Richter erlauben Diesel-Fahrverbote

Das Bundesverwaltungsgericht hält Diesel-Fahrverbote für bessere Luft in Städten nach geltendem Recht für grundsätzlich zulässig. Die beklagten Städte Düsseldorf und Stuttgart müssten aber ihre Luftreinhaltepläne auf Verhältnismäßigkeit prüfen, urteilte jetzt das Gericht in Leipzig. Einem expliziten Bann bestimmter Fahrzeuge für den Innenstadtverkehr steht damit nichts mehr im Weg. Das Urteil sieht aber Übergangsfristen und eine phasenweise Einführung von Fahrverboten vor. In Stuttgart seien Fahrverbote nicht vor dem 1. September 2018 möglich. Zudem solle es Ausnahmen für Wirtschaftsverkehre etwa von Handwerkern geben. Es gebe keine finanzielle Ausgleichspflicht für die Halter. "Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen", sagte der vorsitzende Richter Andreas Korbmacher. Die zuständigen Landesbehörden hätten es in der Hand, einen "Flickenteppich" zu verhindern. Lkw-Lieferverkehre erwähnte er in der mündlichen Urteilsverkündung nicht. Zuvor hatten die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Stuttgart entschieden, die Luftreinhaltepläne müssten verschärft werden - dabei seien auch Fahrverbote in Betracht zu ziehen. Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen argumentierten dagegen, es brauche eine neue bundesweite Rechtsgrundlage. Diese Auffassung wiesen die Richter in Leipzig nun zurück. Das droht in Stuttgart und Düsseldorf Für Stuttgart urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten in der Umweltzone zu prüfen sei, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge betreffe - etwa bis zur Abgasnorm Euro 4. Um die Verhältnismäßigkeit herzustellen, dürften Euro-5-Fahrzeuge nicht vor dem 1. September 2019 mit Verkehrsverboten belegt werden. Zu Düsseldorf urteilten die Leipziger Richter, die Behörden hätten Fahrverbote ernsthaft in den Blick zu nehmen. "Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte darstellen, sind diese - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen", hieß es. Insgesamt sind die Urteile der beiden Verwaltungsgerichte "überwiegend nicht zu beanstanden". Sowohl EU-Recht als auch Bundesrecht verpflichteten dazu, durch geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung von Schadstoffgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten. Das Bundesrecht lässt zonen- wie streckenbezogene Fahrverbote speziell für Diesel eigentlich nicht zu, wie aus dem Urteil hervorgeht. Mit Blick auf die Verpflichtung nach EU-Recht zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte ergebe sich, dass nationales Recht "unangewendet" bleiben müsse, wenn dies die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erfordert. "Daher bleiben die Plakettenregelung sowie die Straßenverkehrsordnung (StVO), soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Fahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Grenzwertüberschreitung so kurz wie möglich zu halten", so die Erklärung aus Leipzig. Das Urteil bedeutet nicht, dass nun in allen zu schmutzigen Städten automatisch Fahrverbote kommen. Es könnte noch Wochen oder Monate dauern, bis Fahrbeschränkungen wirklich in die jeweiligen Luftreinhaltepläne aufgenommen werden. Für wen sie gelten würden und wie die Städte das organisieren und kontrollieren, ist offen. Fahrverbote bleiben trotz des Grundsatzurteils von Stadt zu Stadt eine Einzelfallentscheidung. Die Entscheidung hat aber immerhin eine bundesweite Signalwirkung. EU macht Druck auf Deutschland Seit Jahren werden in vielen Städten Luftverschmutzungs-Grenzwerte nicht eingehalten. Dabei geht es um Stickoxide, die unter anderem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen oder verschlimmern können. Der Verkehr, darunter vor allem Dieselautos, macht in Städten nach Angaben des Umweltbundesamts mehr als 60 Prozent der Belastung aus (siehe Kasten). Für die Einhaltung von Grenzwerten, die seit 2010 gelten, laufen seit Jahren Klagen der deutschen Umwelthilfe (DUH). Auch die Verfahren in Düsseldorf und Stuttgart gingen auf DUH-Klagen zurück. Deutschland hat wegen der Luftverschmutzung