Wenn Theorie auf Praxis trifft

Das Problem vieler Spediteure und Transporteure lässt sich in Zahlen ausdrücken: 30-60-90. Dies sind nicht etwa Körpermaße, sondern die Zahlungsziele, mit denen sich die Unternehmer täglich auseinandersetzen müssen. Denn 30 bis 60 Tage sind in der Branche durchaus üblich, sogar 90 Tage keine Seltenheit. Die Zahlungsfristen werden mitunter so weit ausgereizt, dass erst nach Gutschrifterstellung bezahlt wird oder die Zahlungen zurückbehalten werden, solange nicht alle Belege vorhanden sind, was zu einer weiteren Verzögerung im Zahlungseingang führt. Die aktuellen Zahlen des DRD-Index des Finanzdienstleisters Creditreform belegen zwar, dass im Bereich Verkehr und Logistik Rechnungen im dritten Quartal 2014 im Durchschnitt 15 Tage nach Fälligkeit bezahlt wurden. Das Zahlungsverhalten war aber schon einmal besser (siehe Tabelle auf Seite 35). Dabei sollte doch nun alles anders werden. Der Bund will bessere Zahlungsmoral Im Juli vergangenen Jahres trat das Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr in Kraft. Die Versprechen der Bundesregierung waren groß: Eine "Kultur der unverzüglichen Zahlung" und "mehr Zahlungsdisziplin" sollte die Neuregelung bringen, so heißt es zumindest in der zugrunde liegenden EU-Richtlinie. Ziel sei es, die Liquidität und Wettbewerbsfähigkeit gerade der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken und sie vor der schlechten Zahlungsmoral von Großunternehmen und der öffentlichen Hand zu schützen. Nach dem neuen Paragrafen 271a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) müssen Zahlungsfristen von mehr als 60 Tagen nun von Gläubiger und Schuldner ausdrücklich vereinbart werden. Außerdem darf die verlängerte Zahlungsfrist für den Gläubiger nicht grob unbillig sein. Flankiert wird das Ganze von Änderungen im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB): Nach Paragraf 308 Nummer 1a und 1b BGB sind unangemessen lange Zahlungsfristen in AGB unwirksam. Als unangemessen lang gilt dabei eine Zeit von mehr als 30 Tagen. Die erste Bilanz fällt ernüchternd aus Die Transport- und Logistikbranche blickte voller Hoffnung auf das neue Gesetz gegen den Zahlungsverzug. Ein halbes Jahr nach seinem Inkrafttreten scheint die Bilanz allerdings ernüchternd zu sein. "Hier ist eher wenig angekommen", sagt Sebastian Lechner, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT). "Wir haben von unseren Mitgliedern nicht gehört, dass sich etwas verbessert hat." Auch Dagmar Wäscher, Vorsitzende des Bundesverbandes der Transportunternehmen (BVT), bestätigt: "Ich habe das Gefühl, dass sich nichts geändert hat. Mit Zahlen belegen kann ich es aber nicht." Einer, der es ganz genau wissen muss, ist Andreas Dehlzeit. Er ist Geschäftsführer der Bibby Financial Services GmbH, einem großen unabhängigen Anbieter von Factoring. Er hat täglich mit den Schuldnern von Speditionen, Transporteuren, Frachtführern oder Logistikern zu tun. Unternehmen der Güterverkehrsbranche verkaufen ihre offenen Forderungen an ihn und bekommen ihre Rechnungen im Gegenzug sofort bezahlt. Sein Unternehmen kümmert sich im Anschluss darum, dass die Kunden ihre Rechnungen an ihn begleichen. Er weiß: "Der durchschnittliche Zahlungseingang über alle Branchen hinweg hat in den vergangenen Jahren sogar deutlich zugenommen und liegt derzeit bei etwa 37 bis 38 Tagen. Das ist mehr als noch vor zehn bis fünfzehn Jahren. In der Transport- und Logistikbranche sind es sogar 45 bis 60 Tage." Fakt sei, so Dehlzeit, dass Zahlungsziele immer mehr gestreckt würden. Die Auftraggeber demonstrierten damit ihre wirtschaftliche Macht und finanzierten mit dem Geld ihr eigenes Wachstum. Auf das neue Gesetz angesprochen, sagt er: "Unserer Erfahrung nach hat sich das Zahlungsverhalten definitiv nicht verbessert. Da trifft Theorie auf Praxis." Das wird auch deutlich, wenn man die tatsächlichen Zahlungsziele der Branche einer juristischen Prüfung nach der neuen Gesetzeslage unterzieht. "Gerade in Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht noch immer einiges drin, was nicht mehr mit dem Gesetz konform ist", weiß Lechner vom LBT. Begrifflichkeiten machen Probleme Susanne Müller-Kraft, Rechtanwältin in der Hamburger Kanzlei Segelken & Suchopar, hat sich das einmal genauer angesehen: "Vertraglich vereinbarte Zahlungsfristen von bis zu 60 Tagen sind der neuen Regelung zufolge weitgehend unbedenklich. Individualvertraglich kann man auch Zahlungsziele von 90 Tagen nach wie vor