Wenn der Gabelstapler petzt

Das war peinlich. Eben noch war Gunnar T. mit ansehnlicher Geschwindigkeit auf seinem Gabelstapler durch das Lagerhaus geflitzt. Dann hatte er einen Absatz etwas zu rasant genommen. Der Stapler hatte einen kräftigen Stoß bekommen und sofort automatisch in den Kriechgang geschaltet. Nun kam der automatisch alarmierte Lagermeister kopfschüttelnd aus seinem Büro, während die feixenden Kollegen an dem Rennfahrer vorbeifuhren. Der Lagermeister hob mittels seiner Chipkarte den Kriechgang wieder auf - allerdings nicht, ohne Gunnar T. ein paar passende Worte zu sagen. Für Nutzer von Flottenmanagement-Systemen im Staplerbereich ist das kein ungewöhnliches Szenario. Sicherheitsfeatures wie Kollisionstracking gehören zu den häufigsten Anwendungen. Durch die Ausstattung mit Schocksensoren, die die Schwingungsintensität messen und ein Signal an die Steuerungselektronik senden, sobald ein Grenzwert überschritten wird, lassen sich eine materialschonende Fahrweise durchsetzen und die Reparaturkosten senken. Für Gewaltschäden nennt Still beispielsweise Kostensenkungen von bis zu einem Drittel. Auch andere Anwendungen machen die einstige Black Box für Gabelstapler transparent: Die Messung von Leistungsdaten liefert Material für Produktivitätsanalysen. Diese machen beispielsweise eine schlechte Auslastung deutlich und geben somit Hinweise auf eine Verkleinerung der Flotte. Kostenübersichten schaffen Grundlagen für eine genaue Kalkulation und Abrechnung. "Es geht darum, die Flurförderzeugflotte besser einzusetzen. Flottenmanagement kombiniert Daten aus den Fahrzeugen mit kaufmännischen Daten", bringt es Janine de Geus, Produktmanagerin bei Jungheinrich für das Stapler-Managementsystem ISM Online auf den Punkt. Nachrüstung nötig Anbieter der Flottenmanagementlösungen sind die Staplerhersteller. Ob nun Jungheinrich, Still, Linde, Crown, Hyster oder Toyota - nahezu alle großen Fabrikate haben sich des Themas angenommen. Das ist auch kein Wunder: Die Hersteller verfügen sowohl über Flotten-Know-how als auch über den technischen Zugang zu den Staplern. Die erste Voraussetzung: Die Stapler müssen mit einigen Hardwarekomponenten nachgerüstet werden. Was verbaut wird, unterscheidet sich von Hersteller zu Hersteller: Typisch sind ein Datenlogger, der mit dem Can-Bus verbunden wird, und ein Funkmodem, das die gesammelten Daten entweder per Datenfunk oder Mobilfunk an die zentrale Einheit überträgt. Gegebenenfalls ist auch eine Nachrüstung mit Schocksensoren oder ein Display für die Zugangsprüfung nötig. Die meisten Hersteller bieten eine Nachrüstung auch für ältere Stapler an, einige sogar für Stapler von Fremdfirmen. Die Hardwarekomponenten werden in der Regel von den Kunden gekauft oder im Rahmen einer Finanzierung angeschafft. Überraschend ähnlich sind sich die Hersteller beim Geschäftsmodell für die Auswertung. Hier hat sich der Software-as-a-Service-Ansatz durchgesetzt. Die Kunden greifen über ein Internetportal auf die Analysetools und Daten zu, die auf einem Server des Staplerherstellers hinterlegt sind. Das vereinfacht die Aktualisierung der Software, aber dafür stellen sich Fragen des Datenschutzes und der -integrität. Jungheinrich beispielsweise hostet die Daten und Anwendungen in einem deutschen Rechenzentrum, sodass die strengen deutschen Datenschutzrichtlinien zum Tragen kommen. Eine Ausnahme von der ausschließlich zentralen Datenhaltung macht Linde: Linde bietet neben dem Zugriff über ein Webportal auch die Installation der Verwaltungs- und Analysesoftware "connect.desk" dezentral beim Staplernutzer an. Über die Kosten für das Flottenmanagement sprechen die Hersteller nicht so gern. Zu kundenindividuell seien die Nutzungen, heißt es zur Begründung. Lediglich Jim Gaskell, Director Global Insite Products bei Crown, wagt sich ein Stück weit aus der Deckung. Abhängig von seinen individuellen Anforderungen könnte ein Kunde beispielsweise "Flottenmanagementfunktionen zu Kosten in Anspruch nehmen, die sich pro Stapler und Tag etwa auf den Preis einer Tasse Kaffee beschränken. Generell ist Flottenmanagement in der vollen Ausprägung eher was für größere Flotten. Janine de Geus nennt als Richtwert etwa 15 bis 20 Stapler. Einzelne Funktionen allerdings, etwa die Zugangsverwaltung für Fahrer oder Sicherheitsfunktionen, sind nach ihrer Einschätzung auch für kleinere Flotten attraktiv. Die Anfahrt zur Fehleranalyse einsparen Einen interessanten Aspekt spricht Maik Manthey an, der als Vice President New Business & Products bei Linde Material Handling