Branche mit digitalen Baustellen

Es läuft am Bau. Vor allem der gewaltige Bedarf an Wohnungen beschert der Branche einen Aufschwung, wie es ihn lange nicht gegeben hat. Allein im Januar lagen die Auftragseingänge gut elf Prozent über dem Dezember. Kein Wunder, dass die Bau-Unternehmen extrem zuversichtlich für das laufende Jahr sind. "Wir rechnen mit einem Umsatzwachstum von fünf Prozent", meldeten der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes Anfang des Jahres. Die Umsätze werden mit 112,2 Milliarden Euro so hoch sein wie seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren nicht mehr. Treiber der Entwicklung ist ganz klar der Wohnungsbau. Hier rechnen die Verbände mit einem Umsatzwachstum von sieben Prozent. Ein Grund dafür ist neben der hohen Nachfrage nach Wohnraum in den Ballungsgebieten auch die Wohnungsbauoffensive der Bundesregierung. Bundesbauministerin Barbara Hendricks will mit dem Programm mindestens 350.000 neue Wohnungen schaffen. Die Bauindustrie ist etwas zurückhaltender. Der Branchenverband rechnet inklusive der Umbaumaßnahmen mit 310.000 bis 320.000 Wohneinheiten, die 2017 fertiggestellt werden dürften. Boomender Baustoff-Fachhandel Auch der öffentliche Bau wird weiter zulegen. 2016 betrugen die Umsatzsteigerungen bereits fünf Prozent. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will aber bis 2030 Investitionen in Höhe von 265 Milliarden Euro stemmen. Geld, das in den Ausbau von Straßen und Schienen fließen soll. Zurückhaltend seien noch die Kommunen, sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bauhauptverbandes. Doch auch da könnte es in diesem Jahr besser werden. Auch im Baustoff-Fachhandel ist man optimistisch. Bei einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) unter 900 Fachhändlern in Deutschland geht ein Drittel der Unternehmen von einer guten bis sehr guten Entwicklung im neuen Jahr aus. "Grund hierfür ist der Wohnungsbau, der nach langem Dornröschenschlaf endlich wieder in die Gänge kommt", sagt BDB-Präsident Stefan Thurn. Im vergangenen Jahr meldete der Verband immerhin einen Branchenumsatz von 14,5 Milliarden Euro. Der weitaus größte Markt ist das Geschäft mit den gewerblichen Kunden. Hier setzte der Fachhandel 12 Milliarden Euro um. Für dieses Jahr rechnet der Verband mit einem Wachstum von 2,2 Prozent. "Die Stimmung ist gut und das wird sich auch auf die Logistik auswirken", ist sich Stiepelmann sicher. Ihm macht allerdings etwas Sorgen, dass nicht nur die Kapazitäten in der Bauindustrie, sondern auch bei den Transportdienstleistern sehr gut ausgelastet sind. Baustellenlogistik mit Defiziten Die müssen sich auf immer höhere Anforderungen bei der Informationstechnologie einstellen. Die Branche hat die vernetzte Baustelle zu einem ihrer Hauptthemen erkoren. Ziel ist es, durch die Vernetzung aller Beteiligten am Bau die Abwicklung von Projekten deutlich zu beschleunigen. Das umfasst die Planung und die Ver- und Entsorgung der Baustellen. Im vergangenen Jahr stellte das Beratungsunternehmen Roland Berger fest, dass die Digitalisierung in der Baubranche unter dem Stichwort "Baustelle 4.0" für viele Unternehmen zum Erfolgsrezept werden könnte. Insbesondere bei der Baustellenlogistik sieht Roland Berger Optimierungspotenzial. Das betrifft vor allem die Einbindung von Lieferanten und Subunternehmern. Zeitgenaue Rolle spielen. Hier habe die Branche noch einen großen Rückstand, der jetzt langsam aufgeholt werde, bemängelt Stiepelmann. Ziel sei es, Logistikunternehmen effizient in die Lieferkette einzubinden. Eine Bestandsaufnahme der Deutschen Telekom zur Digitalisierung im Baugewerbe bestätigt, dass die Baubranche im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen schlecht abschneidet. Vergleichsweise viele Unternehmen hätten sich demnach bisher gar nicht mit dem Thema befasst. "Es gibt keine Alternative zur Digitalisierung", sagt Stiepelmann. Die Transportunternehmen müssten sich daher mit dem Thema auseinandersetzen. Aber den Unternehmen brennt weiterhin der Fahrermangel unter den Nägeln. "Viele brauchen zusätzliche und gute Fahrer", sagt Stefan Rieck, geschäftsführender Gesellschafter der Rieck Logistik-Gruppe. Die Löhne würden daher weiter steigen. Steigende Kosten könnten auch auf anderen Baustellen zu einem Problem werden. Durch die Schließung von Deponien muss der Aushub von Baustellen oft über weite Strecken transportiert werden. Die Folge sind höhere Fahrt- und Mautkosten. Die Marktlage sei derzeit aber "zum Glück aufseiten der Dienstleister", sagt Rieck. Darum ist er zuversichtlich, die Kosten weitergeben zu können. HBCD-Regelung für ein Jahr ausgesetzt Die Politik ist für die Branche ohnehin eine der größten Unsicherheitsfaktoren. Das zeigte sich im vergangenen Jahr, als Baubranche, Entsorgungswirtschaft und Transporteure einen neuen Begriff lernen mussten: Hexabromcyclododecan (HBCD). Ende September stufte die Bundesregierung das vor allem in Baustyropor enthaltene Flammschutzmittel als gefährlichen Abfall ein. Die Styroporplatten