Streit um die Maut

Horst Kottmeyer gehört zu den Spediteuren, die früh in LNG-Lkw investiert haben. Bereits 2018 fuhr das erste gasbetriebene Fahrzeug unter dem Logo der Kottmeyer Spedition mit Sitz in Bad Oeynhausen. Es lief anfangs nicht alles rund. So erschwerten eine eingeschränkte Reichweite und nur wenige Tankstellen den Einsatz. Trotz dieser Probleme: Kottmeyer vertraute der LNG-Technik. Mittlerweile gehören sieben solcher Autos zu seinem Fuhrpark. Doch jetzt ist ihm dieses Vertrauen abhandengekommen. Zwei weitere LNG-Fahrzeuge hatte er bereits bestellt, für ein weiteres sollte in Kürze die Order rausgehen. Alles storniert. Unsicherheit Wiederverkaufswert "Wenn jetzt die Mautbefreiung für LNG-Lkw wegfällt, können wir diese Fahrzeuge nicht mehr rentabel betreiben", begründet Kottmeyer seine Entscheidung. Denn die Gesamtkosten für LNG-Fahrzeuge sind deutlich höher als die ihres Diesel-Pendants. Der Kraftstoff ist laut Kottmeyer annähernd gleich teuer, die Kosten für die Wartung jedoch fast doppelt so hoch. Bei der Anschaffung dieser Lkw muss er etwa 30.000 bis 35.000 Euro drauflegen. Das kann auch die staatlich gewährte Kaufförderung nicht ausgleichen. Und noch völlig unklar ist, wie es mit dem Wiederverkaufswert aussieht. "Bei 600.000 Kilometern Laufleistung kommen als Absatzmärkte wahrscheinlich nur Regionen infrage, die über kein LNG-Tankstellennetz verfügen", sagt Kottmeyer. Also wird es nichts mit einem Verkauf und die Lkw würden zunächst mal in seinem Fuhrpark verbleiben. Maximal 50 Prozent Mautermäßigung? Kottmeyer ist nicht der einzige, der den Kauf von LNG-Fahrzeugen storniert hat. Auslöser dafür ist ein Brief der EU-Kommission an das Bundesverkehrsministerium. Bereits Ende August flatterte dem Ministerium dieses Schreiben der EU-Kommission ins Haus, über das zuerst das Handelsblatt berichtete und das der VerkehrsRundschau (VR) vorliegt. Darin heißt es unter anderem: "Eine Mautbefreiung für Erdgasfahrzeuge ist nicht mit der geltenden Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge vereinbar". Für die genannten Fahrzeuge würde eine maximale Ermäßigung von 50 Prozent gegenüber dem Höchstsatz infrage kommen. Ursprünglich war die Befreiung von der Lkw-Maut für gasbetriebene Lkw bis Ende 2020 befristet und nur diese Befristung von der EU-Kommission genehmigt. Bundestag und Bundesrat hatten dann Anfang Juni die Befreiung um drei Jahre verlängert. Diese Verlängerung ist aus Brüsseler Sicht nicht rechtmäßig. "Die Kommission fordert Deutschland deshalb nachdrücklich auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Abweichung zu beenden", heißt es in dem Schreiben. Als Begründung wird unter anderem genannt, dass LNG-Lkw nicht völlig emissionsfrei sind. Ein Sprecher der EU-Kommission wollte gegenüber der VerkehrsRundschau nicht ausschließen, dass bei Nichteinigung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird. Die VR hat auch das Bundesverkehrsministerium zu einer Stellungnahme gebeten. Doch mehr als die Aussage, man wolle sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern, war nicht zu bekommen. Zwar haben sich Scheuer wie auch die EU-Verkehrskommissiarin Adina Valean vergangene Woche am Rande der virtuellen Ministerkonferenz der EU zu dem Thema geäußert. Doch die Aussagen blieben vage und vor allem für die Unternehmen nicht hilfreich: "Die derzeitige Regelung erlaube keine Ausnahmen für gasbetriebene