Berlin. Nach über zweijährigen Verhandlungen haben sich der Bund und die 16 Länder auf eine Reform ihrer Finanzbeziehungen ab 2020 geeinigt. Bestandteil des Beschlusses ist die Gründung einer privatwirtschaftlich organisierten „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ des Bundes, in die die Autobahnen überführt werden sollen. Dies könnte die Beteiligung von Privatinvestoren an Bauprojekten erleichtern. Auf einhellige Zustimmung stieß das Vorhaben bei den Verbänden. Einer Fernstraßengesellschaft im Eigentum des Bundes werde es leichter fallen, Planungsprozesse effizienter zu gestalten und die heutigen Personalengpässe in den Verwaltungen zu überwinden, zeigte sich Eduard Oswald, Präsident der Straßenverkehrsinitiative Pro Mobilität überzeugt. Sorge bereite ihm aber die Absicht, Bundeszuweisungen für kommunale Straßen und kleinere Projekte des öffentlichen Verkehrs nach 2019 nicht weiter zu führen.
Der Beschluss wirke nur, „wenn es der privatrechtlichen Struktur einer Gesellschaft des Bundes auch gelingt, sich am Arbeitsmarkt im Wettbewerb um Ingenieure ausreichend Fachkräfte zu sichern“, gab der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), Frank Huster, zu bedenken. Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) wertete den Beschluss zwischen dem Bund und den Ländern als Erfolg und mahnte zur Eile, damit das Grundgesetz noch vor Ablauf der Wahlperiode im September 2017 geändert werden könne. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) nannte den Beschluss einen „Meilenstein in der Verkehrspolitik“.
Änderung des Grundgesetzes erforderlich
Details der neuen Gesellschaft müssen allerdings noch geklärt werden. So ist noch unklar, ob auch die Bundesstraßen unter die Regie der Infrastrukturgesellschaft fallen sollen. Vereinbart ist eine Ausnahmemöglichkeit. Dem Vernehmen nach soll Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) die Einzelheiten mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien aushandeln. Erforderlich ist jedenfalls eine Änderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und Bundesrat. Ohne Zustimmung der Grünen, die demnächst in 11 Ländern an der Regierung beteiligt sein werden, geht also nichts. Die Länderverkehrsminister hatten bisher parteiübergreifend auf der Auftragsverwaltung beharrt, doch haben sich im Ergebnis der Verhandlungen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sowie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) durchgesetzt.
Reibungsverluste vermeiden
Sie argumentierten seit langem, die bisher zwischen Bund und Ländern geteilte Zuständigkeit schaffe Reibungsverluste und sei ineffektiv. Derzeit gibt der Bund das Geld, während die Länder fürs Planen, Bauen und den Erhalt zuständig sind. Immer wieder hatte sich Dobrindt kritisch über den Planungsstau geäußert und zuletzt am Rande der Verkehrsministerkonferenz sogar sechs Länder benannt, die keine baureifen Projekte benennen konnten. Schließlich war ihm auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beigesprungen. Auf dem Kongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) bekannte sie zum Erstaunen ihrer Zuhörer Anfang Oktober, dass man „europaweit Planungsfachleute aus Spanien, Portugal und anderswo“ suche, um die hiesigen Engpässe abzubauen. „Wir müssen unbedingt aufpassen, dass wir nicht weitere Zeitverzögerungen bekommen“.
Planungsdefizite eingeräumt
So musste etwa Schleswig-Holstein in einer Aktuellen Stunde des Landtags Planungsdefizite einräumen. Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) gab bekannt, zu den derzeit 92 reinen Planerstellen sollten im nächsten Jahr bis zu 30 hinzukommen. Aus Nordrhein-Westfalen wurde bekannt, dass in diesem Jahr 105 Ingenieurstellen ausgeschrieben worden sind, bis August aber erst 43 besetzt wurden. Einige Ländervertreter taten sich schwer mit dem Kompetenzverlust. „Im Interesse der Gesamtlösung muss Schleswig-Holstein hier leider eine dicke Kröte schlucken“, sagte Ressortchef Meyer. Die Beschäftigten in den Ländern müssten sich keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, beruhigte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). Im Bundestag hagelte es Kritik. „Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur zulasten des Steuerzahlers und der Belegschaften in den Straßenbauverwaltungen“, erregte sich der Linken-Verkehrspolitiker Herbert Behrens, von einem „riesigen intransparenten Schattenhaushalt, der vom Parlament nur schwer zu kontrollieren wäre“, sprach der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler. (jk)