Seehafen-Hinterlandverkehr - Lkw versus Bahn

Der große Umschwung im Seehafen-Hinterlandverkehr kam - relativ unbeachtet - während der Coronapandemie. Seit 2021 ist die Bahn in den größten deutschen Seehäfen der wichtigste Verkehrsträger. In Hamburg und Bremen werden seitdem mehr Container über die Schiene als über die Straße befördert. In Hamburg liegt das Verhältnis auf TEU-Basis aktuell bei 50,2 Prozent zu 48,2 Prozent (1,6 Prozent entfallen auf das Binnenschiff). Und die Hafenbetreiber versuchen, den Modal Split weiter in Richtung Schiene zu verschieben. Bremen etwa hat vergangenen November angekündigt, die Hafeneisenbahn in Bremerhaven für 56 Millionen Euro zu modernisieren und unter anderem sieben neue Gleise zu bauen. Doch stecken hinter der Trendwende im Hinterlandverkehr wirklich immer Nachhaltigkeitserwägungen? Und wie sieht die Rolle des Lkw hier in Zukunft aus? Generell entwickelt sich der Hinterlandverkehr positiv. "Seit 2022 verzeichnen wir wieder steigende Mengen, wenngleich das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht ist", sagt Uwe Fieselmann, CEO von Koch International in Osnabrück. Der mittelständische Logistikdienstleister fährt alle drei großen deutschen Seehäfen an und befördert unter anderem Container für Automobilhersteller, Pharmabranche und Handel. "Mehr Kunden interessieren sich für die Schiene", beobachtet auch Fieselmann. Das Unternehmen hat auf diesen Trend reagiert und sich am Betrieb eines KV-Terminals beteiligt. 300-Kilometer-Regel aufgeweicht Lange Jahre galt unter Transportprofis die Regel, dass sich Bahntransporte erst ab 300 Kilometern rechnen. Im Hinterlandverkehr wird sie immer häufiger aufgeweicht. "Es gibt Bahnverkehre auf kürzeren Relationen, die so vor 20 Jahren nicht durchgeführt worden wären", beobachtet Thorsten Friedrich, Wissenschaftler am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremerhaven. Das Thema Nachhaltigkeit spiele bei der Verlagerung auf die Schiene oft eine "gewichtige Rolle". Hinzu kämen häufig operative Gründe, zum Beispiel die zunehmenden Staus im Bereich des Hamburger Hafens. Trotz des Trends zum Zug behaupten sich auch reine Straßentransportbetriebe auf dem Markt. "Letztes Jahr lief zwar nicht so gut, aber wir schreiben schwarze Zahlen", sagt Tobias Abeln, Geschäftsführer von J.-W. Meyer Transport in Cloppenburg. Der Betrieb mit 34 eigenen Lkw ist für große Seefrachtspeditionen sowie einen E-Commerce-Händler tätig; sein Schwerpunkt liegt auf kürzeren Relationen wie Hamburg-Hannover, Hamburg-Osnabrück und auf Transporten in und aus dem Ruhrgebiet. Die Frachtraten seien zuletzt gesunken, so Abeln. "Die Großen sind mit dem Preis im letzten Jahr runtergegangen, da mussten wir mitziehen." Das drücke auf die ohnehin kleine Marge. Qual der Wahl: Lkw oder Bahn im Hinterlandverkehr? Immer mehr Seefracht-Kunden fragen nach einer grünen Alternative zum Lkw-Transport - diesen Trend spürt Koch International seit Jahren. Aus diesem Grund hat sich der mittelständische Speditions- und Logistikdienstleister aus Osnabrück bereits vor vier Jahren entschieden, am Heimatstandort in die Betriebsgesellschaft eines KV-Terminals zu investieren - zusammen mit Hellmann Worldwide Logistics und Nosta. 