Sorgen wegen morgen

Nun gibt es kein Zurück mehr. Der gesetzliche Mindestlohn gilt ab 2015 bis auf wenige Ausnahmen für alle Branchen und Regionen. Doch das entsprechende Gesetz lässt noch immer viele Fragen offen: Wer haftet zum Beispiel, wenn ein Subunternehmer unter 8,50 Euro pro Stunde zahlt? Wodurch können sich Betriebe gegen die neuen Haftungsrisiken absichern? Und worauf muss man bei Entgeltabrechnung und der Arbeitszeiterfassung, die das Mindestlohngesetz (MiLoG) Logistikdienstleistern vorschreibt, achten? Obwohl es in den Unternehmen des transportierenden und verladenden Gewerbes vielerorts Wissenslücken gibt, bereiten die Regeln rund um die neue flächendeckende Lohnuntergrenze allerdings nur einem Teil der Verantwortlichen wirklich Kopfzerbrechen. Das veranschaulicht eine aktuelle Exklusivumfrage der VerkehrsRundschau und der Unternehmensberatung Bearing Point. Zunächst wurde nach den voraussichtlichen Auswirkungen für die Unternehmen selbst und den Logistikmarkt gefragt (Grafik 1 und 2). Sowohl Logistikdienstleister als auch Verlader hatten dabei die Möglichkeit, mehrere Antworten auswählen. Logistikdienstleister fürchten Bürokratie Als folgenschwerste Regelung stuften Spediteure, Transporteure und Logistiker den Paragraf 17 des Mindestlohngesetzes und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand ein. Denn ab dem nächsten Jahr sind Unternehmer bestimmter Branchen verpflichtet, die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter ganz genau und regelmäßig aufzuzeichnen. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen (34 Prozent) sehen darin die Auswirkung, die ihren Geschäftsalltag am meisten beeinflusst (siehe Grafik 1). Nur wenige rechnen hingegen damit, dass der gesetzliche Mindestlohn dazu führt, dass kleine und mittlere Logistikdienstleister aus Deutschland künftig seltener Aufträge an Land ziehen können oder dass weniger Dienst- und Werkverträge mit ausländischen Logistikdienstleistern geschlossen werden. Auch der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder vonseiten der Wirtschaft angedrohte Stellenabbau wegen höherer Personalkosten oder gar eine daraus teilweise resultierende finanzielle Schieflage scheinen keine Themen zu sein und finden sich deshalb nicht in der Grafik wieder, die lediglich die Top-Ten-Folgen abbildet. Verlader sorgen sich um Haftungsregel Befragt nach den Folgen des Mindestlohngesetzes sorgen sich derzeit hingegen verladende Wirtschaftsunternehmen vor allem, dass ihre Auftragnehmer die 8,50 Euro pro Stunde womöglich nicht wie vorgeschrieben zahlen. Hier schwingt die Angst vor empfindlichen Bußgeldern und enormen Entgeltforderungen mit. Für knapp ein Drittel (31 Prozent) der Befragten ist deswegen klar, dass künftig nur noch die Logistikdienstleister eine Chance haben, an Aufträge zu kommen, die eindeutig nachweisen können, dass sie und alle weiteren eingesetzten Subunternehmer sich an die neuen Vorgaben halten. Große Bedenken gibt es zudem, dass Arbeitgeber vermehrt von Arbeitnehmern, die unter der gesetzlichen Lohnuntergrenze liegen, vor Gericht auf Differenzvergütung in Anspruch genommen werden und dass Dienstleister aufgrund höherer Kosten Probleme bekommen, am Markt zu bestehen. Kaum ein Verlader bekundete hingegen, künftig weniger Aufgabenfelder auslagern und Arbeiten via Dienst- oder Werkvertrag fremdvergeben oder personalintensive Logistik-Services zurückfahren zu wollen. Diese Punkte wurden folglich nicht separat in den Umfrageergebnissen aufgeführt. Viele Betriebe unterschätzen das MiLoG Was die Frage des Quartals indes nicht verrät: Viele Unternehmen des transportierenden und verladenden Gewerbes unterschätzen die Pflichten und Risiken, die sich aus dem Mindestlohngesetz ergeben. Deutlich wurde dies jüngst bei einem Praxisseminar der VerkehrsRundschau, das am 27. November 2014 in München stattfand und aufgrund