auch das Geschäftsfeld Connected Solutions verantwortet. Er will die Förderzeugdaten künftig auch dafür nutzen, den Wartungsservice von Linde zu optimieren. "Wir werden zum Beispiel Fehlercodes automatisch erfassen und übertragen und damit nicht nur die Anfahrt zur Fehlerdiagnose einsparen, sondern auch Wartungsarbeiten präventiv vorziehen, schwerere Defekte am Fahrzeug vermeiden und auch die Ersatzteilbestellung automatisieren. Das bedeutet mehr Transparenz, schnellere Prozesse und höhere Fahrzeugverfügbarkeit für den Kunden", verspricht Manthey. Noch Zukunftsmusik ist die Einbindung von Daten aus dem Flottenmanagement in Fremdsysteme. Lediglich Linde bietet ein Modul an, das zumindest eine Brücke zu den ERP-Systemen des Kunden oder zur Warenwirtschaft ermöglicht. Dabei hätte die Einbindung von Flottenmanagementdaten in Leitstandsysteme hohes Potenzial, findet Guido Follert, Abteilungsleiter Maschinen und Anlagen beim Fraunhofer IML in Dortmund, das ein Leitstandsystem namens Open TCS als Open-Source-Lösung programmiert hat. Leitstandsysteme lösen das Problem der dynamischen Zuweisung von Staplern zu Aufträgen. Informationen aus der Sensorik beispielsweise über den Ladestand der Batterie oder bevorstehende Wartungen könnten die Disposition verbessern und weitere Kosten sparen. So weit sind die Hersteller noch nicht. Das Flottenmanagement ist in aller Regel als Stand-alone-Lösung konzipiert. Die Management-Lösungen der Staplerhersteller im Detail finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de/dokumente Flottenmanagement in der Praxis Der Einsatz bei Yamaha, Noerpel und Rudolph Logistik Das Yamaha-Vertriebszentrum für Ersatzteile in holländischen Schiphol schaffte im Zuge einer Flottenerneuerung das Flottenmanagementsystem Info-Link von Crown an. Aufgrund der Kollisionsüberwachung durch das System fahren die Bediener vorsichtiger."30 Prozent weniger Schäden" resümiert Gerrit Viveen, Leiter der technischen Abteilung. Weiterer Vorteil ist das Auswerten der Batterieladestände durch das System. Dadurch lassen sich die Ladezyklen optimieren und die Haltbarkeit der Batterien verlängern. Die Spedition Noerpel aus Ulm hat unternehmensweit 250 Flurförderzeuge im Einsatz und setzt bei 80 bis 90 Geräten ISM-Online von Jungheinrich ein. Berthold Bernecker, Geschäftsführer von C.E. Noerpel Logistik, lobt die gestiegene Transparenz rund um den Einsatz der Stapler und Elektrohubwagen. Er sieht seit dem Start des Flottenmanagements einen Rückgang der Schäden und erwartet Einsparungen bei den Reparaturkosten. Weitere Ziele sind eine gleichmäßige Auslastung und wirtschaftliche Einsatzzeiten der Flurförderzeuge. Bei Rudolph Logistik brachte die Schadenanalyse auf der Basis von Toyota I-Site über einen Tausch der Geräte von Niederhubwagen in besser geeignete Elektro-Fahrersitzgabelstapler einen Rückgang der Gesamtkosten um 33 Prozent. hel Hintergrund Rechtliche Grenzen für die lückenlose Überwachung Theoretisch eignet sich ein Flottenmanagementsystem zur lückenlosen Überwachung der Staplerfahrer. Zurückgelegte Wege, Fahrweise, Anzahl der Hübe: Alles kann über die Sensorik des Staplers oder die Hardwarekomponenten des Systems aufgezeichnet und mithilfe von Analysesoftware ausgewertet werden. Allerdings sind der Überwachung rechtliche Grenzen gesetzt. Bei der Frage von Leistungskontrollen mithilfe von IT-Systemen hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht und der schiebt dem Datenhunger des Chefs normalerweise einen Riegel vor. Deshalb bieten viele Flottenmanagementsysteme von vornherein Leistungsanalysen nicht auf Mitarbeiterebene, sondern auf Schicht- oder Betriebsstättenebene an. Es dient im Übrigen auch nicht der Akzeptanz eines Systems, wenn es als "Big Brother" wahrgenommen wird. Bei der Aufzeichnung von Unfallereignissen sieht es anders aus. Hier ordnen die Systeme den Schaden klar dem verantwortlichen Mitarbeiter zu - was rechtlich nicht als Leistungskontrolle zählt. In einigen Fällen ahnden die Flottenmanagement-Systeme ruppiges Fahren mit der Zwangsversetzung in den Kriechgang, den nur der automatisch benachrichtigte Chef wieder ausschalten kann. Dies hat eine hohe erzieherische Wirkung und erklärt die Senkung von Unfallzahlen durch den Einsatz des Systems. Unter dem Strich empfiehlt es sich, sowohl dem Betriebsrat als auch den Mitarbeitern klar aufzuzeigen, welche Ziele das System verfolgt und worauf der Flottenmanager achtet. Das schafft Transparenz und baut Ängste ab. hel

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