Unerwünschtes Comeback

Wolfgang Anwander ist stinksauer. Voraussichtlich im Herbst 2015 wird der Geschäftsführer des Transportunternehmens AIT im oberbayerischen Rohrdorf vier neue Euro-6-Lkw in Betrieb nehmen. Jetzt fragt er sich, ob diese Investition wirklich sinnvoll ist. "Wenn Tirol tatsächlich das sektorale Fahrverbot wieder einführt, werden die Fahrzeuge den Brenner möglicherweise nie auf der Autobahn überqueren", schimpft der Transportunternehmer. "Der Transport eines Euro-6-Lkw auf der Rola macht jedoch unter umweltpolitischen Gesichtspunkten überhaupt keinen Sinn." Anwander hat sich auf den Transport von keramischen Fliesen spezialisiert. Genau dieses Produkt fällt unter das sektorale Fahrverbot, das das schwarz-grüne Kabinett in Innsbruck noch 2015 für die Inntal-Autobahn durchsetzen will. Zweimal haben Tiroler Landesregierungen sektorale Lkw-Fahrverbote für rund ein Dutzend Transportgüter (siehe Kasten Seite 23) erlassen - zweimal wurden sie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zurückgepfiffen. 2005 und 2011 kassierten die Luxemburger Richter die Verbote wieder ein. Eine derartige Einschränkung des freien Warenverkehrs sei nur gerechtfertigt, wenn alle anderen Maßnahmen zur Senkung der Schadstoffbelastung sich als wirkungslos erwiesen hätten, argumentierte der EuGH. Da Tirol auf verbindliche Geschwindigkeitsbegrenzungen verzichtet hatte, gaben die Richter der klagenden EU-Kommission recht. Jetzt wagt Innsbruck einen dritten Anlauf. Treibende Kraft für ein neuerliches Fahrverbot ist die Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe, die die Ressorts Umweltschutz und Verkehr verantwortet. Seit ihrer Amtsübernahme im Mai 2013 versichert die Grünen-Politikerin unermüdlich, spätestens ab 2016 für sinkende Transitzahlen zu sorgen und so die Luftqualität des Alpenstaats dauerhaft zu verbessern. "Unser Ziel ist die größte Entlastung Tirols seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995", sagte Felipe wiederholt und wies in diesem Zusammenhang auf die ständig steigenden Transitzahlen hin. 2014 fuhren 1,85 Millionen Lkw und Busse (2013: 1,76 Millionen) über den Brenner: So viele waren es seit 2007 nicht mehr. An internationalen Protesten gegen die Wiederkehr des Ladenhüters fehlt es nicht. So wetterte die italienische Transportunternehmervereinigung Anita bereits Ende 2014 gegen die Tiroler Pläne. "Wenn die Innsbrucker Regierung die Luftqualität wirklich verbessern will, muss sie bei den Schadstoffklassen der Zugmaschinen und nicht bei den Transportgütern ansetzen", sagte Anita-Präsident Thomas Baumgartner. Ähnlich äußert sich Sebastian Lechner: "Wir sehen im sektoralen Fahrverbot eine Behinderung des freien Warenverkehrs und werden gegen die Maßnahme bei der EU-Kommission intervenieren", kündigt der Hauptgeschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT) an. ÖVP und Grüne verhandeln noch Die Ouvertüre zum neuerlichen sektoralen Fahrverbot hat bereits stattgefunden. Seit 20. November 2014 gilt auf 120 Kilometern der Inntal-Autobahn Tempo 100. Mit dieser Maßnahme will die Landesregierung der wohl wichtigsten Auflage der EuGH-Urteile Rechnung tragen. Ausdrücklich spricht die Landesregierung von einem "Probebetrieb" für ein Jahr. Wenn das Tempolimit nicht zu einer Schadstoffreduktion führt, soll es wieder aufgehoben werden. Vor allem für die rund 40 Kilometer lange Brenner-Zufahrt ab Innsbruck gilt ein solches Szenario als wahrscheinlich. Auf dieser Strecke mit über 750 Metern Gefälle ist bereits vor dem 20. November fast jeder Lkw langsamer als 100 Stundenkilometer gefahren. Auch Fahrverbots-Befürworter räumen ein, dass die Zahl der Geschwindigkeitsüberschreitungen durch Lkw bislang