großer Nachfrage am 15. Januar 2015 wiederholt wird (siehe Kasten auf Seite 40). Dort erläuterten Benjamin Sokolovic, Rechtsanwalt in Hannover, und Ralf Zimmermann, Richter am Arbeitsgericht Hannover, wie Unternehmen das Mindestlohngesetz im Geschäftsalltag richtig umsetzen. Obwohl sich nämlich die meisten von ihnen bereits mit den Regelungen des 8,50-Euro-Gesetzes auseinandergesetzt haben, benötigen sie unter anderem Hilfe bei der rechtssicheren Ausgestaltung ihrer Verträge. In diesem Zusammenhang rieten die beiden Referenten allen Teilnehmern, das Mindestlohngesetz nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und zeigten Lösungen auf: "Wer ab 2015 unter 8,50 Euro brutto pro Zeitstunde zahlt, setzt sich der Gefahr aus, ein Bußgeld bis zu 500.000 Euro zu kassieren", betonte Sokolovic. Zimmermann wies gleichzeitig darauf hin, dass an der gesetzlichen Lohnuntergrenze kein Weg vorbeiführt und nur wenige Sonderzahlungen dem Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Grundsätzlich seien solche Zahlungen als Bestandteile des Mindestlohns anzuerkennen, die der Arbeitgeber für die Normalleistung des Arbeitnehmers erbringt. Zahlungen, die ein Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhält, wenn er also auf Verlangen ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, seien nicht berücksichtigungsfähig. Deshalb empfahlen die Juristen, bestehende Arbeitsverträge mit abhängig Beschäftigten vor dem Jahreswechsel an das Mindestlohngesetz anzupassen, um sicherzustellen, dass die Bezahlung künftig gesetzeskonform abläuft und bisherige Spesen, Zulagen und Zuschläge nicht die Personalkosten ab 2015 dramatisch nach oben treiben. Sokolovic riet zudem, besonderes Augenmerk auf Arbeitszeitkonten zu legen. Arbeitsstunden, die die vertragliche Arbeitszeit überschreiten und auf das jeweilige Arbeitszeitkonto eines Arbeitnehmers gebucht werden, sind demnach innerhalb von zwölf Kalendermonaten durch Freizeit oder Bezahlung auszugleichen. "Die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen monatlich jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen", ergänzte Zimmermann. Die Arbeitszeitkonto-Regelung gelte nicht, wenn der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden einschließlich Überstunden bereits durch Zahlung eines verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt sei. VR-Mindestlohn-Serie schafft Klarheit Die größte Verunsicherung herrscht bezüglich der Auftraggeberhaftung. Das bestätigte der Workshop in München. Wie sie funktioniert, erklärten die Referenten anschaulich. "Für Spedition und Logistik hat Paragraf 13 zur Folge, dass ein Verlader, der bei der Beauftragung eines Spediteurs mit einer Transportleistung keine eigene vertragliche Verpflichtung weiterreicht, wohl nicht der Auftraggeberhaftung unterliegt", fasste Sokolovic zusammen. Details zur Entgeltabrechnung und der Auftraggeberhaftung gemäß MiLoG erfahren Sie in den nächsten zwei Ausgaben. Veranstaltungs-Tipp 8,50-Euro-Seminar Wie Betriebe das Mindestlohngesetz richtig umsetzen und welche Stolperfallen ab 2015 drohen, erläutern Rechtsanwalt Benjammin Sokolovic und Ralf Zimmermann, Richter am Arbeitsgericht Hannover. Am 15. Januar 2015 findet in München wegen großer Nachfrage ein zusätzliches VRSeminar statt. Infos und Anmeldung unter: www.verkehrsrundschau.de/events Die Frage des Quartals der VR Jedes Quartal befragt die VerkehrsRundschau Unternehmen zu aktuellen Themen aus der Logistikbranche. In diesem Quartal haben 94 Dienstleister und 68 Verlader teilgenommen. Die Befragung durch das Marktforschungsinstitut Kleffmann ist Teil des VR-Index, dem aktuellsten Preisindex im Straßengüterverkehr. Der nächste Index erscheint in der VR 50/2014. Unterstützt wird die Frage des Quartals und der VR-Index von der Unternehmensberatung Bearing-Point. cd

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