Schweres Zehn-mal-zehn

Mit branchenspezifischen Spezialitäten meldet sich Tatra zurück. Neben dem Militär-, Bau-, Wald- und Landwirtschaftssegment haben die Mähren die Mining-Branche entdeckt. Für viel Volumen in schnellen Umläufen hat man zum Beispiel einen fünfachsigen Phoenix 10x10 Euro 6 mit einer knapp 24 Kubikmeter großen Kippmulde konstruiert. Die Tatra-Besonderheit außer dem aufbaufreundlichen Zentralrohrrahmen ist die Tatsache, dass der Antrieb der vorderen beiden Achsen zugeschaltet werden kann und dass das letzte, einzelbereifte Radpaar elektrohydraulisch gelenkt und angetrieben ist. An diesem Konzept tüftelten die Konstrukteure einige Jahre, doch jetzt funktioniert es einwandfrei und treibt den bis zu 60 Tonnen schweren 10x10 auch durch schweres Gelände. Um dem Fahrer Arbeit abzunehmen und darüber hinaus die Kupplung zu schonen, spendierten die Tschechen dem 510 PS starken Vorführer eine Allison-Siebengang-Wandlerautomatik, die auch unter widrigsten Umständen zwischen den passenden Gängen "wandelt". Wenngleich die Spreizung schon beim unbeladenen, rund 22 Tonnen wiegenden Fahrzeug etwas sparsam ausfällt: Beim Anfahren auf eisigem oder weichem Boden suchen die fünf Achsen trotz grober Stollenbereifung erst mal verzweifelt nach Grip - und Allison deshalb nach passenden Gängen. Entsprechend hoch bleibt die Drehzahl. Wenn die Fuhre dann rollt, stuft der Wandler zügig hoch und bemüht sich, in den großen Gängen zu bleiben: Doch wehe, der Untergrund wird wieder rutschig - dann wird schnell weit zurückgeschaltet und die Nadel des Tourenzählers überspringt flott die 1500er-Marke. (Durch-)Zug ist also immer reichlich vorhanden und wenn man den Automaten einschätzen kann, kriegt man den Giganten auch ohne Drehzahlorgien durch schwierige Umstände, von denen die Tatra-Teststrecke genug bereithält: Neben dem matschigen Offroad-Bereich sind das vor allem verschiedene Marterpisten mit Waschbrett- oder belgischem Kopfsteinpflaster. Und die sind so hart, dass sie sogar dem sonst stillen, aufbauschonenden Zentralrohrkipper ein deutliches Muldenklappern entlocken. Dass man dabei mit 40 km/h und mehr über die Piste prügelt, fällt gar nicht auf. Während solch kurze Wellen und Unebenheiten den Phoenix durchaus etwas aus der Ruhe bringen können, bügeln seine luftgefederten Pendelachsen gröbere Unebenheiten besser glatt und sorgen so für schnelle Umlaufzeiten. Womit wir beim zentral(verrohrt)en Thema des Tatra wären, für schnelle Umläufe und hohe Geländegängigkeit zu sorgen: Praktiker, die ihn beispielsweise im Autobahn- oder Schienenbau neben Leiterrahmen-8x8 einsetzen, wollen gegenüber diesen bis zu doppelt so schnelle Umlaufzeiten erreichen. Am anderen Ende der Skala steht der knickgelenkte Dumper, mit dem der Phoenix in der Grube ebenfalls locker mitfährt - das aber deutlich günstiger hinsichtlich Anschaffungskosten, Verbrauch und Ersatzteilpreisen. Auf 60 Tonnen ausgeladen kommt merklich Ruhe in den Phoenix, dem man ohne Fracht bereits auf ebener Strecke anmerkt, dass er eigentlich für schwerere Aufgaben geschaffen ist. Die Praktiker äußern sich dezidiert Beladen muss dann auch die stärkste Version des Paccar MX 13 schwer rackern und tut das akustisch mit dem vom DAF bekannten dezenten Donnern kund. Die Fuhre zu verzögern bereitet dank integriertem Allison-Intarder und kräftiger MX-Motorbremse keine Probleme und auch die Betriebsstopper sind sauber abgestimmt. Und wie sehen das die Praktiker, die teils selbst schon Phoenix-Kunden sind? Durchweg positiv: Der Tiroler Unternehmer Walter Koppensteiner möchte