vereinbaren", sagt sie. Aber in AGB sieht das anders aus. "Die AGB-Klauseln müssen sich an der Generalklausel des Paragrafen 307 BGB und der Bestimmung in Paragraf 308 Nummer 1a BGB messen lassen. Sie dürfen den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben nicht unangemessen benachteiligen. Ein so langes Zahlungsziel in AGB wird daher nun unwirksam sein." Zudem besteht auch ein halbes Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes noch Rechtsunsicherheit im Hinblick auf einige vom Gesetzgeber verwendete Begriffe. Denn was etwa eine "ausdrückliche Vereinbarung" ist, verschweigt das Gesetz. Sie ist erforderlich, um eine Zahlungsfrist von über 60 Tagen vertraglich wirksam zu vereinbaren. "Damit dürfte gemeint sein, dass die Vereinbarung nicht konkludent erfolgen soll. Kenntnisnahme und eine besondere Zustimmung vom Vertragspartner zu fordern, dürfte meines Erachtens aber zu weit gehen", sagt Müller-Kraft. Die genaueren Anforderungen wird allerdings erst die Rechtsprechung klären müssen. "Ich fürchte, dass es um diesen Punkt Streit geben wird." Darüber hinaus definiert der deutsche Gesetzgeber nicht, wann die vertragliche Vereinbarung eines Zahlungsziels von über 60 Tagen für den Vertragspartner "grob unbillig" ist. "Das ist eine Auslegungsfrage und hängt vom Einzelfall ab", sagt die Anwältin. Einen Ansatzpunkt für Unbilligkeit sieht sie aber dann, wenn ein Transportunternehmer nur für einen einzigen Auftraggeber fährt und die Rechnungen nicht spätestens nach 30 Tagen bezahlt sind. In ihrer täglichen Praxis kann die Anwältin beobachten, dass die Unternehmen sehr zögerlich in der Umsetzung des Gesetzes sind. "Der Großteil der Unternehmen hat nichts geändert." Frachtführer und Transportunternehmen seien im Prinzip froh, wenn sie ihr Entgelt überhaupt bekämen. "Wo kein Kläger, da kein Richter", so die Juristin. Trotz des mitunter problematischen Machtgefälles zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer rät sie allerdings dazu, nicht einfach stillzuhalten, sondern Verlader oder Spediteure mit Hinweis auf das Gesetz darauf anzusprechen, wenn Zahlungsfristen zu lang sind. Der Kunde sitzt am längeren Hebel Das erfordert allerdings Fingerspitzengefühl. "Der Kunde sitzt am längeren Hebel", so Lechner vom LBT. "Völlig überzogene Zahlungsziele in AGB könnte man juristisch zwar zu Fall bringen, das werden Unternehmen aber nur im Ausnahmefall machen." Von einer "Kultur des unverzüglichen Zahlens" kann daher bislang keine Rede sein. Dem Dilemma überlanger Zahlungsziele und damit verbundener Liquiditätsprobleme entgeht nur, wer es schafft, seine eigenen AGB durchzusetzen. So sehen beispielsweise die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) in Ziffer 18.1 vor, dass Rechnungen des Spediteurs sofort zu begleichen sind. Unternehmen, die Probleme mit ausstehenden Zahlungen und damit der eigenen Liquidität haben, bleiben letztlich nur eine Hand voll praktischer Ratschläge: Juristen empfehlen immer wieder, bei speziellen Kunden nur gegen Vorkasse zu arbeiten oder vom Pfandrecht an den beförderten oder eingelagerten Sachen Gebrauch zu machen. Ein anderer Weg führt über eine Kreditversicherung. Sie sichert die Forderungen des Unternehmens gegen Zahlungsausfälle des Kunden ab, die beispielsweise aus einer Insolvenz resultieren oder weil der Kunde nicht entsprechend die vereinbarten Konditionen zahlt. Weitere Möglichkeit: der Verkauf der Forderung an einen Factor (siehe auch Beitrag auf Seite 36). Sowohl Kreditversicherung als auch Factoring gibt es aber nicht umsonst. Hilft gar nichts mehr, bleibt nur die Trennung von Geschäftspartnern mit allzu schlechter Zahlungsmoral.

DKV Mobility und MFG: Neue Partnerschaft für ultraschnelles Laden in Großbritannien

KEYOU bringt schweren Wasserstoff-Lkw auf den Markt

Transformation des Straßengüterverkehrs: Aiwangers Plan für eine grüne Logistikzukunft

Umstrittenes Personal für neue EU-Kommission

Neue Auto-Strafen in Italien wegen verschärfter Straßenverkehrsordnung

Alle Schlagzeilen

Wenn Theorie auf Praxis trifft

HASHTAG

#Wirtschaftsrecht

Verkehrsgerichtstags-Präsident will Zugriff auf Mautdaten

Mindestlohn: Stooooooooopp!

Bitte hier unterschreiben!

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

Fiege baut Logistikzentrum bei Leipzig

STELLENANGEBOTE

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Area HR Business Partner

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

WEITERLESEN

NEWSLETTER