Schuss vor den Bug

Zwei Tage lang hatten die Mitarbeiter der Eurogate-Terminals im Hamburger Hafen alle Hände voll zu tun. Von Sonntag bis Dienstag mussten sie 13.750 mit Autoteilen, Baumaterialien, Elektronikgeräten, Weihnachtsartikeln und anderen Produkten beladene Container von der "Hanjin Harmony" entladen. Ende September hatte die Hamburg Port Authority (HPA) hierfür grünes Licht gegeben. Das 365 Meter lange Containerschiff der von der Pleite bedrohten Reederei Hanjin Shipping darf den größten deutschen Hafen anlaufen. Weil Antwerpen und Rotterdam eine solche Genehmigung verweigert hatten, musste die "Hanjin Harmony" drei Wochen lang auf die Entladung warten. Für die Hanseaten war dieser Kraftakt, der zwischen Behörden, Terminals, Spediteuren und Lkw-Fahrern genau koordiniert werden musste, eine willkommene Chance, die Leistungsfähigkeit ihres Hafens unter Beweis zu stellen. Schließlich hatte dieser in den letzten Jahren Marktanteile gegenüber der Konkurrenz in Belgien und den Niederlanden verloren. Hanjin-Großaktionär springt ein Auch die zahllosen Gläubiger von Hanjin werden die Hamburger Entladung mit Erleichterung vernommen haben. Wegen hoher Außenstände hatten Lotsendienste und Hafenbehörden beziehungsweise -dienstleister auf Vorkasse bestanden. Mit einem Kredit des Hanjin-Großaktionärs Korean Air konnte die Insolvenzverwaltung in Seoul diese Forderungen sofort begleichen. Auch andere Geschäftspartner von Hanjin werden jetzt hoffen, dass sie wenigstens einen Teil ihrer insgesamt etwa fünf Milliarden Euro zurückerhalten, wenn sie ihre Forderungen bis 4. Oktober 2016 eingereicht haben. Das verlangt das koreanische Insolvenzrecht. Spekulationen, dass die Regierung in Seoul der Pleite-Reederei am Ende doch noch finanziell unter die Arme greifen wird, halten auch deshalb an, weil das Finanzministerium des Landes einen Abschluss der Krise bis Ende Oktober angekündigt hat. Spätestens dann sollen 90 Prozent der 60 Hanjin-Schiffe, die weltweit auf hoher See warten, entladen worden sein. Die Insolvenz machte sich schnell bei Spediteuren und Verladern bemerkbar. Weil mit einem Schlag die komplette Tonnage der Hanjin-Flotte nicht mehr zur Verfügung steht, haben die Seefrachtraten im September weltweit um 30 bis 40 Prozent angezogen. In Shanghai sogar um mehr als 50 Prozent: Hier hat Hanjin einen Mittelmeer-Dienst der CKYHE-Allianz, der außerdem die Reedereien Cosco, "K"Line, Yangmin und Evergreen angehören, komplett mit eigener Tonnage ausgerüstet. Frachtraten stehen weiter unter Druck Doch es war nur ein vorübergehendes Hoch. Und wenn Hanjin tatsächlich liquidiert wird, werden Wettbewerber trotz der vorhandenen Überkapazitäten die Schiffe der Koreaner kaufen oder chartern - so die Erwartungen. Die vorhandene Tonnage steht dann wieder in vollem Umfang zur Verfügung. "Wenn alle Hanjin-Schiffe entladen sind, werden die Preise sich wieder auf die alte Höhe einpendeln", urteilt Professor Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen. Der Containerumschlagindex, den das ISL monatlich mit dem RWI- Institut auf Basis der Zahlen von 81 Häfen ermittelt, war unmittelbar vor der Hanjin-Pleite auf ein Tief gesunken. Bei den 26 Millionen TEU (20-Fuß-Container), die laut Index monatlich weltweit be- und entladen werden, schlagen die Hanjin-Kapazitäten inklusive der gecharterten Schiffe gerade mit 2,3 Prozent zu Buche. Trotzdem suchen derzeit einige Verlader nach Alternativen und weichen auf Schienen- und sogar Luftverkehre