2022 hat dann das Container Terminal Osnabrück (CTOS) die Arbeit aufgenommen. Von hier aus verkehrt mittlerweile drei Mal pro Woche ein Ganzzug zum Hamburger Hafen. Kunden, die einen Seefracht-Container erwarten, sparen sich so 200 Kilometer Lkw-Transport und umgehen den staureichen Großraum Hamburg. Daneben können sie gegenüber den Kunden mit Nachhaltigkeit werben, da die Transporte zu 100 Prozent CO2-neutral sind: Sowohl die Terminalanlagen als auch die eingesetzten Züge werden mit Ökostrom betrieben. "Die größte Herausforderung lag darin, einen Zugbetreiber zu finden", berichtet Uwe Fieselmann, CEO von Koch International. Mit der TFG-Transfracht, einer Tochter der DB Cargo, wurde man fündig. Daneben war einige Überzeugungsarbeit bei den Kunden nötig. "Der Lkw wird als flexiblere Lösung angesehen, während man sich beim Zug eben nach einem Fahrplan richten muss", so Fieselmann. Trotzdem interessierten sich zunehmend Kunden für das kombinierte Angebot, sagt er. Ihnen müsse man die Alternativen aufzeigen. Sein Rat an Verlader, die im Hinterlandverkehr multimodale Angebote nutzen wollen: "Testen, testen, testen!" Das Nadelöhr Ein großes Nadelöhr im Hinterlandverkehr ist nach wie vor die Logistik im Hafen selbst, vor allem das Umladen der Container auf den Lkw. Damit alles flüssiger läuft, hat die Terminalbetreiberin Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) schon 2017 eine Zeitfensterbuchung eingeführt. Doch Transportunternehmer kritisieren das System. "Oft sind keine Slots zu bekommen, sodass die Fahrer warten müssen", berichtet Abeln. Bei der Abfertigung selbst gehe es auch nicht schneller. "Ein bis zwei Stunden Wartezeit sind keine Seltenheit." Im Fernverkehr falle die Verzögerung weniger ins Gewicht, dafür umso mehr auf mittleren Distanzen, bei denen der Hafen mindestens zweimal täglich angefahren wird. Die Bahn kämpft im Hinterland mit eigenen Problemen. Signalstörungen, Baustellen, Zugausfälle - alles das macht auch im Güterverkehr Probleme. Im Sommer soll zudem die Zugstrecke Hamburg-Berlin für mehrere Monate gesperrt werden, was vielen multimodalen Dienstleistern im Norden Sorgen macht. Nutznießer hier ist meist der Lkw. "Wir müssen immer wieder einspringen, weil es mit der Bahn Probleme gibt", sagt Transporteur Abeln. Flexibilität sei die große Stärke des Lkw im Hinterlandverkehr. "Es kommt oft vor, dass sich das Schiff um einen oder mehrere Tage verspätet oder die Abfertigung im Hafen zu lange dauert. Wer an Bahnfahrpläne gebunden ist, bekommt dann schnell Probleme." Klar für die Bahn spricht ihre Umweltbilanz. Pro Tonne beförderter Ladung ist der CO2-Ausstoß ein Drittel so hoch wie beim Lkw. Koch International setzt darauf, dass Verlader künftig darauf mehr achten. Unter dem Namen "Better Circular" bietet die Spedition klimafreundliche Im- und Exporte an. Heißt: Schon bei Auswahl eines Frachtschiffs achten die Disponenten auf niedrige Emissionen. Beim Transport innerhalb Deutschlands kommt, wenn möglich, die Bahn zum Einsatz, auf der letzten Meile auf Wunsch gar der E-Lkw. "Es gibt dafür definitiv eine Nachfrage", sagt Fieselmann. Ob die Kunden auch bereit seien, dafür mehr zu bezahlen, hänge stark von den wirtschaftlichen Spielräumen ab. Dass im Zuge der schwachen Konjunktur das Interesse an "grünen" Logistiklösungen nachgelassen hat, auch im Hafenhinterlandverkehr, ist kein Geheimnis. Öffentlich äußern will sich dazu kein Marktteilnehmer, doch viele Transportfirmen machen ähnliche Erfahrungen. "Seit zwei Jahren schauen die Verlader nur auf den Preis", sagt ein Spediteur, und ein