Wege aus der Platznot

Ab 16 Uhr ist auf Deutschlands Autobahnen Kreativität gefragt. In der Not zwischen ablaufender Lenkzeit und übervollen Parkplätzen missbrauchen Fahrer Seitenstreifen oder Ein- und Ausfahrten als Stellplatz und nehmen dafür schwere Unfälle in Kauf. Wer gewissenhafter parkt, überzieht entweder seine Lenkzeit und riskiert ein Bußgeld oder beendet die Fahrt frühzeitig. "Meine Laufleistung pro Lkw wird immer geringer", beklagt sich der Vize-Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL) Roland Rüdinger. Gerade Fahrer, die eine Region kaum kennen, halten früh Ausschau nach Parkmöglichkeiten. "Wer auf der Autobahn erst nach acht Stunden 55 nach einem Platz sucht, der ist blauäugig", sagt Rüdinger. An Lkw-Parkplätzen mangelt es in der ganzen Bundesrepublik. Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) erhob in seinem Verkehrsinvestitionsbericht vom Sommer 2017, dass bundesweit 11.000 Lkw-Stellplätze an Autobahnen fehlen, Andere gehen von weitaus höheren Zahlen aus. Die Vereinigung Deutscher Autohöfe beispielsweise. In ihrem diesjährigen Parkplatz-Report schreibt sie, dass über 30.000 Lkw-Stellplätze benötigt werden. Wenn das stimmt, müsste der Bestand an Parkplätzen auf Autobahn-Raststätten um gut zwei Drittel steigen. Derzeit gibt es laut BMVI 49.000 Plätze. Und es wird noch enger: Bis 2030 soll der bundesweite Straßengüterverkehr um 40 Prozent steigen. Bau geht schleppend voran "Wir kommen mit dem Bau neuer Parkplätze nicht hinterher", ächzt das Landesamt für Straßenbau und Verkehr in Sachsen. Wie auch in anderen Bundesländern wächst dort der Fernverkehr schneller, als Parkplätze entstehen. Der Staat investiert zwar - in den vergangenen zehn Jahren mehr als eine Milliarde Euro, mit der etwa 16.000 neue Lkw-Parkstände auf Rastanlagen geschaffen wurden -, doch die Umsetzung dauert zu lange. Da hilft auch das diesjährige Budget über 110 Millionen Euro für den Bau von Rastanlagen wenig. Schuld sind oft die langwierigen Planungsverfahren. Beispiel Brandenburg: Ein Neubau sowie sechs Erweiterungen von Tank- und Rastanlagen entlang der Autobahnen sind geplant. So sollen 700 Lkw-Stellplätze entstehen. Baubeginn ist nicht vor 2022/2023, sagt aber die Planungsgesellschaft Deges. Schon jetzt fehlen jedoch 1000 Stellplätze, schätzt Eberhard Tief, Geschäftsführer des Landesverbands des Berliner und Brandenburger Verkehrsgewerbes. Besserung verspricht der Gesetzesentwurf zur Planungsbeschleunigung, den die Regierung kürzlich auf den Weg gebracht hat. Bestimmte Bauvorbereitungen sollen mit der Neuregelung unter Umständen schon beginnen dürfen, bevor das Planungsverfahren abgeschlossen ist. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe begrüßt die "sinnvolle Verbesserung des Rechtsrahmens", gibt aber zu bedenken, dass der Bund kaum Planungskapazitäten habe. "Das Gesetz kann nichts ändern, wenn die nötigen Arbeitskräfte aufseiten des Bundes nicht vorhanden sind", sagte eine Sprecherin. Hinzu kommen Naturschützer, Bürgerinitiativen und Kommunen, die den Bau erschweren. "Da gilt das Sankt-Florians-Prinzip. Jeder schiebt die Verantwortung von sich. Bitte bauen, nur nicht bei uns in der Nähe", sagt der Sprecher vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Martin Bulheller. Der fordert von der Politik eine bessere Aufklärung, damit Kommunen und Anwohner dem Parkplatzbau mehr Toleranz entgegenbringen. "Das allein reicht nicht", sagt Bulheller, "wir brauchen ein ganzes Maßnahmen-Bündel, zum Beispiel auch gegen das Sozialdumping". Zu viele ausländische Unternehmen "campierten" auf deutschen Parkplätzen und verließen das Land nicht mehr, beklagt der BGL. Der Staat müsse sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass strengere Richtlinien gelten und sowohl Fahrzeug als auch Fahrer einer ausländischen Spedition spätestens nach drei Wochen in ihr Ursprungsland zurückkehren. Wirtschaft hilft sich selbst Angesichts der schwierigen Situation hilft sich die Wirtschaft jetzt selbst. Eine eigens ernannte "Revolution an der Autobahn" kommt von Bosch: die App "Secure Truck Parking". Sie vermittelt in Echtzeit freie Plätze auf Sicherheitsparkplätzen. Da das allein den Bedarf nicht decken kann, setzt der Technik-Konzern auf die Kooperation von Speditionen, die gegen Bezahlung ihren Betriebshof als Parkplatz anbieten. Erste Erfahrungen machte die Spedition Gebrüder