Rezepte gegen die Chaostage

Jedes Jahr im Frühling, wenn Feiertage die Wochen auf vier Tage verkürzen, wird es für die Logistiker im Handel stressig: Vor Zentrallagern und Filialen bilden sich Lkw-Schlangen, Ladungen bleiben stehen, bisweilen kommt es sogar zu Lücken in den Regalen. Einig über das Ziel In diesem Jahr dürfte die Situation besonders kritisch werden, denn Fahrer und Laderaum sind knapp wie nie. Darüber, was getan werden kann, um die Lage zu entschärfen, diskutierten Experten auf dem 24. Handelslogistik-Kongress in Köln. Den Kongress veranstalten das EHI Retail Institute, GS1 Germany und der Markenverband Experten aus Handel, Industrie und Spedition. Darüber, dass der Laderaummangel ein kritisches Niveau erreicht hat, waren sich alle einig. "2017 ist das Fass übergelaufen", sagte Oliver Wittig, bei dem Konsumgüterhersteller Henkel für die Logistik in Deutschland, der Schweiz und in Benelux verantwortlich. Bei der Frage, welche Maßnahmen gegen den Laderaummangel helfen, gingen die Meinungen auseinander. Wie weit, zeigte sich bei der Frage, ob man die Abfertigungszeiten an den Rampen ausdehnen kann. "Wir würden gerne samstags zustellen, wenn die Handelsrampe frei wäre. Leider ist die Akzeptanz im deutschen Handel noch nicht so gegeben", sagte Björn Schniederkötter, Chief Operating Officer der Nagel-Group. Die Vertreterin des Handels, Birgit Heitzer von der Rewe Group, wies darauf hin, dass die Samstagsabfertigung teilweise schon Praxis sei. "Aber für einen oder zwei Sammelgut-Lkw aufzumachen - da haben wir auch ein Problem." Längere Öffnungszeiten lohnten sich nur, wenn das entsprechende Volumen vorhanden sei, so Heitzer, die bei Rewe die Logistik leitet. Ein Kritikpunkt der Speditionsdienstleister auf dem Podium war, dass die Auftraggeber gelegentlich selbst unnötige Engpässe verursachen. "Warum muss man Food-Trockenware, die 18 bis 24 Monate MHD hat, innerhalb von 18 Stunden distribuieren?", gab Stefan Krautwurst-Leister, Vertriebsleiter Food Logistics bei Dachser, zu bedenken. Daneben wäre es hilfreich, von der Industrie früher verlässlichere Avis zu bekommen. Aus dem Auditorium kam dazu der Hinweis, dass es für die Hersteller schwer sei, früher ein Avis zu senden, wenn der Handel unvorhersehbar und von einem Tag auf den anderen Ware bestellt. Hitzig diskutierten die Experten auch über das Thema Zeitfenster. Immerhin auf zwei Punkte konnte man sich einigen: Die Systeme auf beiden Seiten der Transportkette sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt, außerdem gibt es zu wenige Möglichkeiten, das Zeitfenster umzubuchen. "Wir sollten uns mit den Handelspartnern zusammensetzen, um zu einer effizienten Abwicklung zu kommen", sagte Henkel-Logistiker Wittig. Heitzer von Rewe verwies darauf, dass auch die Transportdienstleister ihren Teil beitragen müssten. "Wir haben genügend Fälle, in denen ein Fahrzeug zwei Stunden vor seinem Zeitfenster an der Handelsrampe ist und ein Kollege - unter Umständen aus der gleichen Firma - eine Stunde später kommt. Wie brauchen hier übergreifendere Systeme, damit wir als Empfänger auch diese Informationen bekommen." Konsens bestand in Köln darüber, dass die Laderaumverknappung langfristig nur durch mehr Fahrer aus den eigenen Reihen zu stoppen ist - der Nachschub aus Osteuropa versiegt, weil die Löhne dort stark gestiegen sind. Die Nagel Group hat daher seine Rekrutierung komplett auf Online-Kanäle umgestellt. "Sie werden heute keinen Fahrer mehr über eine Anzeige in der Zeitung gewinnen", begründete Schniederkötter. Das Unternehmen hat einen externen Dienstleister beauftragt, mögliche Kandidaten über Online-Kanäle direkt anzusprechen. Was früher nur bei der Suche nach Topmanagern üblich war, nämlich gezieltes Headhunting, kommt jetzt also auch auf dem Arbeitsmarkt für Berufskraftfahrer an. Zweites Aktionsfeld, um den Personalmangel in den Griff zu bekommen, sind die Ausbildungsaktivitäten. Nagel hat eine Akademie zur Fortbildung von Fahrern gegründet und ist dabei, eine eigene Fahrschule aufzubauen. "Wir haben ein Unternehmen gefunden, das wir übernehmen werden", berichtete Schniederkötter. Fahrlehrer seien noch schwerer zu finden als die Fahrer selbst. Der Fahrer ist kein Ladehelfer Einig war man sich auch darin, dass der Fahrer-Beruf insgesamt wieder attraktiver gemacht werden muss, um Nachwuchs zu sichern. Dazu gehöre auch, den Fahrer nicht mehr für fachfremde Tätigkeiten einzusetzen. "Der Fahrer ist kein Be- und Entlader und soll auch keine Umpackarbeiten machen", stellte Henkel-Manager Wittig klar. Als Maßnahmen, um solche Zusatztätigkeiten zu verhindern, nannte er den verstärkten Einsatz von Trailern