Soziale Verantwortung leben

Wer mit Religion nichts anfangen kann, wem positive Geschichten nicht kritisch genug sind, der sollte vielleicht besser gleich umblättern. Wobei, ganz so positiv wird es gar nicht werden: Mit Kritik wird in den folgenden Zeilen nicht gespart und deutliche Worte fallen auch. Und wer vielleicht mal ein paar Denkanstöße aufnehmen möchte, wer auch gerne zwischen den Zeilen liest, der sollte sich vielleicht fünf Minuten Zeit nehmen für diesen Artikel, für Rolf Meyer: Einen Unternehmer, der sich zu christlichen Grundwerten bekennt. Rolf Meyer ist geschäftsführender Gesellschafter des Logistikers Meyer & Meyer. Zusammen mit seinem Cousin Michael Meyer ist er Chef von über 2000 Mitarbeitern, die in den mehr als 60 Standorten Transporte abwickeln und Logistik organisieren. Bekannt ist Meyer & Meyer vor allem für seine Textillogistik. Hier zählt die Spedition zu den ganz Großen in Europa. Der Kirchgang gehört dazu Meyer ist aber auch bekennender Katholik. Ja, sagt er, trotz seiner anspruchsvollen Arbeit gehört der wöchentliche Kirchgang genauso zu seinem Leben wie der morgendliche Blick in die Bücher. Das, was er in seinem Elternhaus mitbekommen hat - christliche Grundwerte -, versucht er auch in seinem Unternehmen umzusetzen. Aber geht das überhaupt? Sprechen nicht wirtschaftliche Grundprinzipien wie das Gewinnstreben gegen viele Regeln der christlichen Soziallehre? Um es mal an einem Beispiel festzumachen: Gerade die Textilindustrie wird heftig für ihre Arbeitsbedingungen kritisiert. Der Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesh im letzten Jahr mit mehr als 1000 Toten ist da nur die Spitze des Eisberges. "Können Sie es sich leisten, Kunden abzulehnen, die in dem Verdacht stehen, sich auf solche Produktionsbedingungen zu stützen?", lautet die Frage an Meyer. Meyer zögert. Dann antwortet er: "Ein schwieriges Kapitel, das wir mit Sorge beobachten." Zunächst wendet er ein, dass sein Unternehmen vornehmlich in Europa und Afrika tätig ist. Damit will er aber nicht von der Frage ablenken, sondern weist gleich daraufhin, dass auch in diesen Regionen die Entwicklung der Textilindustrie "zwiespältig" gewesen ist. Kritik an den Zuständen in Bangladesh Zugleich macht er aber auch auf die Mechanismen in der Textilindustrie aufmerksam. "Vielen Ländern, wo vorher nichts war, hat diese Industrie Arbeit gebracht", nennt er einen positiven Effekt. Zu den Vorgängen in Bangladesh hat er ein klare Meinung: "Das kann man nur mit Abscheu betrachten." Er beobachtet aber, dass viele Textilunternehmen in Europa sich mit dem Thema Ausbeutung befassen. "Wobei ich schon auch hinzufügen möchte, dass hier vor allem die Hersteller von Discount-Ware am Pranger stehen. Die sind in der Regel nicht unsere Kunden." Bei den Subunternehmen, die Meyer & Meyer einsetzt, werde darauf geachtet, dass die Arbeitsbedingungen sozialen Standards entsprechen. "Alleine schon deshalb, weil wir dazu gesetzlich verpflichtet sind." Keinen Einfluss und keinen Einblick habe er hingegen auf die Entlohnung der eingesetzten Fahrer. Aber er geht davon aus, dass die Bezahlung der bei Subunternehmen eingesetzten Fahrer ein gewisses Niveau nicht unterschreitet. "Wir arbeiten in der Regel mit unseren Subunternehmen jahrelang zusammen und achten auf Qualität. Die bekommt man eigentlich nur dann, wenn man auch entsprechend zahlt", sagt Meyer. Den Mindestlohn hingegen befürwortet er nicht. "Es gibt bestimmte Einstiegslohnbereiche für ganz einfache Tätigkeiten, bei denen man aufpassen muss, dass diese Stellen nicht durch eine Automatisierung wegrationalisiert werden", sagt Meyer. Andererseits lässt er auch keine Zweifel aufkommen: Mit einer vollen Stelle sollte ein Beschäftigter seiner Ansicht nach so viel verdienen, dass er in der Lage ist, sich und seine Familie ernähren und eine Wohnung finanzieren zu können. "Wahrscheinlich sind wir dann in der Größenordnung des heutigen Mindestlohns von 8,50 Euro," gesteht Meyer. Meyer kritisiert jedoch die Mindestlohndebatte als zu eindimensional, als zu sehr auf die Lohnhöhe ausgerichtet: "Viel entscheidender ist doch, wie man mit Mitarbeitern umgeht, wenn sie krank sind, alte Menschen zu versorgen haben, Kinder bekommen oder versorgen müssen. Da fängt die Sache an, interessant zu werden." Man könnte meinen, dass Meyer damit das Schicksal des Einzelnen meint. Doch sein erster Gedanke ist ein unternehmerischer: "Die Führungskräfte von oben bis zu den unteren Ebenen sehen zuerst und manchmal ausschließlich ihre betriebswirtschaftliche Verantwortung. Man muss aber zulassen und fördern, dass sie auch eine soziale Verantwortung übernehmen." Hier zeigt sich laut Meyer "das nachhaltige Familienunternehmen, das aus einer christlichen Tradition kommt." Von der Krippe bis zum