Verlockender Orient

Märkte, die boomen, werden immer seltener. Eine Ausnahme: Iran. Nach Aufhebung des Embargos macht sich eine Aufbruchstimmung in dem Land breit, in dem nicht nur viele Menschen (78 Millionen Einwohner) leben, sondern in dem es aufgrund des Ölvorkommens und eines aufgestauten Nachholbedarfs eine hohe Bereitschaft gibt, Geld für Konsum und Produktion auszugeben. So erwartet Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), in zwei bis drei Jahren Exporte aus Deutschland nach Iran in einer Größenordnung von vier bis fünf Milliarden Euro. 2015 waren es nur zwei Milliarden Euro. In fünf bis sieben Jahren könnten es laut Treier leicht zehn Milliarden Euro und mehr sein. 50 Prozent mehr Aufkommen bei Reibel Ein Wachstum, von dem auch die Logistikbranche profitieren kann - und zwar nicht nur die großen Konzerne. So gibt die Spedition Reibel in Garching (Landkreis München) jeden Monat bis zu sieben Lkw-Komplettladungen in den Iran in Auftrag. "Gegenüber 2015 ist das Aufkommen um bis zu 50 Prozent gestiegen", sagt Geschäftsführer Franklyn Galeto. "Vor allem Maschinenersatzteile sind derzeit gefragt." Regelmäßig fordert die Spedition Vorkasse. Viele Großbanken nehmen nämlich weiterhin keine Zahlungen aus dem Iran entgegen. Weil einzelne Geldhäuser wie Deutsche Bank und Commerzbank wegen Verstößen gegen amerikanische Sanktionen 2015 hohe Geldstrafen zahlen mussten, warten die Banken auch nach dem Wegfall der meisten EU-Maßnahmen im Januar 2016 erst einmal ab. Die Amerikaner ziehen vorerst nicht mit und haben im Gegenteil sogar weitere Strafen gegen Unternehmen und Einzelpersonen wegen Unterstützung des iranischen Raketenprogramms verfügt. "Wegen dieser Engpässe können wir das Potenzial, das Iran-Verkehre bieten, bei Weitem nicht ausschöpfen", ärgert sich Galeto. Der Zahlungsverkehr bereitet Probleme Ähnliche Erfahrungen macht die Spedition Hirsch in Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck). "Gemessen an früheren Transportvolumina müsste unser Aufkommen um das Sechsfache steigen", sagt Dispositionsleiterin Katharina Medele. "Wegen der Finanzierungsprobleme zögern auch bekannte Industriekunden mit der Wiederaufnahme ihrer alten Geschäftsbeziehungen." Andere exportieren mit Akkreditiven, welche von Banken in Drittstaaten eingelöst werden. Als Folge gehen viele Zahlungen erst verzögert ein. Beide Speditionen bekommen hautnah die Ernüchterung zu spüren, die viele Industrieunternehmen trotz des "Implementation Day" am 16. Januar 2016 zwischenzeitlich erfasst hat. An diesem Tag hat die Europäische Union die meisten Handelssanktionen ausgesetzt. Viele Industrieunternehmen wollen jetzt wieder verloren gegangenes Terrain zurückgewinnen. Von 2005 bis 2015 haben sich die Exporte in den Iran auf zwei Milliarden Euro mehr als halbiert. Deutschland ist längst nicht mehr Irans wichtigster Handelspartner. Allerdings muss der Export von Metallen, Grafiten, ERP-Softwares, Raketentechnologie und Dual-Use-Produkten, welche auch militärisch genutzt werden können, weiterhin vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) genehmigt werden. Als "Dual Use" können auch besonders nachgefragte Ersatzteile eingestuft werden. "Derzeit ist noch nicht planbar, wie lange eine solche Genehmigung dauert und ob sie überhaupt erteilt wird", warnt Ulrike Jaspers, Risk Management-Expertin beim Beratungsunternehmen AEB. Deutsche Manager müssen im Iran jedoch nicht nur viele gesetzliche Regelungen berücksichtigen (siehe VR 9/2016, Seite 67). Sie treffen in dem Land auch auf viele neue Konkurrenten. Seit den EU-Sanktionen 2007 haben vor allem chinesische Unternehmen ihre europäischen Wettbewerber verdrängt. Auch die politische Großwetterlage bleibt