und Wechselbrückenabwicklung. Besonders hart trifft der Personalmangel Möbellogistiker, schließlich müssen die Fahrer hier die Waren zusätzlich ins Haus bringen und aufbauen. Die dafür benötigten Monteure sind extrem rar. "Wer in unserer Region den Beruf ausübt, arbeitet schon für uns", sagte Martin Reddel, Logistikleiter bei Möbel Martin in Saarbrücken. Um den Beruf für Einsteiger interessanter zu machen, müsse man an vielen Stellen ansetzen. "Wir sollten vielleicht darüber nachdenken, Waren stärker zu zerlegen und sie transportabler zu machen." Gerade ältere Mitarbeiter belaste es sehr, hohe Gewichte zu tragen. Reddel schlägt deshalb eine stärkere Arbeitsteilung vor: "Die jungen Monteure fahren die Ware, die älteren fahren nach und montieren. So können sie viel länger der Firma erhalten bleiben." Einige Experten erwarteten, dass sich im Zuge des autonomen Fahrens die Männer und Frauen "auf dem Bock" künftig zu Logistikmanagern weiterentwickeln, die sich nicht mehr mit dem Fahren beschäftigen, sondern höher qualifizierte Tätigkeiten ausüben, zum Beispiel Rückfrachten über Online-Plattformen organisieren. Umstritten: Fahrer als Logistikmanager Diese Vision war umstritten. Romald Heuvelmanns, Market Supply Chain Director bei Mars, hält es für richtig, den Job des Fahrers aufzuwerten. "Bei uns stellt der Fahrer zum Beispiel einen EPOD (elektronischen Liefernachweis) aus, macht Fotos von Waren, dokumentiert Schäden. Es geht nicht mehr darum, nur Lkw zu fahren, sondern Teil der Supply Chain zu werden." Andere Experten halten die Vision nur für bedingt tauglich. "Ich sehe es kritisch, den Fahrer als Logistikmanager auszubilden", sagte Schniederkötter. Besser sei es, Fahrern durch papierlose Anlieferung und durchgängige Prozesse das Leben zu erleichtern und den Beruf so attraktiver zu machen. Einhellig fiel das Urteil der Logistiker über die Alternative Bahn aus. "Wir würden die Bahn gerne mehr nutzen, wenn wir das entsprechende Angebot und die Leistungsfähigkeit hätten", sagte Heitzer von Rewe. Auch Schniederkötter (Nagel) hat schlechte Erfahrungen gemacht: "Wir versuchten auf der Nord-Süd-Route Trailer auf die Bahn zu bekommen. Die Slots sind nicht frei, um dort Lebensmittel, die zeitkritisch sind, bedienen zu können. Zudem passt die Bahn-Taktung nicht zu den Bestellrhythmen des Handels und der Hersteller." Die Züge kämen zu spät in den Empfangsstationen an, sodass man die Zeitfenster bei der Anlieferung verpasse. Mehr zum Thema im Dossier "Handelslogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Digitaler Palettenschein Mit der Blockchain die Zettelwirtschaft an der Rampe beenden Zu den größten Ärgernissen im Logistikalltag gehören Palettenscheine. Sie auszufüllen, kostet viel Zeit und erzeugt immense Kosten in der Verarbeitung. Schätzungsweise 300 Millionen dieser Papiere werden hierzulande jedes Jahr ausgestellt - und das auch noch in unzähligen Varianten. Diese Zettelwirtschaft soll bald der Vergangenheit angehören: GS1 Germany hat auf dem Handelslogistik-Kongress in Köln ein Pilotprojekt vorgestellt, bei dem Palettenscheine auf Papier durch eine digitale Variante ersetzt werden sollen. Zum Speichern dient eine Blockchain."Es geht um die Erprobung der Technologie an einem konkreten Anwendungsfall", erklärte Regina Haas-Hamannt, Leiterin Innovation bei GS1. Unter anderem sind Beiersdorf, DM-Drogeriemarkt, Kaufland, die Nagel-Group sowie die European Pallet Association (EPAL) an dem Test beteiligt, weitere Unternehmen sind willkommen. Das Projekt soll bis Anfang 2019 abgeschlossen sein.Wichtig: Es geht in dem Projekt nicht darum, einzelne Paletten verfolgbar zu machen (Serialisierung) oder Tracking & Tracing einzuführen, sondern ausschließlich um die Digitalisierung des Palettenscheins. Die Blockchain funktioniert dabei wie eine Art Logbuch: Jeder Vorgang (Palette erhalten, Palette ausgegeben), wird hier digital und fälschungssicher verzeichnet. Dabei werden die Daten nicht zentral gespeichert, sondern auf den Rechnern aller Nutzer abgelegt, jedoch verschlüsselt. So kann jeder nur die eigenen Transaktionen sehen. Die nötige Anwendungssoftware entwickelt der Projektpartner SAP gerade. Die Entwickler hoben auf der Pressekonferenz auf dem Handelslogistik-Kongress hervor, dass es notwendig sei, die Digitalisierung im Ladungsträgermanagement voranzutreiben."Bei uns fallen pro Jahr 54 Millionen Seiten Papier nur für Logistikprozesse an", sagte Christian Grotowsky, IT-Leiter bei dem Großhandelsunternehmen Lekkerland. Man könne sich gut vorstellen, künftig auch Mehrwegbehälter über Blockchain zu verwalten. cg

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