Lkw", betonte Valean. Scheuer verwies auf die noch zu erstellende, neue Vignettenrichtlinie: Wir brauchen diese Richtlinie, dadurch haben wir mehr Klarheit", so der Minister. Damit, so die Einschätzung der politischen Beobachter, könnte eine Mautbefreiung möglich gemacht werden. Einen ersten Vorschlag Deutschlands zu der Richtlinie soll es dazu auf dem Verkehrsministerrat am 8. Dezember geben. Doch bis die Richtlinie dann formuliert und von den EU-Staaten akzeptiert wird, dürften eher Jahre denn Monate vergehen. Wie es unterdessen mit der Mautbefreiung von LNG-Fahrzeugen weitergeht? Ungewiss. Dazu gab es bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe (12. Oktober) keine weiteren Auskünfte. "Am Ende kommt ein Kuhhandel heraus" Trotz dieser Unklarheit gibt es aber auch Unternehmen, die an LNG festhalten. Ein mittelständischer Spediteur, der bereits 19 Lkw mit Gasantrieb in seinem Fuhrpark hat, hat gerade 17 weitere LNG-Autos bestellt. "Ich bin mir nach wie vor sicher, dass wir mit LNG auf dem richtigen Weg sind", sagt der Spediteur, der darum bittet, nicht mit Namen zitiert zu werden. Er bezweifelt, dass die Bevorzugung von LNG-Lkw tatsächlich gestrichen wird: "Ich glaube, dass es ein monatelanges Tauziehen geben wird und am Ende ein Kuhhandel herauskommt, bei dem die Mautfreiheit bestehen bleibt." Aber die Debatte werde dem Markt nicht guttun. "Unternehmen, die sich eine Anschaffung überlegt haben, werden Abstand davon nehmen und ihre Entscheidung vertagen", so die Prognose des Spediteurs. Einigkeit besteht unter den Verbandsvertretern, dass Unternehmen, die bislang in LNG investiert und damit dem Ende Juni verabschiedeten Gesetz vertraut haben, nach wie vor in den Genuss der Mautbefreiung kommen werden. "Die Investition ist auf Basis einer bestehenden Rechtsgrundlage getätigt worden. Das kann man nicht einfach rückgängig machen", sagt Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft und Logistik (BWVL). Die Debatte schaffe jedoch Unruhe. "Sie sorgt nicht für Planungs- und Investitionssicherheit, die die Unternehmen derzeit dringend benötigen", so Olligschläger. Auch Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), ist optimistisch, dass sich EU-Kommission und das BMVI einigen werden. Seine Zuversicht zieht er aus Gesprächen mit den Beteiligten in den letzten Tagen. Seine Prognose: Die Mautbefreiung für LNG-Lkw werde voraussichtlich bis 2023 laufen, wobei er sich nicht sicher ist, ob der Kompromiss auch auf eine teilweise Mautbefreiung hinauslaufen könnte. Danach werde die neue EU-weite Vignettenrichtlinie in Kraft treten und mit ihr werde es dann eine CO2-basierte Maut geben. "Die sieht dann wahrscheinlich eine Differenzierung nach Antriebsart und für emissionsfreie Fahrzeuge vor", so Engelhardt gegenüber der VerkehrsRundschau. Seine Forderung nicht nur an die Politik, sondern auch an die Nutzfahrzeugindustrie lautet: Klarheit und Investitionssicherheit für die Unternehmer. "Deshalb fordern wir noch in diesem Jahr von der Politik zusammen mit den Herstellern und den Energieerzeugern einen Nutzfahrzeuggipfel, auf dem Leitplanken festgelegt werden, damit unsere Unternehmer endlich wissen, in welche Segmente sie investieren sollen."Die Debatte um die Mautbefreiung von LNG-Lkw wird auch von anderen negativ bewertet. Norman Wendt, Teamleiter Mobilität bei der deutschen Energie-Agentur (Dena), übt Kritik: "Wir