Unternehmerkollege ergänzt: "Womit der Lkw fährt, ist den meisten völlig egal. Wenn ein Anbieter den Container für fünf Euro weniger befördert, bekommt er den Zuschlag." Vielen Verladern fällt der Umstieg auf die Schiene zudem schwer. Sie arbeiten seit Jahrzehnten mit Lkw-Speditionen und scheuen sich, die funktionierenden Logistikprozesse anzutasten. "Die Bahn muss nicht nur das Preisniveau des Lkw matchen, sondern eine signifikante Ersparnis bieten", beobachtet ISL-Wissenschaftler Friedrich. Und wie viel kostengünstiger die Bahn sei, hänge auch von der Konjunktur ab. "Sollte sich das wirtschaftliche Klima in Deutschland weiter eintrüben, könnte das zu Überkapazitäten auf der Straße führen - und die Bahn unter Preisdruck setzen." Ohne Lkw geht es nicht Generell dürfte der Hafenhinterlandverkehr weiter zunehmen, denn Experten gehen von weiterem Containerwachstum aus. Die transportierte Tonnage werde bis 2051 um ein Viertel steigen (im Vergleich zu 2019), sagt etwa die Intraplan-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Dass sich der Trend zur Schiene fortsetzt, ist indes nicht gesagt. Laut Intraplan sollen 50 Prozent der zusätzlichen Tonnage auf der Straße transportiert werden und nur 30 Prozent auf der Schiene. Auf jeden Fall werden beide Verkehrsträger gebraucht. "Allein aufgrund der Kapazitäten ist es gar nicht möglich, dass Straße oder Schiene alles alleine stemmen", ergänzt Fieselmann. Hinzu kommt, dass sich jeder Hafen und jede Relation anders entwickelt. "Die Entscheidung, welcher Hafen angelaufen wird, hängt auch von den Reedereien ab", betont ISL-Wissenschaftler Friedrich. Zudem verändern Verlader oft ihre Transportstrategie und testen Alternativen. In einem Punkt sind sich aber alle Fachleute einig: Ohne den Lkw wird es auch in Zukunft nicht gehen. Hinterlandverkehr: Wie wichtig ist für Tchibo der Lkw? Wie befördert Tchibo Waren, die per Seefracht in Deutschland ankommen, weiter? Wir haben stets versucht, einen Großteil der Transporte mit dem Zug durchzuführen. Trotzdem lag der Anteil der Lkw-Transporte bis 2019 noch bei 50 Prozent. 2020 führten wir dann einen strategischen Wechsel unseres Dienstleisters durch. Seitdem werden über 95 Prozent der Container per Zug transportiert. Was haben Sie konkret geändert? Vor 2020 haben wir versucht, eigene Züge zu organisieren. Jetzt nehmen wir an einem bestehenden Netzwerk teil, sodass an jedem Tag mehrere Abfahrten möglich sind. Hatte der Wechsel zur Schiene Nachhaltigkeitsgründe? Auch. Ein Großteil unserer Seefrachtcontainer legt eine relativ kurze Strecke zurück, vom Hamburger Hafen in unser Zentrallager in Bremen. Auf dieser Strecke auf die Schiene zu wechseln ist sowohl in Hinblick auf Kosten als auch auf CO2-Emissionen sinnvoll, da beide beim Zug geringer sind - eine Win-win-Entscheidung also. Wo kommen überhaupt noch Lkw zum Einsatz? Zum Beispiel beim Transport des Rohkaffees vom Schiff in das Kaffeelager im Hamburger Hafen. Da führt aufgrund der kurzen Distanz aktuell am Lkw kein Weg vorbei. Aber auch hier versuchen wir, möglichst nachhaltige Optionen zu wählen. Seit 2024 haben wir dafür zum Beispiel E-Trucks im Regelbetrieb. Ist der Lkw in Zukunft im Hinterlandverkehr noch nötig? Als Ergänzung auf jeden Fall. Aber in meiner Vision einer nachhaltigen und effizienten Logistik wickeln die großen Häfen in Zukunft die meisten Verkehre über Schiene oder Binnenschiffe ab.