in Städten auch Ärger mit der EU. Die EU-Kommission hatte die bisherigen Anstrengungen für bessere Luft als nicht ausreichend kritisiert und die schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte gefordert - andernfalls droht eine Klage gegen Deutschland beim EuGH. Verlöre Deutschland einen solchen Rechtsstreit, würden letztlich hohe Strafgelder drohen. Mitte März will EU-Umweltkommissar Karmenu Vella darüber befinden, ob die bis dahin getroffenen Maßnahmen ausreichen. Aus dem Bundesverkehrsministerium hieß es, neben dem beim Dieselgipfel beschlossenen "Sofortprogramm Saubere Luft" seien gegenüber der EU-Kommission Zusatzmaßnahmen angekündigt worden - etwa, Verkehrsflüsse teilweise umzuleiten. "Dazu gehört auch, den Rechtsrahmen so zu präzisieren, dass dies nach einheitlichen Kriterien streckenbezogen in hochbelasteten Straßen geschehen kann." Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr über eine Reform der StVO eine neue Rechtsgrundlage für Städte und Kommunen schaffen will, um Fahrverbote für einzelne Strecken zu erlassen. Diese fordern stattdessen eine bundesweit einheitliche Regelung wie eine blaue Plakette für relativ saubere Fahrzeuge, mit der Fahrverbote sich auch einfacher kontrollieren ließen. Die Bundesregierung lehnt die Einführung einer solchen Plakette bisher ab. Wie die neuen Verbote oder Beschränkungen für Dieselautos gekennzeichnet und kontrolliert würden, werde man mit Ländern und Kommunen klären, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. Viele fordern bundeseinheitliche Regeln Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten ist nach Ansicht von Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz die Bundesregierung unter Zugzwang. "Sie muss mit einer einheitlichen bundesweiten Plaketten-Regelung verhindern, dass wir ein Wirrwarr an unterschiedlichsten Fahrverboten in Deutschland bekommen", sagte Schwarz. Schließlich seien 70 Städte betroffen. Die blaue Plakette sei das wirkungsvollste Mittel für saubere Luft in den Städten. "Es ist unverantwortlich, wenn die Bundesregierung dieses Ass nicht endlich zieht", betonte Schwarz. Während Wirtschaftsverbände Augenmaß bei möglichen Diesel-Fahrverboten forderten (siehe Kasten), begrüßten Umweltschützer die Entscheidung aus Leipzig. Der Chef der DUH, Jürgen Resch, bewertete sie als ein klares Signal an die Bundesregierung: Diese müsse nun schnell handeln, um einen Flickenteppich zu verhindern. Ähnlich äußerte sich der NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller: "Damit hat sich der Druck auf Politik und Hersteller noch einmal deutlich erhöht, endlich effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Schadstoffbelastung der Luft durch den Straßenverkehr zu reduzieren." Er forderte neue Verkehrskonzepte in Innenstädten. Die Umweltschützer könnten recht behalten: Denn Polizeigewerkschaften betonten bereits, dass sie personell nicht in der Lage sind, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Städten zu kontrollieren. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt hofft, dass es gar nicht so weit kommt. Es sei "das ganz klare Ziel, Fahrverbote zu vermeiden. Das ist auch machbar mit der Vielfalt der Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben", sagte der CSU-Politiker diese Woche. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Fahrverbote" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Erste Reaktionen Transporteure und Logistiker warnen vor Pauschalverboten Vertreter der deutschen Transport- und Logistikbranche haben kritisch auf das Urteil reagiert. Der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) betonte zum Beispiel, kleine Geschäfte und Gewerbetreibende, aber auch Endverbraucher seien auf Lieferverkehre angewiesen. Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) plädierte für differenzierte Maßnahmen mit Augenmaß und wies auf Alternativen zu Diesel-Fahrverboten hin - etwa Elektromobilität, eine bessere Verkehrssteuerung durch Digitalisierung oder Kooperationen auf der letzten Meile. ag

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