Weiss an ihrem Wiener Standort. "Wir haben fast täglich Fahrzeuge von fremden Firmen hier. Die Abwicklung ist problemlos und der Aufwand gering", sagt Alexander Horak, der sich um das Business Development kümmert. Für die Sicherheit auf dem Gelände sorgen unter anderem Sicherheitskameras, Wachpersonal und eine Registrierung der Fahrer. Aber nicht alle sind so positiv gestimmt. "Ich würde mir ein Sicherheitsproblem herholen", urteilt VSL-Vizepräsident Rüdinger. Er möchte auf seinem Betriebshof keine fremden Fahrer haben. Doch auch wer helfen möchte, wie die Spedition Pfleiderer, muss erst einmal die Optionen und Risiken abwägen (siehe Kasten). Auch der BGL und der Versicherer Kravag feilen derzeit an einer Parkplatz-App. "Das allein ist keine Lösung", findet BGL-Sprecher Bulheller, "man kann die Politik da nicht aus der Verantwortung lassen. Unsere Mitglieder sagen: Wir zahlen Maut und Steuern, der Staat hat dafür zu sorgen, dass unsere Fahrer die vom Staat vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten können." Ob die Transportwirtschaft das Konzept Parkplatz-Sharing annimmt, ist noch nicht absehbar. Die Politik sucht derweil nach eigenen Ansätzen. "MDM", "Kompaktparken" oder "Kolonnenparken" heißen sie. Das Online-Portal Mobilitätsdatenmarktplatz (MDM) zählt auf 21 Rastanlagen zwischen München und Nürnberg die einund ausfahrenden Lkw und errechnet die Zahl der freien Stellplätze. Die kann der Fahrer dann auf einer App sehen. Vorhandene Flächen besser nutzen Beim Kolonnenparken wird dem Fahrer in der Zufahrtsgasse der Raststätte je nach Lkw-Länge und Abfahrtszeit ein freier Parkstand zugewiesen. Hierdurch will das BMVI das Parken verdichten und damit die Nutzung vorhandener beziehungsweise geplanter Flächen optimieren. Das Kolonnenparken gibt es an einer Rastanlage in Montabaur (A 3). Weitere Anlagen sind auf den Rastanlagen Hunsrück-West (A 61) und Inntal-West (A 93) in Bau. Auch das Kompaktparken ist noch in der Anfangsphase. Das Pilotprojekt an der Tank- und Rastanlage Jura-West auf der A 3 läuft seit 2016. Dort stellen sich die Fahrer selbstständig auf den entsprechenden Platz. Chronologisch gestaffelte Anzeigetafeln zeigen die Abfahrtszeiten an. Die Projekte bleiben aber ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis die zündende Idee gefunden wird, ist weiterhin Kreativität gefragt - jeden Abend ab 16 Uhr auf Deutschlands Autobahnen. Statement Parkplatzmangel für LkwDer Mangel an Lkw-Parkplätzen beschäftigt uns auch bei Pfleiderer intensiv. Für die termingerechte Lieferung benötigen wir funktionierende und effiziente Transportsysteme.Als verantwortungsvoller und attraktiver Verlader wollen wir die Disposition der Transporte inklusive der benötigten Warteund Ruhezeiten unterstützen und suchen an unseren Standorten nach Lösungen, die den Ausweis abgegrenzter Parkflächen sowie sanitärer Anlagen umfassen. Leider sind unsere Lkw-Warteplätze heute in die Werke integriert und aus Sicherheitsgründen dürfen dort keine externen Personen übernachten.Auch die Nutzung unserer Pkw-Parkplätze durch Lkw ist nicht möglich, da wir in allen Werken einen 24/7- Betrieb haben. An unserem größten Standort Neumarkt haben wir deshalb ein Projekt gestartet, wo wir eventuell mit einem externen Partner einen Parkplatz vor unserer Werkseinfahrt zur Verfügung stellen wollen, den wir als "Aufmarschfläche" nutzen und damit die Zeitfenstersteuerung und den Verladeprozess optimieren wollen. Alle eintreffenden externen Lkw sollen über diese Wartezone gesteuert werden, bis sie ins Werk abgerufen werden.Diesen Parkplatz wollen wir gegen Entgelt auch für längere Pausen, Übernachtungen etc. zur Verfügung stellen. Dadurch sollen unsere Dienstleister mehr Flexibilität und Zuverlässigkeit in der Planung bekommen, Parkplatzsuchzeiten vermieden und gleichzeitig die Sicherheit in unseren Werken erhöht werden. Diese Parkflächen sollen auch für externe Lkw nutzbar sein. Erste Pläne für einen solchen Parkplatz liegen vor und müssen nun weiter detailliert werden. Zur möglichen Abwicklung und Abrechnung sind wir beispielsweise mit Bosch Secure Truck Parking im Gespräch.Der BWVL vertritt die Interessen von rund 1200 Unternehmen aller Größenordnungen aus Industrie und Handel in puncto Transport und Logistik. Mehr unter:www.bwvl.deAndreas Ott, Vorstandsmitglied des BWVL und Leiter SCM der Pfleiderer Deutschland GmbH