einen oder zwei seiner Volvo-A30-Dumper durch Tatras ersetzen. Felix Ragginger kaufte einen 8x8-Vorführ-Kipper von Tschann und ist bisher sehr zufrieden. Vor allem auf weichem Untergrund wie Humus spiele der Phoenix seine Vorteile aus. "Und weil man mit 70 Sachen über unbefestigte Straßen brettern kann", fügt er grinsend hinzu. Auch Markus Stögner, der einen Phoenix als 6x6-Kranwagen besitzt, freut sich, mit dem Kauf "alles richtig" gemacht zu haben. Vor allem, wenn grobe Schwellen überwunden werden müssen oder der Boden wie am Testtag kaum Grip bietet. Ein weiterer Vorteil ist der niedrige Rahmen. Der ist laut Stögners Sohn Thomas, der den Phoenix fährt, 16 Zentimeter niedriger als beim neuen Stögner Krankipper - einem 14-Tonner. Doch die Profis kennen und nennen auch die Grenzen des Phoenix: Wenn es um einen 8x4 geht, der ab und an mal mehr Traktion braucht, kauft man den woanders günstiger, urteilt Stögner Senior. Ist eben keine Nische mehr. Bleibt zu hoffen, dass Tatra davon auch in den nächsten 120 Jahren genug findet - verdient hätte es die Marke! Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Baufahrzeuge www.verkehrsrundschau.de/dossiers Hintergrund 120 Jahre Fahrzeugfertigung in Koprivnice Tatra wurde 1850 von Ignaz Schustala als "Nesselsdorfer Kutschenfabrik Ignaz Schustala & Comp." gegründet. 1897 baute man mit dem "Präsident" den ersten Pkw, 1898 folgte der erste Lastwagen. Hans Ledwinka brachte Tatra 1923 den Zentralrohrrahmen. Schon immer legte man Wert auf Fahrwerk und Bremsen. In den 1930er Jahren auch auf Aerodynamik: Das führte zu den legendären Achtzylinder-Stromlinien-Heckmotorlimousinen 77 und 87. Auch nutzfahrzeugseitig blieb Tatra innovativ. Im Krieg konstruierte man einen 18-Zylinder-Panzermotor. Das fand mit dem Kommunismus ein Ende: Nach dem Krieg wurden neben Fahrzeugen Gebrauchsgeräte wie Kühlschränke gefertigt. Letztlich sollte sich Tatra auf Lkw fokussieren. Dank vieler Ost-Exportmärkte erreichte der Jahresausstoß in Bestzeiten fünfstellige Einheiten. Bis zu 35.000 Menschen arbeiteten bei Tatra, wo man sich auf geländegängige Lkw mit Zentralrohrrahmen spezialisierte. Das war nach 1990 Fluch und Segen zugleich: Denn auch Tatra litt unter Investitionsstau und verlor den Anschluss an die großen Lkw-Marken. Doch der Zentralrohrrahmen und Überlebenswille retteten die mährische Marke ins Heute. Nach mehreren Eigentumswechseln kauften die tschechischen Geschäftsleute Jarolslav Strnad und René Matera das Unternehmen. Seitdem geht es aufwärts. Ungewöhnlicherweise verkaufte man Presswerk und den Kabinenrohbau, während man Gießerei und mechanische Fertigung für die eigenen (Verteiler-)Getriebe behielt. Selbst fertigt man auch weiter die luftgekühlten V8, die bis Euro 5 reichen. Die Fertigung wird laufend optimiert und befindet sich gerade zwischen Canban und Chaos. Die klassischen Modelle bieten bis zu 75 Prozent Fertigungstiefe, während es bei den neuen Phoenix-Modellen mit DAF-Kabinen und -Motoren, noch 40 bis 45 Prozent sind. Während es in der mechanischen Fertigung neben den aktuellsten Vollautomaten noch viele Einzelarbeitsplätze mit handschriftlichen Nachweisen gibt, ähnelt das Endmontageband mit Canban-System im Prinzip jeder anderen Lkw-Fabrik. Der"Präsident" kehrt 2017 zurück: Als metallicrotes Sondermodell mit spezieller Ausstattung. Zurück ist auch die Innovation: Der Rohrrahmen hat genug Platz für Akkus. Sollte die Elektromobilität die Gruben dieser Welt erreichen, wird Tatra eine Antwort darauf haben! gs

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