Notfalltelefon "Wenn wir merken, dass die Mitarbeiter getriezt oder unter Druck gesetzt werden, dann schalten wir uns ein", sagt Meyer. Doch wie gewährleistet Meyer, dass die Führungskräfte tatsächlich auch ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden? "Zum einen haben wir entsprechende Leitbilder definiert", sagt Meyer. Aber er weiß, Papier kann ziemlich geduldig sein. "Wir haben außerdem ein Führungs-Feedbacksystem, innerhalb dessen die Mitarbeiter jedes Jahr ihre Führungskraft beurteilen. Wenn es hier schlechte Beurteilungen gibt, besprechen wir dies mit der jeweiligen Führungskraft, um die Ursachen festzustellen und holen gegebenenfalls unsere Personalabteilung für entsprechende Entwicklungsmaßnahmen mit ins Boot." Damit nicht genug, Meyer & Meyer bietet zahlreiche soziale Leistungen an: Eine eigene Kinderkrippe, die zusammen mit der katholischen Kirche betrieben wird. Es gibt ein Notfalltelefon, wo Mitarbeiter kostenlos anrufen können, wenn sie sich nicht an die Führungskräfte wenden wollen oder können. Es besteht die Möglichkeit, dass sie von Experten in finanziellen, sozialen oder psychologischen Fragen beraten werden. Dabei ist das Notfalltelefon nur eine Säule eines umfangreichen und ganzheitlichen Gesundheitsmanagement-Konzepts. Außerdem gibt es ein eigenes Konzept für die Reintegration von Mitarbeitern nach der Elternzeit. Gebetsraum für Muslime Meyer betont jedoch, dass nicht die christliche Religion im Vordergrund steht. "Wir sind multikulturell und wollen niemanden bekehren. Es arbeiten bei uns Menschen aus über 40 Nationen. Wir haben zum Beispiel auch einen Gebetsraum für Muslime eingerichtet", sagt Meyer. Gibt es so etwas auch für die Katholiken? "Nein, Kirchen haben wir in Deutschland ja genug", antwortet er und lacht. All dies bietet Meyer aber nicht aus reiner Nächstenliebe an. "Wir handeln so, weil wir überzeugt sind, dass dies auf Dauer das richtige Konzept ist für die Mitarbeiter und die Unternehmen, um sich nachhaltig zu entwickeln." Doch wie ist das, wenn ein Mitarbeiter seine Leistung nicht erbringt, womöglich nicht erbringen kann und Meyer ihn dann entlassen muss? Keine Gewissensbisse? Meyer muss nicht lange überlegen: "Ab und zu muss man Mitarbeiter leider entlassen. Als Unternehmer habe ich eine soziale Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und den Beschäftigten. Diese Verantwortung ist am Ende größer als gegenüber dem Einzelnen." Zudem, sagt Meyer, kann es für den Mitarbeiter ja durchaus besser sein, sich außerhalb des Unternehmens eine Aufgabe zu suchen, als im alten auf verbrannte Erde zu treffen. Als Christ hat man auch die Aufgabe, verantwortungsvoll mit der Schöpfung und den Mitmenschen umzugehen. Meyer macht keinen Hehl daraus: Das gelingt der Transportbranche nicht. Stakkatoartig kommen die Zahlen: "Jährlich 800 durch LKW verursachte Verkehrstote allein in Deutschland. 4000 Tote europaweit. Die Branche mit den meisten Toten bei Ausübung ihres Berufes." Und dann ein Satz, den man so nicht erwartet hat - für den es angesichts dieser Zahlen aber auch kaum Gegenargumente gibt: "Die schlimmste Branche, die es gibt". Wie kann einer so etwas als Christ verantworten? "Es hilft ja nichts, wenn sie aus der Branche ausscheiden", sagt Meyer. Diese Dinge von innen zu bekämpfen und nachhaltig eine Verbesserung zu erzielen, sei ja genau die Aufgabe des Unternehmers, der in dieser Branche tätig ist. "Wenn wir jetzt aus moral-ethischen Gründen das Gewerbe nicht mehr betreiben würden, dann machen es morgen Tausend andere." Weshalb er nur eine Alternative kennt: "Derjenige, der in der Verantwortung steht, muss das Thema vorantreiben. Wir möchten in der Branche positiv etwas bewegen." Meyer nennt Beispiele, wo sein Unternehmen Verantwortung übernimmt. Systeme zur Verhinderung von Unfällen beim Abbiegen gehören dazu. Aber auch ein Elektro-LKW zur Verminderung der Schadstoffemissionen. Auch einen Lang-LKW hat die Spedition im Einsatz, "auch aus ökologischer Verantwortung". Und Meyer hat seinen Geschäftsführern das Ziel vorgegeben, bis 2020 20 Prozent der CO2-Emissionen einsparen zu wollen. "Das ist Teil der Tantiemenvereinbarungen. Solche Abmachungen finden sie in der Branche sicher selten." Meyer gesteht mit klaren Worten, dass das Image der Branche zurecht bescheiden ist. Er kritisiert, dass sich die Branche zu sehr mit Themen wie Kosten oder Maut befasse und zu wenig mit Unfallvermeidung, Umweltschutz oder Bewahrung der Schöpfung. Noch so ein Satz von ihm: "Wir machen unseren Planeten kaputt. Wir holen jede Stunde eine Million Tonnen Rohöl aus der Erde, wozu vorher Hunderte Millionen Jahre notwendig waren, bevor es sich dort abgelagert hat." Klare Worte eines christlich geprägten Unternehmers.

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