aus. "Weil die Entladung vieler Schiffe sich verzögert, bestellen Kunden neue Waren und buchen andere Verkehrsträger", berichtet Klaus Jäger, Geschäftsführer Global Air & Sea von Militzer & Münch. "Als Konsequenz sind auch die Luftfrachtraten gestiegen." An anderer Front gibt es bereits jetzt Entwarnung. Die Prämien für Transportversicherungen werden vermutlich kaum steigen. Auf dem Jahreskongress des internationalen Branchenverbands IUMI Ende September in Genua stellten sich zwar die Teilnehmer auf eine Schadenquote von über 70 Prozent für 2016 (2015: 69 Prozent) ein. Vor allem Lebensmittel und andere verderbliche Produkte sowie Saisonartikel in den Hanjin-Containern bereiten den Assekuranzen Sorgen. Weil aber auch auf dem Versicherungsmarkt Preiskämpfe toben und das weltweite Prämienaufkommen im Vorjahr um neun Prozent auf 14 Milliarden Euro eingebrochen war, müssen Spediteure hier kaum Preiserhöhungen fürchten. Und natürlich schießen auch die Spekulationen in die Höhe, ob weitere Reederei- Pleiten folgen werden. "Hanjin war nicht der billigste Anbieter", gibt Kurt Jürgen Schimmelpfeng vom Komitee Deutscher Seehafenspediteure (KDS) zu bedenken. "Wir hoffen, dass die Reeder diesen Vorgang als Schuss vor den Bug begreifen und die Frachtraten nicht noch weiter drücken." Schimmelpfeng rechnet jetzt mit weiteren Zusammenschlüssen nach dem Vorbild der von Hanjin mitgegründeten CKYHE-Allianz. "Die Reedereien müssen Strategien entwickeln, welche ihre Schiffe besser auslasten", fordert der Marktkenner. Verlader warten weiter auf ihre Ware Die Spediteure sorgen sich über haftungsund versicherungsrechtliche Fragen hinaus über die von Hanjin transportierten Frachten. Auf wenigstens zwei Schiffen, die gegenwärtig auf ihre Entladung warten, sind Sendungen für den deutschen Markt unterwegs. Gut möglich, dass der Hamburger Hafen vor weiteren Kraftakten steht. Die Hafenbehörde HPA gibt sich zurückhaltend. "Jeder Schiffsanlauf und jede Ladeplatzgenehmigung werden als Einzelfall geprüft", sagt eine Sprecherin. "Eine Genehmigung setzt voraus, dass das Schiff von allen Dienstleistern bedient wird." Auf gut Deutsch: Der Hanjin-Insolvenzverwalter muss erneut Vorauszahlungen bewilligen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Seefracht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Das Schlüsselwort heisst Auswahlverschulden Muss der Spediteur für Folgen der Hanjin-Pleite haften? Wann haften Speditionen für Ladungsschäden oder -verluste, welche von der Hanjin-Pleite verursacht werden?"Das Schlüsselwort heißt Auswahlverschulden", sagt Axel Salzmann, Leiter des Kravag-Kompetenzzentrums Straßenverkehr und Logistik. Wenn der Spediteur mit der Insolvenz der Reederei rechnen musste und diese trotzdem mit dem Transport von Containern beauftragte, hilft ihm kein Versicherungsschutz."Für die Hanjin-Insolvenz zeichneten sich keine konkreten Anhaltspunkte ab", betont Salzmann."Die Spediteure wussten nur, dass viele Reedereien in einer Krise stecken."Auch für weitere Insolvenzen gibt es Salzmann zufolge derzeit keine Anhaltspunkte. Ansonsten hängt viel von der Transportversicherungspolice ab. Wenn diese auch Schäden von verderblichen Gütern oder Saisonartikeln deckt, ist der Spediteur aus dem Schneider. Er muss lediglich Zusatzkosten für Umbuchungen oder Sicherheiten übernehmen."Solche Ausgaben sind unternehmerische Risiken und deshalb nicht versicherbar", so Salzmann. bot

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