Spediteure gegen Sextett

Rund fünf Millionen Euro: So viel, schätzt Rechtsanwalt Georg Jäger, hat sein Mandant zu viel für Leasingfahrzeuge gezahlt, die er von den wichtigen europäischen Lkw-Herstellern bezogen hat. Der Jurist von der Münchner Kanzlei Rössner Rechtsanwälte plant im Namen von sechs Unternehmen des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes sowie der verladenden Wirtschaft Schadenersatzklagen gegen die großen Nutzfahrzeughersteller. Sie sollen nach dem aktuellen Ermittlungsstand der EU-Kommission zwischen 1997 und 2011 ein Kartell gebildet haben. "Erste Anfragen liegen uns vor - nun beginnen die Vorbereitungen", berichtet der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Jäger weiß von Kollegen, die ähnliche Prozesse anstreben. Denn bundesweit fühlen sich Fuhrunternehmer über den Tisch gezogen. Zum Beispiel erwägt der Verein zur Förderung des Wettbewerbs und lauteren Verhaltens im Speditions-, Logistik- und Transportgewerbe in Köln so etwas wie eine Sammelklage gegen Daimler, MAN, Scania, DAF, Iveco und Volvo/Renault. Den Unternehmen wird vorgeworfen, sich bei der Einführung neuer Emissions-Technologien hinsichtlich Preis und Zeit abgesprochen zu haben. Allein dieser Vereinigung gehören rund 30 Unternehmen an. Bis zu 600.000 Spediteure betroffen Die EU-Kommission ermittelt gegen die sechs europäischen Lkw-Hersteller bereits seit 2011. Erwartet wird die höchste Kartellstrafe in der Wirtschaftsgeschichte der EU. Das berichtete die "Financial Times". Nun sollen die Untersuchungen kurz vor ihrem Abschluss stehen, schreibt das Wirtschaftsblatt und beruft sich dabei auf Kreise der EU-Kommission. Ob und was die Hersteller zahlen müssen, soll noch 2016 bekannt gegeben werden - möglicherweise innerhalb der nächsten Wochen. Bereits vor einem Jahr war darüber spekuliert worden, dass die betroffenen Hersteller mit einer Milliardenstrafe rechnen müssen. Möglich sind zehn Prozent des betroffenen Umsatzvolumens - im aktuellen Fall also bis zu zehn Milliarden Euro. Bisher betrug die höchste jemals verhängte EU-Kartellstrafe 1,4 Milliarden Euro. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zufolge haben europaweit schätzungsweise rund 600.000 Fuhrunternehmer unter überhöhten Preisen am Nutzfahrzeugmarkt gelitten - vor allem kleinere und mittlere Betriebe, deren Margen oft geringer ausfallen als die der großen Wettbewerber. Nicht beziffern lässt sich bisher der finanzielle Schaden für das deutsche Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe. "Betroffen sind nicht nur diejenigen, die Lkw gekauft haben", gibt Jäger zu bedenken. Auch Leasingnehmer seien jedenfalls mittelbar betroffen, denn der überhöhte Verkaufspreis habe zu überhöhten Leasingraten geführt. Gerichte müssen Schäden feststellen Der Kartellrechts-Experte will den betroffenen Flottenbetreibern helfen, einen Teil des Geldes wiederzubekommen. Die Rechtsgrundlage für Schadenersatzansprüche gegen die Lkw-Hersteller bildet Artikel 33 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). "Wenn sich in den nächsten Wochen der Kartellverdacht der europäischen Wettbewerbsbehörde bestätigt, würde dies einen Verstoß gegen den Grundsatz des GWB bedeuten", erklärt Jäger. Dann drohen den Herstellern nach seiner Aussage nicht nur Bußgeldbescheide von der EU-Kommission, sondern auch zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit ihren damaligen Kunden. "Dafür muss ein deutsches Landgericht lediglich feststellen, ob der betreffende Spediteur tatsächlich einen finanziellen Schaden durch das Lkw-Kartell gehabt hat und wie hoch dieser gewesen ist", erläutert er. Hierbei helfe der Gesetzgeber, indem er den Gerichten die Möglichkeit der Schadensschätzung einräume. Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Schadensersatz gefordert, "ist das Gericht an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Europäischen Kommission oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union getroffen wurde", heißt es dazu in Artikel 33 in Absatz 4 des GWB. Wer Geld zurückverlangen möchte, muss seinen Schadensersatzanspruch nach Abschluss des EU-Kartellverfahrens schriftlich bei den entsprechenden Fahrzeuganbietern geltend machen oder im Zweifel einklagen, falls diese eine Erstattung verweigern. Dies müsse fristgerecht innerhalb von rund eineinhalb Jahren geschehen, betont Jäger. Generell könne jeder Unternehmer mit eigenem Lkw-Fuhrpark eine Forderung stellen, der nachweislich in dem Untersuchungszeitraum zu viel für Neuanschaffungen zahlte und diese Mehrkosten nicht an seine Kunden weitergeben konnte, erklärt Jäger. Der Schadensersatzanspruch bestehe voraussichtlich für alle Jahre von 1997 bis 2011, sofern die EU diese als Bezugszeitraum für die Kartellstrafe beibehält. Schadenersatzansprüche unterliegen der zivilrechtlichen Verjährung - auch dann, wenn sie auf Kartellverstößen beruhen. Auch wenn die Wettbewerbshüter der EU-Kommission bereits seit 2011 im Fall des Lkw-Kartells ermitteln und die Preisabsprachen lange zurückreichen, dürften die Schadensersatzansprüche heute noch durchsetzbar sein, versichert Jäger. Verjährung der Ansprüche ist gehemmt Die Verjährungsfrist beträgt demzufolge drei Jahre ab Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Kartells oder des Schadens, maximal zehn Jahre ab Entstehung des Anspruchs. Um den Geschädigten allerdings die Möglichkeit zu geben, von den Ermittlungen der Kartellbehörden und den rechtlichen Wirkungen eines Bußgeldbescheides zu profitieren, wird die Verjährung der Schadensersatzansprüche nach Paragraf 33 Absatz 5 des GWB durch die Ermittlungen der EU-Kommission gehemmt. Sie verfallen frühestens sechs Monate nach der Zustellung der finalen Entscheidung der EU-Kommission an die Kartellanten. Das hieße, vermutlich Mitte nächsten Jahres. Danach läuft der noch nicht verstrichene Rest der regulären Verjährungsfrist weiter. "Betroffene Unternehmen sollten bald prüfen lassen, ob ihnen Schadensersatz zusteht und inwieweit Handlungsbedarf besteht", rät Jäger. Denn die Kartellgeschädigten müssen viele alte Buchhaltungsdaten aufbereiten, um von Sachverständigen ermitteln lassen zu können, wie hoch der individuelle Schaden gewesen ist. Erst mittels eines solchen Gutachtens lassen sich Schadenersatzansprüche gegen die Kartellanten durchsetzen. Zum Beispiel wird dafür die Preisentwicklung am Lkw-Markt vor und nach dem Bestand des Kartells analysiert. Oder Wirtschaftsprofessoren heben ab auf die Preisentwicklung zwischen 1997 und 2011 bei den Zulieferern. "In Deutschland gibt es nur eine Handvoll renommierte Gutachter in diesem Bereich, weshalb es sich ebenfalls lohnen kann, schnell zu handeln", erklärt Jäger. Die Höhe möglicher Kaufpreiserstattungen ist bisher ungewiss. "Es wird aktuell von einer Überhöhung der Lkw-Preise zwischen 10 und 20 Prozent ausgegangen", erklärt der Münchner Jurist. Welchen Betrag ein nachweislich geschädigtes Fuhrunternehmen letztendlich vor Gericht zugesprochen bekommen könnte, hänge vom Einzelfall ab. Prozessfinanzierer können helfen Jäger weist darauf hin, dass geschädigte Unternehmen mit Lkw-Flotte vermutlich viel Ausdauer benötigen, um den Rechtsstreit mit den Herstellern vor Gericht auszufechten. Hinzu kommen die Anwalts- und Gerichtskosten, die die Kläger tragen müssen. Bei Kartellfällen, in denen es eine große Masse von Anspruchstellern gibt, bieten sich allerdings häufig Prozessfinanzierer an. Diese Dienstleister übernehmen neben den Anwalts- und Gerichtskosten auch das Kostenrisiko eines Rechtsstreits sowie sämtliche Sachverständigenkosten. Voraussetzung ist im Regelfall ein Mindeststreitwert. Davon erhält das Unternehmen im Erfolgsfall einen Teil des erzielten Erlöses. "Typisch ist ein Viertel bis ein Drittel", weiß Jäger. Die Höhe der Beteiligungsquote hängt vom Prozessfinanzierer, dem Umfang des übernommenen Risikos und von der Höhe der erzielten Summe ab. Jäger rät kleinen Betrieben, sich wegen des hohen Aufwands einer Schadenersatzklage gegebenenfalls einem Bündelungsmodell