haben das Verkehrsministerium und die EU-Kommission um eine Stellungnahme zu den unterschiedlichen Ansichten und zu dem weiteren Verfahren gebeten, aber bislang nur die Rückmeldung aus Brüssel erhalten, dass keine Maßnahmen wie ein Vertragsverletzungsverfahren in die Wege geleitet wurden. Das ist der größte Kritikpunkt: Dadurch wird eine Unsicherheit im Markt kreiert", sagt Wendt. Die Dena koordiniert die Initiative Erdgasmobilität und LNG-Taskforce als zentraler, branchenübergreifender Ansprechpartner für Erdgas und erneuerbares Methan als Kraftstoff in Deutschland. Dort sind die Branchenverbände genauso vertreten wie Nutzfahrzeugindustrie oder Energieerzeuger. Als Folge der Uneinigkeit in der Politik würden die Speditions- und Logistikunternehmen mit Zurückhaltung agieren, wenn es darum gehe, Lkw mit alternativen Antrieben einzusetzen. "Diese Verunsicherung ist kontraproduktiv, wenn man die Emissionsziele im Verkehr für 2030 erreichen möchte, und wird sich auch auf den Kauf von Lkw mit anderen alternativen Antrieben auswirken", prophezeit Wendt. Kritik kommt auch von dem Verein Zukunft Erdgas, einer Initiative von 140 Unternehmen aus der Erdgasbranche. Die jetzt entstandene Situation "führe zu großer Unsicherheit", sagt deren Vorsitzender Timm Kehler. Und zwar "sowohl aufseiten von Transportunternehmern, die in diese Technik eingestiegen sind, als auch bei den Betreibern von mehr als 300 LNG-Tankstellen, 35 davon in Deutschland, die ebenfalls Millionen investiert haben." Engelhardt beispielsweise empfiehlt den Transportunternehmen, die LNG-Lkw kaufen wollen, zunächst mal abzuwarten, "bis wir absolute Sicherheit haben". Erst, wenn man wisse, wie hoch die Mautbefreiung in welchem Zeitraum ist, sollte ein Unternehmer investieren. Wobei er betont, dass der BGL LNG positiv gegenübersteht, weil es derzeit die einzige verfügbare Lösung sei, Emissionen im Schwerlastverkehr deutlich zu senken. Daher lautet sein Appell an die Politik: "Wir brauchen schnell eine Lösung, damit der deutsche Mittelstand Planungssicherheit hat." Mehr zum Thema finden Sie unter #GasAntrieb www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die abermalige Verlängerung der Mautfreiheit für LNG-Lkw bis Ende 2023, die Bundestag und Bundesrat per Gesetz beschlossen haben, verstößt laut EU-Kommission gegen eine EU-Richtlinie. Dieser Disput könnte sich zu einem Rückschlag für die LNG-Technologie entwickeln. 18.700 Euro Maut erspart man sich pro Jahr beim Einsatz eines LNG-Lkw. Annahme: 100.000 Kilometer (km) Laufleistung und ein Mautsatz von 18,7 Cent pro km (Euro-6-Lkw als Vergleich).

Elektromobilität: Hamburg will Ladepunkte auf 10.000 erhöhen

Bürokratieentlastung: Bundesrat stimmt neuer Verordnung zu

Automobilzulieferer: Bosch will weitere Stellen streichen

A7 wird zeitweise gesperrt

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

Alle Schlagzeilen

Streit um die Maut

HASHTAG

#Verkehrsminister

Deutsche Flughäfen fürchten um ihre Existenz

Bund und Länder wollen mehr Verkehrssicherheit

Nord-Ostsee-Kanal: Ausbau der Ost-Strecke hat begonnen

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Duvenbeck übernimmt Sander Logistics

Who is Who Logistik: Themen und Trends für 2025

STELLENANGEBOTE

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Area HR Business Partner

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

WEITERLESEN

NEWSLETTER