unsicher. Weil sowohl die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2016 als auch die iranischen im Sommer 2017 zu einem Rückschlag führen können, zögern Unternehmen auf beiden Seiten mit langfristigen Abschlüssen und größeren Investitionen. Auf der anderen Seite benötigt die Regierung des gemäßigten Präsidenten Hassan Rohani dringend wirtschaftliche Erfolge, wenn sie die hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei den jungen Erwachsenen abbauen will. "Die Situation ist verhalten erwartungsvoll", sagt Klaus Friedrich, Außenwirtschaftsexperte des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Außer dieser Branche machen sich vor allem Automotive-Unternehmen, Fördertechnologiehersteller, Elektronikkonzerne und die Healthcare-Industrie Hoffnungen auf größere Engagements im Iran. Von vielen Projekten würde auch die Verkehrswirtschaft profitieren. So will Daimler wieder mit einem regionalen Partner Lkw bauen. Siemens plant für das Schienennetz Elektrifizierungen sowie zwei Hochgeschwindigkeitsstrecken. Solche und andere Projekte können jedoch nur mit reibungslosen Zahlungsverkehren realisiert werden. Gegenwärtig akzeptieren manche Großbanken nicht einmal Geldeingänge von der Europäisch-Iranischen Handelsbank (EIH), obwohl diese am 16. Januar 2016 ebenfalls von der Sanktionsliste gestrichen wurde. Als Konsequenz schalten manche Unternehmen Banken in der Türkei und Golfregion als Zwischenstation für Geldtransfers ein, was jedoch nicht völlig risikofrei ist und für größere Projekte kaum infrage kommt. Teheran und Bandar Abbas im Fokus Für die Logistikwirtschaft ist diese Situation auch deshalb ärgerlich, weil auch große Branchenunternehmen vergleichsweise kleine Transaktionen tätigen und diese häufig nicht über Großbanken abwickeln. "Wir können auch kleine Regionalbanken einschalten", gibt Hans-Michael Dietmar, Vice President Network Development von Schenker AG, zu bedenken. Mit der regionalen Sparkasse oder Raiffeisenbank steht wenigstens auf dem Papier jedem Logistikunternehmen ein Finanzdienstleister zur Verfügung, der keine amerikanischen Strafmaßnahmen fürchten muss. Weil jedoch viele Institute keine Erfahrung mit Iran-Geschäften haben, zögern auch sie mit deren Finanzierung. "Sprechen Sie vor neuen Iran-Geschäften auf jeden Fall mit Ihrer Hausbank", rät Andrea Franz, Außenwirtschaftsexpertin der IHK München, Logistikdienstleistern. Viele Speditionen bauen ihre Netzwerke im Iran trotz der Hürden vorsichtig aus. Hierbei konzentrieren sie sich vor allem auf die Hauptstadt Teheran sowie die Hafenstadt Bandar Abbas. Über die moderne Metropole an der Straße von Hormus im Persischen Golf werden mittlerweile 75 Prozent aller Seeimporte abgewickelt. Viele Logistikdienstleister haben bereits vor dem Embargo mit iranischen Branchenunternehmen kooperiert und denken deshalb nicht an eigene Niederlassungen. Der Partner von Schenker ist die Teheraner Spedition Meshkin. Mit 50 Mitarbeitern an vier Standorten hat dieses Unternehmen ein kleineres Netzwerk aufgebaut, das wie üblich fast ausschließlich aus selbstständigen Frachtführern besteht. Jetzt meldet Schenker sowohl für Lkw-Sammelverkehre nach Teheran wie für Seefrachtverkehre über Bandar Abbas steigende Aufkommen. "Wir transportieren außer Maschinen und Ersatzteilen auch Konsumgüter", deutet Dietmar eine Ausweitung des Güterspektrums an. Ceba Logistics mit mehr Touren nach Iran Auf eine solche Entwicklung stellt sich auch Militzer & Münch ein. Wichtigster Iran-Partner des St. Galler Unternehmens ist der Marktführer PTB, der 600 Mitarbeiter beschäftigt. "Wir werden für Iran-Geschäfte zusätzliches Personal einstellen", sagt Geschäftsführer Lothar Thoma (siehe Kasten Seite 25). Aber auch kleinere