Überschaubare Folgen

Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Kaum hatte Claus Weselsky, umstrittener Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL), den über 60 Stunden langen Streik am dritten Oktober-Wochenende für den Schienengüterverkehr angekündigt, schon schrillten in der Fahrzeugdisposition von Rheincargo die Telefone. "Mehrere Kunden aus der Automotive-, Mineralöl- und Chemieindustrie orderten Fahrzeuge für Fernverkehre, welche regulär von DB Schenker Rail gefahren werden", berichtet Rheincargo-Sprecher Michael Fuchs. 90 Lokomotiven und 1000 Waggons hat Rheincargo. Viele sind nur unter der Woche unterwegs und standen deshalb am Streikwochenende zur Verfügung. Wenn Güterverkehre wegen unvorhergesehener Ereignisse auszufallen drohen, mobilisieren Verlader und Verkehrsunternehmen alle Reserven, um wenigstens zeitkritische Verkehre doch noch zu starten. Das Equipment privater Bahnen wie Rheincargo oder TX Logistik war im Nu ausgebucht. Angeblich soll in einigen Fällen die Deutsche Bahn (DB) selbst Kapazitäten eingekauft haben. Andere Verlader stiegen kurzfristig auf den LKW um. Verlader zeigen sich vorbereitet In keiner Industriebranche sind größere Versorgungsengpässe bekannt geworden, was Gunnar Gburek, Bereichsleiter Logistik im Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), nicht wundert. Auch bei widrigem Wetter würden Verkehre ausfallen oder nur mit Verzögerung ihr Ziel erreichen. "Viele Unternehmen kalkulieren deswegen mit zwei Tagen Puffer," sagt der Logistikexperte. "Außerdem sollte jeder Verlader für den Fall von Störungen in der Supply Chain zwei bis drei zusätzliche Dienstleister in der Hinterhand haben." Einen Puffer benötigten allerdings auch Verlader, welche am Streik-Wochenende keine Liefer- und Distributionsverkehre in Auftrag gegeben haben. Weil viele Güterzüge erst am Montag starten konnten, verzögerte sich der Rücklauf von Leerwaggons und Leercontainern um ein bis zwei Tage. Das machte vor allem der Stahl- und Chemieindustrie zu schaffen. "Vor allem wegen der reduzierten Leerwagenversorgung verzögerten sich Kundenanlieferungen", bestätigt eine Sprecherin von Saarstahl. Allerdings waren auch zahlreiche private Eisenbahnunternehmen vom Streik betroffen. Denn viele Lokführer pendeln mit der Bahn und sind deshalb erst verspätet am Arbeitsplatz eingetroffen, berichtet Frank Lehner. "Außerdem waren Knotenpunkte und Bahnhöfe durch abgestellte DB-Züge dermaßen überfüllt, dass Personalwechsel und Lokomotivabstellungen an einzelnen Orten operativ geregelt werden mussten", sagt der Vorstand von TX Logistik. "Das führte nicht nur zu einem enormen Mehraufwand, sondern auch zu weiteren Zugverspätungen." Im Personenverkehr konnten die DB und ihre Tochtergesellschaften bereits am Montag Nachmittag von einer Rückkehr zur Normalität sprechen, im Güterverkehr war dies erst am Mittwoch möglich. Allerdings hatten auch dann einzelne Linienverkehre von Kombiverkehr zum Beispiel ins französische Bayonne immer noch nicht ihren Betrieb aufgenommen. Bei der intermodalen Bahntochter fielen an den drei Streiktagen laut eigenen Angaben bis zu 30 Prozent der Züge aus. Durchschnittlich 200 Züge standen still Bei den Ganz- und übrigen Zügen von DB Schenker Rail waren die Ausfälle kaum niedriger. Während des gesamten Wochenendes standen durchschnittlich 200 Züge still, teilt die Konzerntochter mit. Vor allem in Regionen mit hoher Streikbeteiligung wie Ostdeutschland konnten nur wenig Schienenverkehre stattfinden. Als Folge verkehrten auch kaum Züge nach Polen und Tschechien. Völlig aus dem Verkehr genommen wurden Sonderzüge: Sie konnten erst am Dienstag starten. Während des Streiks hielt DB Schenker Rail vor allem den Betrieb von zeitkritischen Zügen für Großkunden in der Energie- und Automotive-Branche aufrecht. Auch Einzelwagenverkehre konnten nach Angaben von DB Schenker Rail fahren. Mancher Konzern hat frühzeitig Vorsorgemaßnahmen getroffen. So vereinbarte BMW mit der Bahn, dass Züge in der Outbound-Logistik möglichst nur von verbeamteten Lokführern gefahren werden. Am Autokonzern ging der Streik praktisch spurlos vorbei. Auch BASF meldet Beeinträchtigungen für lediglich einen Betrieb. Der Chemiekonzern hat einen Teil der Ganzzüge, die zwischen den großen Produktionsstandorten verkehren, an private EVU vergeben, und die übrigen Verkehre so gestaltet, dass DB-Konkurrenten diese jederzeit übernehmen können. Auch für Einzelwagenverkehre gibt es Risk Management. Wahlweise können diese auf die Straße verlagert oder in Ganzzüge integriert werden. Von einem "Ende gut, alles gut" will allein schon deshalb niemand sprechen, weil die GDL Streiks bis in die Weihnachtszeit hinein angekündigt hat. Zunächst mal hat die Gewerkschaft eine Streikpause bis zum 2. November angekündigt. Danach könnte es wieder losgehen. Die Stahlindustrie stellt sich darauf ein, da für sie die Bahn ein wichtiger Verkehrsträger ist. "Über 50 Prozent der Transportvolumina werden auf der Schiene transportiert", sagt Hans-Joachim Welsch, Vorsitzender des Verkehrsausschusses. "Allein die Deutsche Bahn befördert 65 Millionen Tonnen: Ein kurzfristiges Ausweichen auf andere Verkehrsträger ist nur sehr eingeschränkt möglich." Infrage käme hier nur die Binnenschifffahrt, die dezent bereits auf den regenreichen Herbst 2014 hinweist. "Ein Niedrigwasser in den Adventswochen ist ausgeschlossen", sagt Jörg Rusche, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Binnenschifffahrt (BDB). Die Folgen des Streiks bei Wacker Chemie Verlagerungen kein Thema Ganzzüge in die Nordseehäfen fuhren weitgehend nach Fahrplan, allenfalls bei einzelnen Sonderzügen gab es Verspätungen. Diese Bilanz zieht Wacker Chemie nach dem GDL-Streik. Der Chemiekonzern stützt sein Risk Management auf zwei Säulen - ein Gebietspediteurskonzept und eine angemietete Kesselwagenflotte. Mit den Gebietsspediteuren an den Standorten Burghausen (Oberbayern) und Nünchritz (Sachsen) kann das Unternehmen jederzeit Schienenverkehre auf die Straße verlagern und mit Lieferanten die Anmietung weiterer Kesselwagen vereinbaren. Weitere Optionen sind die vorzeitige Anlieferung von Rohstoffen auf der Schiene sowie - für Nünchritz - die Verschiffung über den Binnenhafen Riesa. Allerdings räumt das Unternehmen ein, dass bei längerfristigen Streiks Einschränkungen in der Produktion nicht auszuschließen sind. "Aufgrund der guten Bahnplanungen für die letzten Streiks und der wenigen Ausfälle sind größere Verkehrsverlagerungen gegenwärtig kein Thema", versichert Thomas Bronnert, Leiter Logistik von Wacker Chemie. bot

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