sogenannte „Three-Peaked-Mountain-Snow-Flake“-Symbol (3PMSF) auf der Seitenwand. Es zeigt einen Berg mit drei Spitzen, in dessen Mitte eine Schneeflocke zu sehen ist. Dieses Symbol ist seit November 2012 eine freiwillige Kennzeichnung, die Wintertauglichkeit von LKW-Reifen nach standardisierten Testmethoden nachweist, ähnlich wie das Schneeflockensymbol bei PKW-Reifen. Diese Kennzeichnung ist bisher noch keine gesetzliche Pflicht, zeigt aber offiziell, dass LKW-Reifen einen nach ISO-Norm durchgeführten Test auf einer Schneefahrbahn bestanden haben. In der UNECE-Regelung Nr. 117.02 wird das Testverfahren für LKW-Winterreifen definiert: Es sieht einen Traktionsvergleich mit einem Referenzreifen auf festgefahrener Schneefahrbahn vor. Dabei muss der zu testende Nutzfahrzeugreifen in sechs bis zehn Testläufen um mindestens 25 Prozent besser sein als der durch die Regelung festgeschriebene Referenzreifen. LKW-Pneus, die diesen Test bestanden haben und die 3PMSF-Kennzeichnung besitzen, sind laut der Regelung offiziell für „durchschnittliche Winterverhältnisse“ bis „überwiegend winterliche Fahrbedingungen“ geeignet. LKW-Reifen mit dem 3PMSF-Symbol sind der M&S-Kennzeichung hinsichtlich der Wintertauglichkeit überlegen. gs Interview Endlich Klarheit bei der Reifenwahl Henk van Tuyl, Direktor Nutzfahrzeugreifenentwicklung bei Goodyear Dunlop Europa zur Winterreifenkennzeichnung. Wie beurteilen Sie die Neuregelung und wie sieht das Testverfahren für 3PMSF aus? Wir begrüßen sie, denn wir empfehlen seit Jahren den Einsatz von speziellen Winterprofilen bei winterlichen Straßenverhältnissen. Wir haben seit Langem zahlreiche Winterprofile mit sehr guten Wintereigenschaften im Portfolio. Aber diese Reifen waren alle offiziell nur mit dem M&S-Symbol und einem von unserem Konzern entwickelten Schneeflockensymbol gekennzeichnet, obwohl sie spezielle Winterprofile sind. Das Testverfahren sieht einen Traktionsvergleichstest mit einem Referenzreifen auf festgefahrener Schneefahrbahn vor. Dabei muss der zu testende Nutzfahrzeugreifen in sechs bis zehn Testläufen um mindestens 25 Prozent besser sein als der durch die Regelung festgeschriebene Referenzreifen. Reifen, die diesen Test bestanden haben und die sogenannte „3PMSF-Kennzeichnung“ besitzen, sind laut der Regelung offiziell für „überwiegend winterliche Fahrbedingungen“ geeignet. Diese Reifen sind also eindeutig die bessere Wahl im Winter als Reifen, die „nur“ die M&S-Kennzeichnung besitzen. Das heißt, es gibt nun eine verbindliche Definition für Winterreifen? Richtig. Bisher gab es nur für PKW-Winterreifen ein standardisiertes Testverfahren. Bei Nutzfahrzeugreifen, die aufgrund des hohen Naturkautschukanteils an sich gute Wintereigenschaften besitzen, gab es bisher nur die M&S-Kennzeichnung. Diese sagt aber nur aus, dass ein M&S-markierter Reifen bessere Eigenschaften bei Schnee besitzt als ein Standardreifen. Eine klare Mindestanforderung gab es nicht. Nun hat die EU reagiert und auch für Nutzfahrzeugwinterreifen ein Testverfahren definiert. Reifen, die dieses anspruchsvolle Testverfahren erfolgreich absolvieren, dürfen das offizielle Wintersymbol 3PMSF tragen. Das bedeutet auch, dass Nutzfahrzeug-reifen mit diesem Symbol echte Winterreifen sind. Gesetzlich verankert ist „3PMSF“ aber noch nicht und es gilt weiterhin die aktuelle Winterreifenpflicht – die fordert M&S-markierte Nutzfahrzeugreifen auf der Antriebsachse. Endet damit die M&S-Kennzeichnung? Wir gehen davon aus, dass in Zukunft das M&S-Kennzeichen weiterhin existieren wird. Aber echte Nutzfahrzeug-Winterreifen tragen zusätzlich zur M&S-Markierung das 3PMSF-Symbol. Dies ist auch sinnvoll, denn hinter der 3PMSF-Kennzeichnung steht ein Testverfahren mit Referenzwerten und damit zertifizierten Wintereigenschaften. Wichtig ist vor allem, dass Verbraucher in Zukunft auch auf dieses Symbol achten und nicht nur auf M&S. Wird die neue Kennzeichnung sich auch in der Winterreifenpflicht niederschlagen? Das können wir als Hersteller natürlich nicht vorhersagen. Bisher ist die Kennzeichnung von Nutzfahrzeug-Winterreifen mit dem 3PMSF-Symbol freiwillig. Aber wir sind der Überzeugung, dass Nutzfahrzeugreifen mit 3PMSF in Kombination mit M+S auf alle Fälle die bessere Wahl im Winter sind. Tests haben eindrucksvoll gezeigt, dass 3PMSF-Nutzfahrzeugreifen gegenüber Standardreifen bei schneebedeckten Fahrbahnen deutlich überlegen sind. In Schweden ist die neue Kennzeichnung schon in die jeweilige Winterreifenregelung aufgenommen werden. Dort müssen Nutzfahrzeuge auf der Antriebsachse mit Reifen ausgerüstet sein, die M&S- und/oder 3PMSF-markiert sind. In Deutschland gilt weiterhin die M&S-Kennzeichnung für die Winterreifenregelung. Reicht es aus, LKW nur auf der Antriebsachse mit Winterreifen auszurüsten? LKW- und Busreifen haben aufgrund des hohen Naturkautschukanteils prinzipiell bessere Wintereigenschaften als zum Beispiel PKW-Reifen. Hinzu kommt, dass die Lenkachse und die Trailerachsen bei einem LKW keinen beziehungsweise nur einen sehr geringen Einfluss auf die Traktion haben. Im Prinzip hat nur die Antriebsachse Traktion und deswegen sind wir der Meinung, dass diese auf alle Fälle mit M&S- und/oder 3PMSF-markierten Reifen ausgerüstet sein sollte. Sind Fahrzeuge jedoch in Gegenden unterwegs, in denen mit schweren winterlichen Bedingungen zu rechnen ist, wie zum Beispiel in den Alpenregionen, sollten auch auf der Lenkachse spezielle Winterreifen montiert werden. gs Die Krux: Die M+S-Reifen helfen massiv, Sprit zu sparen, bieten aber nicht genug Grip

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