Verkuppeln auf die andere Art

Weniger CO2-Emissionen, eine gute Energiebilanz, kaum Feinstaubbelastung: All das sind Gründe, warum die Politik intensiv daran arbeitet, die Rahmenbedingungen für den Schienengüterverkehr zu verbessern. Deshalb hat das Bundesverkehrsministerium mit der Branche einen Masterplan Schienengüterverkehr entwickelt. Deshalb haben sich der Bund und die Deutsche Bahn Ende Juli auf einen Finanzierungsplan geeinigt, der bis 2029 eine kräftige Erhöhung der finanziellen Mittel für Investitionen in das Schienennetz vorsieht. Doch jetzt sind die Akteure gefordert, diesen Ball auch aufzunehmen, um das Ziel - mehr Verkehr auf die Schiene - in die Realität umzusetzen. Dazu muss die Branche ihre Hausaufgaben machen. Der Schlüssel zum Erfolg Ein großes Manko ist ihre fehlende Innovationsfähigkeit. Hier kann die Bahnindustrie in Zusammenspiel mit ihrem Kunden dem Tempo der Nutzfahrzeugindustrie nicht folgen. Aber der Schienengüterverkehr wird dem Lkw nur dann Konkurrenz machen können, wenn auch bei der Zugtechnik deutliche Fortschritte gelingen. Das war ein Grund, warum sich 13 Unternehmen zu dem Technischen Innovationskreis Schienengüterverkehr (TIS) zusammengeschlossen haben (siehe Kasten Seite 24). Ein wesentliches Ziel der Experten: Sie wollen einen erheblichen Produktivitätsschub erreichen mit den Instrumenten der Automatisierung und Digitalisierung. Damit soll die Bahn wettbewerbsfähiger gemacht werden, um so "einen deutlich höheren Modalanteil im Güterverkehr zu erzielen", wie Peter Reinshagen, Managing Director Ermewa und stellvertretender Sprecher der TIS, das Ziel formulierte. Gründe für fehlende Innovationen Dazu hat der TIS ein Weißbuch erstellt mit dem Namen IG2 , das im Juni in München vorgestellt wurde. IG steht für intelligenter Güterwagen und intelligenter Güterzug. Die Verbesserung jedes dieser Elemente soll zu einem Ergebnis führen, das mehr ist als nur die Summe aller Teile. Doch vorab stellt sich die Frage: Warum ist die Branche so wenig innovativ? Warum werden die Waggons nach Jahrzehnten immer noch per Hand gekuppelt? Oder warum ist bei der Mehrheit der Züge kein Tracking and Tracing möglich, wie das im Straßengüterverkehr schon seit Jahren praktiziert wird? Antworten liefert das Weißbuch: Zum einen werden Züge und Waggons deutlich länger genutzt. Auf der Straße werden die Einheiten zumindest im Fernverkehr nach vier, fünf Jahren getauscht. Im Schienengüterverkehr sind die Loks und Waggons zum Teil bis zu 40 Jahre im Einsatz. Entsprechend länger sind die Innovationszyklen in der Branche. Eine weitere Hemmschwelle ist die internationale Ausrichtung der Verkehre. Die Güterwagen müssen miteinander kompatibel sein. Daher ist bei Änderungen ein hoher Abstimmungsaufwand notwendig mit vielen Bahnen und Zulassungsbehörden in Europa. Und die Entwicklungs- und Zulassungskosten je Einheit sind sehr hoch, auch, weil der Markt in Europa - im Vergleich zu den verkauften Einheiten im Straßengüterverkehr - relativ klein ist. Doch trotz dieser Hürden will der TIS die Entwicklung des innovativen Güterzuges vorantreiben. "Die Automatisierung der Betriebsabläufe ist dabei ganz entscheidend", sagt Thomas Jäger, Leiter Asset & Technology bei DB Cargo und stellvertretender Sprecher im TIS. Zur Automatisierung gehören unter anderem die automatische Bremsprobe, die automatische wagentechnische Untersuchung und das automatische Kuppeln/Entkuppeln. Letzterer Prozess gilt als ein zentraler Baustein der Automatisierung im Schienengüterverkehr. Denn die digitale automatische Kupplung (DAK) wird nicht nur im schwächelnden Einzelwagenverkehr zum Einsatz kommen. "Alle Waggons werden damit ausgerüstet. Alle werden sie haben müssen", sagt Jäger. Die DAK soll also auch im Kombinierten Verkehr (KV) und im Ganzzugverkehr die Abläufe erleichtern. Vorteile auch für das Tracking & Tracing Denn hinter der DAK steckt deutlich mehr als nur das automatische