Speditionen bauen ihre Iran-Angebote aus. So fährt Ceba Logistics, Augsburg, auch die regionalen Metropolen Täbris im Nordwesten und Meshhed im Nordosten an (siehe Karte). "2016 werden wir 30 bis 40 monatliche Touren statt bislang 25 bis 30 fahren", sagt Logistikchef Evren Cesur. Der Iran-Spezialist hat Automotive-, Bau-, Chemie- und Pharmakonzerne als Kunden. Wenn möglich vereinbart er ebenfalls Vorkasse. "An die früheren Volumina werden wir erst in zwei bis fünf Jahren anknüpfen", stellt Cesur sich auf ein langsames Wachstum ein. Im Gegenzug strecken auch iranische Unternehmen ihre Fühler nach Europa aus. So nahm die Staatsreederei IRISL Ende Februar ihren Containerdienst nach Hamburg und Antwerpen wieder auf. An der Infrastruktur sollte das geplante Wachstum nicht scheitern. Die Straßennetze der Islamischen Republik sind gut entwickelt, die Schienentrassen sollen einem Regierungsbeschluss zufolge um jährlich zehn Prozent wachsen. Außerdem soll in Teheran ein Containergroßterminal entstehen. Die Zollbehörden arbeiten längst mit elektronischen Verfahren, die Verzollungsvorschriften gelten als unproblematisch. Für Thoma stehen und fallen künftige Iran-Geschäfte mit den Zahlungsverkehren. "Wenn hier keine Einschränkungen mehr existieren, brechen die Dämme", ist der Unternehmer überzeugt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Naher Osten" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Aus der Praxis: Kooperation mit Partnern vor Ort Militzer & Münch hat den iranischen Markt im Blick Die Voraussetzungen für die in St. Gallen ansässige Spedition Millitzer & Münch (M&M) für eine Expansion in den Iran könnten besser kaum sein. Der Partner PTB Group gehört wie M&M dem Mischkonzern Transinvest Holding an, der vom iranisch-stämmigen Geschäftsmann Yousef Sherkati geführt wird. Mit 600 Mitarbeitern an 15 Standorten und 450.000 Quadratmetern Lagerfläche gilt PTB als Marktführer im Iran. In Teheran und Bandar Abbas unterhält das Unternehmen Containerterminals, die jetzt ausgebaut werden."Die Entscheidung über 90 Prozent der Transporte fällt im Iran", sagt M&M-CEO Lothar Thoma. Mit Mitarbeitern aus Deutschland und anderen wichtigen Handelspartnern wird M&M PTB unterstützen. Thoma möchte so Verkehre, welche während der Sanktionszeit vor allem von Chinesen über Dubai abgewickelt wurden, wieder auf die klassischen Landrouten zurückbringen. "Viele iranische Frachtführer benötigen für Frachtübernahmen in der Türkei oder Bulgarien nur eine Tankfüllung", sagt Thoma. Weil Treibstoff im Iran nur 0,37 Euro/Liter kostet, winken massive Preisvorteile. Außerdem hat M&M eine Track & Trace-Lösung entwickelt, die jeder Fahrer leicht installieren kann. "Das erleichtert die Zusammenarbeit mit ständig wechselnden Frachtführern", sagt Thoma. bot Iran in Kürze - Fläche: 1,648 Millionen Quadratkilometer- Einwohner: 78,6 Millionen- Religion: Muslimisch (90 Prozent Schiiten)- Sprache: Farsi- Bruttoinlandsprodukt: 397 Milliarden (Mrd.) Dollar (2015; 2014: 416,5 Mrd. Dollar)- Wirtschaftswachstum: 4,4 Prozent (Prognose 2016; 2015: 0,8 Prozent)- Importe weltweit: 65,4 Mrd. Dollar (2014; vor allem Nahrungsmittel, Maschinen, Chemie, Elektrotechnik, Eisen und Stahl, Transportfahrzeuge)- Exporte weltweit: 88,8 Mrd. Dollar (2014, vor allem Erdöl und Gas)- Wichtigste Importpartner: China (23,4 Prozent), VAE (22 Prozent), Südkorea, Indien (beide 7,7 Prozent), Türkei (7,2 Prozent), Deutschland (4,7 Prozent, 2014)- Straßennetz: 230.000 Kilometer (2011)- Schienennetz: 16.272 Kilometer (2014)- Internationale Flughäfen: Teheran (2), Isfahan, Shiraz- Internationale Seehäfen: Bandar Abbas, Kish Island, KhorramshahrQuelle: GTAI. WDI

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