wie dem des Wettbewerbsvereins in Köln anzuschließen. Hier müssen die Geschädigten die Ansprüche an eine Kanzlei abtreten, die den Rechtsstreit stellvertretend führt. Sie werden damit bürokratisch entlastet. Im Erfolgsfall erhalten sie die zugesprochene Summe abzüglich einer Prämie für den Wettbewerbsverein. "Für größere Mittelständler kann sich dagegen ein Prozess im Alleingang lohnen", erklärt Jäger. Bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung kann es zwei Jahre dauern. Anschließend ist es möglich, dass sich höhere Gerichte mit dem Fall auseinandersetzen müssen, wenn eine der Parteien Berufung einlegt. Ob es überhaupt nach einer Schadenersatzklage zu einem Urteil kommt, ist unklar. Jäger glaubt, dass es in vielen Fällen vorher schon zu Einigungen kommen könnte: "Die Hersteller dürften wenig Interesse daran haben, jeden Rechtsstreit bis zum Ende auszufechten, wenn das Kartell feststeht." Hersteller haben Millionen zurückgelegt Weil die EU-Kommission den Abschlussbericht zu den Kartellermittlungen noch nicht vorgelegt hat, wollen sich Daimler, MAN, Scania, DAF, Iveco und Volvo/Renault derzeit nicht äußern. Die beschuldigten Lkw-Hersteller haben keine Stellungnahmen zu einer Klagewelle abgegeben, die auf sie zurollen könnte. Wegen des laufenden Verfahrens bitte man um Verständnis, dass erst nach Vorlage des Urteils eine Auskunft über das weitere Vorgehen möglich sei, hieß es. Laut der "Financial Times" haben die meisten Lkw-Hersteller nach Beginn der Ermittlungen angefangen, finanzielle Rückstellungen zu bilden. Damit wollen sie auf eventuelle Strafen vorbereitet sein - und möglicherweise auf Schadenersatzansprüche von Kunden. Demnach hat DAF rund 860 Millionen Euro beiseitegelegt, Iveco hält 450 Millionen Euro zurück und Volvo/Renault hat 400 Millionen Euro angespart. Daimler macht keine Angaben zur Gesamthöhe der Rücklagen, hat diese im Jahr 2014 aber nochmals um 600 Millionen Euro erhöht. Scania hat bisher nicht vorgesorgt, hält eine Strafe der Zeitung zufolge aber für möglich. Als Tippgeber kommt MAN voraussichtlich mit einem blauen Auge davon. Der Konzern, der maßgeblich an der Aufdeckung beteiligt gewesen ist, hat keinen Millionen-Fallschirm in petto. Noch gilt die Unschuldsvermutung. Aber es verdichten sich die Anzeichen einer Milliardenstrafe gegen die Kartellanten. Der Münchner Rechtsantwalt Georg Jäger rechnet geschädigten Fuhrunternehmern gute Chancen aus, einen Teil der Anschaffungskosten zurückzuerhalten. Diese müssen sich jetzt gut überlegen, ob sie ihre Geschäftsbeziehungen zu den Lkw-Herstellern durch einen Rechtsstreit belasten wollen. Mehr zum Thema unter Miete & Kauf von Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Artikel 33 des GWB schreibt vor: (1)Wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes, gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist dem Betroffenen zur Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist.(2) (...)(3)Wer einen Verstoß nach Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Wird eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen, so ist der Schaden nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde. Bei der Entscheidung über den Umfang des Schadens nach Paragraf 287 der Zivilprozessordnung kann insbesondere der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, berücksichtigt werden. Geldschulden nach Satz 1 hat das Unternehmen ab Eintritt des Schadens zu verzinsen. Die Paragrafen 288 und 289 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden entsprechende Anwendung.(4)(...)(5)Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs nach Absatz 3 wird gehemmt, wenn ein Verfahren eingeleitet wird1. von der Kartellbehörde wegen eines Verstoßes im Sinne des Absatzes 1 oder2. von der Europäischen Kommission oder der Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union wegen eines Verstoßes gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. ag

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