durften nicht mehr einfach entsorgt werden (siehe VR 45/2016, Seite 20). Es gab aber auch keine alternativen Abnehmer. Die Dämmstoffe stapelten sich folglich auf Baustellen und Lagerplätzen der Entsorgungsunternehmen. Im Dezember beschloss der Bundesrat, die Regelung zunächst für ein Jahr auszusetzen. "Diese Zeit gilt es zu nutzen, um eine dauerhafte und rechtssichere Lösung zu schaffen", mahnt Otto Heinz, Geschäftsführer der Heinz Entsorgung aus Moosburg. Er erwartet eine Reihe Änderungen, die die Entsorgungsbranche in diesem Jahr betreffen werden. Darunter das Verpackungsgesetz und die Gewerbeabfallverordnung, die Ende letzten Jahres verabschiedet wurden. Auch das seit Jahren angekündigte Wertstoffgesetz könnte einen neuen Anlauf erfahren. Umweltministerin Hendricks hat bereits einen ersten Entwurf vorgelegt. Mit den Maßnahmen sollen die Recyclingquoten bei Haus- und Gewerbeabfällen deutlich erhöht werden. Das könnte zu einer steigenden Nachfrage nach Transporten führen, meint Michael Schneider, Sprecher des Recycling- und Entsorgungsunternehmens Remondis. Große Auswirkungen auf die Branche erwartet er aber nicht. Vielmehr werde es eine Verlagerung der Transporte geben. "Sollte die neue Gewerbeabfallverordnung konsequent vollzogen werden, werden Gemische künftig vorrangig in Sortieranlagen gefahren und nur noch im Ausnahmefall in Müllverbrennungsanlagen", resümiert Heinz. Für Transporteure könnte das aber längere Wartezeiten an den Anlagen bedeuten. Damit dürften Zeitfenster für die Anlieferung wahrscheinlicher werden. "Aufgrund immer größerer Anlagen, sowohl im Sortier- als auch im Verwertungsbereich, wird die Just-in-time-Logistik auch im Entsorgungssegment zukünftig einen immer größeren Stellenwert einnehmen", glaubt beispielsweise Markus Müller-Drexel, Geschäftsführer der Interseroh Dienstleistungs GmbH. Die notwendigen IT-Schnittstellen seien zwar an vielen Stellen schon Standard, würden aber noch nicht durchgängig angewandt. Neue Logistikkonzepte sind gefragt Die Unternehmen müssten ihre IT an die jeweiligen Systeme anpassen, fordert auch Sandra Giern vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE). Sie beobachtet, dass vor allem am sogenannten Spot-Markt zunehmend Entsorgungsaufträge über Onlineplattformen vergeben werden. Für Transporteure ist das eine Chance, Leerfahrten zu vermeiden. Ohnehin werden die Transportunternehmen mehr und mehr in den Rohstoffkreislauf eingebunden. So fahren die Firmen die Reststoffe nicht mehr nur zu den Recycling- oder Müllverbrennungsanlagen, sondern nehmen von dort aufbereitetes Material oder Wertstoffe zur Weiterverarbeitung mit. Solche Lösungen müssten die Unternehmen aktiver anbieten, empfiehlt Giern. "Reine Transportdienstleister können ihre Position zukünftig ausschließlich mit nachhaltiger effizienter Technik und mit strategischen Partnerschaften im Bereich der Entsorgungs- und Rohstoffwirtschaft erhalten und ausbauen", glaubt Müller-Drexel. Er erwartet, dass der Wettbewerb um die besten Entsorgungs- und Logistikkonzepte zunehmen wird. Einfacher wird die Arbeit vor allem für die Entsorgungsdienstleister nicht. Neben dem zunehmenden Verkehr in den Innenstädten stellt laut Heinz die häufig enge Bebauung in neuen Wohngebieten die Fahrer vor Probleme. Dort sei das Wenden kaum noch möglich. Eine im vergangenen Jahr verabschiedete Branchenregel sieht aber das Rückwärtsfahren von Müllfahrzeugen nur noch in Ausnahmefällen vor. "Dann kann es sein, dass solche Neubaugebiete gar nicht mehr angefahren werden", befürchtet Heinz. Elektroantrieb gewinnt an Bedeutung Remondis-Sprecher Schneider sieht ohnehin den Abholverkehr in den Städten im Wandel. Dort dürften in der Zukunft mehr Müllfahrzeuge mit Elektroantrieben zum Einsatz kommen, um die strengeren Feinstaub- und Lärmgrenzwerte einzuhalten. Stefan Rieck macht außerdem die zunehmende Bürokratie Sorgen. Unter dem Strich erwartet er aber wegen des anhaltend starken Konsums und des Baubooms, dass 2017 noch besser wird als das vergangene Jahr. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Baulogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In der Serie analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipps für Dienstleister Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen Über welche Fähigkeiten sollte ein Transportdienstleister verfügen, der in der Bau- und Entsorgungsbranche zum Zuge kommen will? Eine kleine Auswahl:- Just in time: Höhere Recyclingquoten und straffe Zeitpläne beim Bau erfordern striktere Zeitfenster sowohl bei der Ver- als auch bei der Entsorgung.- Tourenplanung: Transporteure müssen Logistikkonzepte erarbeiten, die die Belieferung und Entsorgung mit möglichst wenig Fahrten sicherstellen.- IT: Von Transporteuren wird die Nutzung der einschlägigen IT-Schnittstellen sowie von Telematiksystemen erwartet.- Umwelt: Dienstleister müssen häufiger ihre CO2-Bilanz nachweisen, sowohl im Bau als auch in der Entsorgungswirtschaft. ah

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