Hamburg. Den großen deutschen Nordseehäfen Hamburg und Bremerhaven drohen, kaum dass die sich von den Folgen der Weltwirtschaftskrise weitgehend erholt haben, neue Ladungsverluste. Dieses Mal sind die Ursachen allerdings hausgemacht, beklagt der Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Weil in den zurückliegenden Jahren zu wenig für den Unterhalt des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) getan wurde, häufen sich seit einigen Monaten die Hiobsbotschaften über gravierende Systemausfälle. So ist in Brunsbüttel die Große Norschleuse vollständig ausgefallen, die Südschleuse hat Betriebsprobleme. Der ZDS fordert gemeinsam mit dem Verband Deutscher Reeder (VDR) sowie dem Zentralverband der Deutschen Schiffsmakler (ZVDS) in einem Brandbrief an das Bundesverkehrsministerium, dass die Funktionsfähigkeit des NOK „unverzüglich und in vollem Umfang wieder hergestellt und nachhaltig gewährleistet werden" müsse.
Geschehe das nicht, dann drohten den beiden wichtigen Universalhafen-Standorten in relativ kurzer Zeit empfindliche Ladungsmengenabwanderungen in die Westhäfen, allen voran nach Rotterdam. Der größte europäische Seehafen hatte während der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 erhebliche Containermengen hinzugewonnen, die zuvor mehrheitlich in Hamburg waren. Die Ursache damals war allerdings, dass die Charterpreise für Schiffe einbrachen, was, gepaart mit einem im Vergleich zur Gegenwart günstigen Bunkerpreis, zu einer deutlichen Reduzierung der Preise für Feeder-Ladung führte. Unterm Strich waren die Feeder-Transporte von den Westhäfen über den längeren Seeweg übers Kap Skagen immer noch preisgünstiger als durch den kürzeren aber teureren Weg über den NOK. Inzwischen ist es dem Hamburger Hafen dank verschiedener Maßnahmen gelungen, einen Großteil der verlorenen Feeder-Verkehre wieder zurückzugewinnen.
Bei der auch für den NOK zuständigen Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD Nord) in Kiel verweist man darauf, dass die Reparaturarbeiten an der seit gut zwei Wochen ausgefallenen Brunsbütteler Nordschleuse mit Hochdruck laufen. Zwei Tauchergruppen seien im Einsatz. „Unsere aktuellen Planungen sehen vor, dass in der kommenden Woche der Austauch des Tores durchgeführt werden soll", erklärte WSD-Nord-Sprecherin Claudia Thoma gegenüber der VerkehrsRundschau. Sie wies auch darauf hin, dass die Südschleuse derzeit „im Notbetrieb" genutzt werde.
Wartezeiten im NOK gehen zu Lasten der Transportkette
Weil Feeder-Verkehre von der Geschwindigkeit leben, ist es für die Reeder fatal, wenn sie etwa aufgrund von Schleusenproblemen am NOK warten müssen und damit viel Geld verlieren. Durch einen solchen Zeitverlust laufen zudem europäische Export-Container Gefahr, die Anschlusstransporte mit den Überseecontainerschiffen zu verpassen. ZDS und VDR betonen nochmals, dass der Zeitvorteil einer Passage durch den NOK – verbunden mit einem Entfernungsvorteil – ganz entscheidende Faktoren für die Hafenwahl sind. Der ZDS weiter: „Für den Hafen Hamburg wirken sich Restriktionen am NOK am deutlichsten aus."
Ein Beispiel: Der Elbe-Hafen hat bei einem Seetransport nach St. Petersburg gegenüber Rotterdam – dank des NOK – einen Entfernungsvorteil von 233 Seemeilen (rund 431 Kilometer). Fahren die Schiffe nicht über den NOK, sondern über Skagen, schrumpft dieser Distanzvorteil nur noch auf 99 Seemeilen. Doch auch Bremerhaven, das im ersten Halbjahr innerhalb der Hamburg-Le Havre-Range die höchsten Zugewinne im Containerumschlag hatte, profitiert vom NOK. Hier liegt der Distanzvorteil gegenüber Rotterdam für einen Transport nach St. Petersburg noch bei 188 Seemeilen, entsprechend 348 Kilometer. Über Skagen sind es nur noch 128 Seemeilen.
Mangelhafte Wartung auch am ESK – sagt die Binnenschifffahrt
Unabhängig von der aktuellen Reparaturnotwendigkeit fordern die Brief-Autoren, dass der seit vielen Jahren versprochenen Ausbau des NOK – einschließlich neuer Schleusen – endlich in Angriff genommen werde. Unterlassende beziehungsweise verspätet eingeleitete Wartungsmaßnahmen sind nach Überzeugung des Binnenschifffahrtsgewerbes auch ursächlich für die immer häufiger auftretenden Probleme am 37 Jahre alten Schiffshebewerk Scharnebeck im Zug des für den Hamburger Hafen sehr wichtigen Elbe-Seiten-Kanals (ESK). (eha)