Kuppeln. Es gibt verschiedene Stufen der DAK. Zur Endstufe gehört eine integrierte Strom- und Datenbusleitung. "Sie ermöglicht Effizienzsprünge, von denen das gesamte System Schiene profitieren wird", heißt es in dem Weißbuch IG2 . Das trifft auch auf das Tracking & Tracing zu, das im KV von großer Bedeutung ist. Die mit der DAK verbundenen neuen Leitungen sollen gewährleisten, dass die steigenden Anforderungen an die Telematikanwendungen und Automatisierungen erfüllt werden können. Derzeit werden Daten wie Stöße, Temperatur oder Druck am Güterwagen durch Sensoren erfasst und dann an die Telematikeinheit am Güterwagen weitergegeben, entweder per Kabel oder funkgebunden. Dabei kommen für die Sensoren Batterien an den Waggons zum Einsatz und werden die Daten in der Regel per Mobilfunk an die Lok übertragen. "Was für die gegenwärtige Nutzung von Telematikgeräten funktioniert, wird in Zukunft nicht mehr ausreichen", schreiben die Experten in dem Weißbuch. Immer mehr Daten müssen immer häufiger und zuverlässig weitergeleitet werden. Auch das Tracking & Tracing von Container oder Auflieger gehört dazu. Damit steigt der Energieverbrauch an Bord der Güterwagen, sodass die Akkus die erforderliche Leistung irgendwann nicht mehr erbringen können. Deshalb sind entsprechende Strom- und Datenbusleitungen erforderlich. DAK wird mehrere Milliarden Euro kosten Die DAK hat aber noch weitere Vorteile. So ließe sich eine elektropneumatische Bremse, die es im Personenverkehr bereits gibt, einbauen. Dazu ist eine Luftleitung notwendig, die parallel zu den beiden anderen Leitungen verlaufen könnte. Das würde das gleichzeitige Bremsen aller Fahrzeuge unabhängig von der Länge des Zuges ermöglichen und wäre materialschonend. Für die DAK gelten jedoch auch die oben bereits genannten Hürden: Der Abstimmungsbedarf bei der Zulassung ist hoch und die Kosten gleichfalls. Laut Jägers vorläufiger Schätzung könnten im Endstadium pro Kupplung 5000 Euro fällig werden. Macht 10.000 Euro pro Wagen. Bei etwa 500.000 Güterwagen in Europa, die laut Jäger umgerüstet werden müssten, würden die Gesamtkosten also immerhin fünf Milliarden Euro betragen. Doch es ist laut Jäger ein lohnendes Projekt, da es den Schienengüterverkehr in Europa "revolutionieren" würde: "Dann befinden wir uns in einer ganz anderen Welt." Doch bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg. Neben der Anstrengung aller Beteiligten ist noch eine weitere Voraussetzung notwendig: "Es geht nicht ohne die Unterstützung der Politik", sagt Jäger und meint damit eine finanzielle Förderung bei der Entwicklung und Markteinführung. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Railcargo www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Die Schienengüterverkehrsbranche gilt nicht als sehr innovativ. Daran will ein kleiner Kreis einflussreicher Unternehmen jetzt etwas ändern.Vor allem die digitale automatische Kupplung könnte dazu führen, dass die Schiene deutlich konkurrenzfähiger wird. Wer steckt hinter dem TIS? Ziel des Technischen Innovationskreises Schienengüterverkehr (TIS) ist es, über Verbesserungen am Waggon und am Zug den Schienengüterverkehr effizienter zu gestalten und somit wettbewerbsfähiger zu machen.Logistikfähigkeit im BlickBereits 2012 hatte das Gremium ein Weißbuch veröffentlicht mit dem Titel"Innovativer Eisenbahngüterwagen 2030". Das war der Startschuss zu der Zukunftsinitiative "5L". Dieses Kürzel steht für die fünf Begriffe logistikfähig, leicht, life-cyclecost-orientiert, leise und laufstark. Im Nachgang haben sich verschiedene Arbeitskreise mit den Themen Telematik, Laufwerk, Wagendesign und Wirtschaftlichkeit befasst und bereits Projekte umgesetzt. Aktuell gehören dem TIS die Unternehmen BASF, DB Cargo, DB Systemtechnik, Groupe Ermewa, GATX Rail Germany, Knorr-Bremse, SBB Cargo, VTG, Waggonbau Graaff, WBN Waggonbau Niesky und Wascosa an. cd

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