relativ gering ist. Im Dezember 2014 hat die Tiroler Polizei 245 Temposünder ermittelt. Vier von fünf waren nachts unterwegs. Die von ÖVP und Grünen gebildete Landesregierung benötigt die einjährige Vorlaufzeit auch wegen weiterer EuGH-Auflagen. Transportunternehmer und Anbieter der Rollenden Landstraße (Rola) müssen über ein sektorales Fahrverbot frühzeitig informiert werden, urteilten die Richter. Andernfalls können sie nicht rechtzeitig auf schadstoffarme Fahrzeuge umsteigen beziehungsweise ausreichend Niederflurwagen und anderes Rola-Equipment anschaffen. Gut möglich, dass das sektorale Fahrverbot mit weiteren Einschränkungen für Lkw mit älteren Euro-Motoren einhergeht. Auch eine solche Maßnahme hatten die Luxemburger Richter im Jahr 2011 angeregt. Einem Regierungssprecher zufolge verhandeln ÖVP und Grüne darüber noch. Transportunternehmer haben schon heute mit massiven Einschränkungen auf der Inntal-Autobahn zu kämpfen. Für Lkw über 7,5 Tonnen mit Euroklasse Null, Eins, und - mit Anhängern - Zwei ist die Autobahn ab dem Grenzort Kufstein bis Zirl bei Innsbruck ganzjährig gesperrt. Für die meisten übrigen Nutzfahrzeuge gilt ein Nachtfahrverbot, das weiter ausgebaut wird. Ab 2016 dürfen auch Lkw mit Euro-6-Motoren nachts im Transit nur noch dann fahren, wenn sie lebende Tiere, Lebensmittel oder Druckperiodika transportieren. Wenigstens genau so spannend ist die Frage, ob Ökombi und andere Rola-Anbieter ausreichend Niederflurwagen bereitstellen können. Die Ökombi-Mutter Rail Cargo Group (RCG) führt darüber bereits Gespräche mit der Tiroler Landesregierung. RCG rechnet mit jährlich 60.000 bis 70.000 Lkw-Zügen, die die Rola zusätzlich aufnehmen wird. Das ist höchstens ein Drittel der 200.000 Lkw-Fahrten, die Verkehrspolitikerin Felipe von den Tiroler Straßen verbannen möchte. Entsprechend konservativ kalkuliert die RCG den Bedarf an weiteren Niederflurwagen. "Wir rechnen mit 40 bis 50 zusätzlichem rollenden Material, das angemietet werden muss", sagt eine Sprecherin. Tirol muss Farbe bekennen Ob ab 2016 wie während früherer Fahrverbote täglich bis zu 30 Rola-Züge in beiden Richtungen fahren werden, bleibt abzuwarten. Ohnehin ist die Rola im Aufwind: Im vergangenen Jahr transportierte Ökombi auf täglich rund 16 Zügen von und nach Italien rund 144.000 Lkw (+9 Prozent). Möglicherweise sind manche Lkw, die die Tiroler Regierung loswerden will, längst auf der Schiene unterwegs. Wie auch immer: Für den Jahresplan 2016 müssen die Rola-Anbieter neue Trassen mit acht Monaten Vorlaufzeit bestellen. Spätestens im April 2015 muss die Tiroler Landesregierung Farbe bekennen, wann das sektorale Fahrverbot tatsächlich kommt. Historie des sektoralen Fahrverbotes Der dritte Vorstoß der Tiroler Landesregierung für ein sektorales Fahrverbot auf der Inntal-Autobahn kommt nicht überraschend. Wenige Tage nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21. Dezember 2011 hatte Landeshauptmann Günther Platter in einem Zeitungsinterview "Widersprüche" in der Urteilsbegründung ausgemacht und eine Neuauflage des Fahrverbots angekündigt. Prinzipiell hatte das Gericht Fahrverbote als "taugliches Mittel" zur Reduktion von Schadstoffemissionen bezeichnet. Allerdings müssten vor deren Einführung alle anderen Möglichkeiten für dieses Ziel ausgeschöpft werden.Das sektorale Fahrverbot gilt seit 2005 für alle Lkw, die Abfälle, Steine, Erdaushub, Rundhölzer, Kork und Autos über den Brenner fahren. Am 1. Juli 2009 kamen Stahl, Eisen- und Nichteisenerze, Marmor, Travertin sowie keramische Fliesen dazu. Am 21. Dezember 2011 wurde das Fahrverbot nach dem EuGH-Urteil mit sofortiger Wirkung ausgesetzt. bot

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