Reformstau lähmt die Grande Nation

Frankreich macht den deutschen Spediteuren derzeit nur wenig Freude. Die Wirtschaft der Grande Nation zeigt sich angeschlagen. Die Einnahmequellen sprudeln nicht so wie gewünscht, weshalb die französische Regierung nach neuen Töpfen Ausschau hält, um das Staatsdefizit zu begrenzen. Ein Hin und Her um die LKW-Maut Zum Leidwesen so mancher deutscher Spediteure. "Die Diskussionen, speziell über die sogenannte Eco-Taxe oder Transitsteuer, sorgen im Markt nicht gerade für Planungssicherheit", klagt Matthias Koehler von der Spedition Engemann & Co aus Hilden. Das sehen auch andere Logistikdienstleister, die im Frankreichverkehr tätig sind, so. Viele haben aufgehört, sich über angekündigte Gesetzesänderungen Gedanken zu machen und warten nun einfach ab, was tatsächlich umgesetzt wird. Das Hin und Her um die geplante LKW-Maut dauert schon seit 2009 an. Damals wollte die Regierung Transporteure auch auf den National- und Landstraßen zur Kasse bitten. Im Frühjahr 2011 kippte ein Gericht das Vorhaben, weil es Fehler bei der Ausschreibung des Mautsystems gab. Im Oktober 2013 veranlassten massive Proteste verschiedener Berufszweige die Regierung, die Eco-Taxe ganz abzublasen. Ersetzt wurde die Idee durch eine Transitsteuer für alle in- und ausländischen LKW über 3,5 Tonnen auf den 4000 Kilometer National- und Landstraßen. Im Oktober musste Umweltministerin Ségolène Royal dann jedoch die "Péage de transit poids lourds (PTPL)" auf "unbestimmte Zeit" verschieben. Zu groß waren die Proteste der Transportverbände. Die großen Branchenverbände TLF, FNTR, Unostra und CSD hatten im Vorfeld angekündigt, Straßen zu blockieren und LKW im Schneckentempo fahren zu lassen. Die gescheiterte Maut/Steuer ist ein Paradebeispiel für die Probleme Frankreichs. Quellen für dringend benötigte Einnahmen des Staates können kaum genutzt werden. Auch dringend benötigte Reformen scheitern regelmäßig am Widerstand mächtiger Verbände oder Gewerkschaften. Um die ursprünglich eingeplanten Einnahmen aus der Maut zu kompensieren, soll als Ausgleich eine Steuer von vier Cent pro Liter Diesel erhoben werden. Harald Kostial, Geschäftsführer des Fürther Frankreich-Spezialisten Kostial Spedition, ist seit fast 30 Jahren im Frankreich-Geschäft tätig. Doch solch eine Verunsicherung habe er bisher noch nicht erlebt. Ob es um die Ökomaut gehe, die neuen Ruhezeitregelungen, die vorschreiben, dass der LKW-Fahrer seine Pausen außerhalb des Fahrzeugs verbringen muss, oder die Vorschrift, dass auf den Rechnungen die CO2-Belastung ausgewiesen werden muss. Wie groß das Chaos teilweise ist, wird an der Pflicht für den Ausweis des CO2-Ausstoßes deutlich: Bis heute gibt es für das Gesetz keine Ausführungsverordnung oder eine einheitliche Berechnungsmethode für den CO2-Ausstoß. Immerhin scheinen die französischen Kontrollbehörden das Problem pragmatisch zu handhaben. Weder bei den Rechnungen noch bei den Ruhezeiten würde derzeit genau hingeschaut, so die Erfahrungen von mehreren Spediteuren. Dabei wäre eine klare Linie auch für die französische Wirtschaft von Vorteil. Das Land kommt seit über zwei Jahren wirtschaftlich nicht vom Fleck. Der neue kranke Mann Europas sorgte kürzlich zwar für eine kleine Überraschung, als das Statistikamt Insee vermeldete, die Wirtschaft sei im dritten Quartal um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen. Denn Wirtschaftsexperten hatten mit einem leichten Rückgang gerechnet. Damit hat Frankreich sogar die Vorzeigewirtschaft Deutschland überholt. Hierzulande legte die Wirtschaft nur um 0,1 Prozent zu. Aufschwung mit Pferdefuß Doch bei aller Freude in Frankreich über dieses Konjunkturplus: Es wird wohl ein einmaliger Ausrutscher bleiben. Denn die "Erholung" basiert zum großen Teil auf statistischen Effekten wie einem erhöhten Lageraufbau und stark steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Rechnet man diese Effekte heraus, ist die Wirtschaft erneut leicht geschrumpft. Der schwache Konsum und die anhaltende Zurückhaltung der Industrie bei Investitionen halten das Land in der Konjunkturflaute fest. Immer deutlicher wird, dass Frankreich eine "Agenda 2020" fehlt. So umstritten die Reformen damals wie heute in Deutschland waren, sie haben die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen deutlich verbessert. Frankreich hat bisher die notwendigen Reformen nicht vorgenommen. Insbesondere die Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist überfällig. Die im Jahr 2000 vom damaligen Premierminister Lionel Jospin eingeführte 35-Stunden-Woche war eines der größten sozialen Geschenke an die arbeitende Bevölkerung. Heute gilt sie als eine der größten Wachstumsbremsen. Nun will der amtierende Wirtschaftsminister Emmanuel Macron Ausnahmeregeln für Firmen und ganze Branchen bei der Arbeitszeit und Bezahlung durchsetzen. Er trifft auf erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. Und ohne die Einwilligung der Arbeitnehmervertretungen geht in Frankreich nichts. Ein weiteres großes Problem ist die über Jahrzehnte praktizierte Zentralisierung, nicht nur in staatlicher Hinsicht. Auch in der Industrie wurden große, staatsnahe Unternehmen stets bevorzugt. Darunter befinden sich zwar durchaus sogenannte Global Leader. Doch in der Breite fehlt ein starker, exportorientierter Mittelstand. Frankreich leidet zudem unter einem sehr starren Arbeitsmarkt und hohen Stundenlöhnen. Die Arbeitsstunde kostet in Frankreich mit 35 Euro genauso viel wie in den traditionellen Hochlohnländern Schweden, Belgien oder Dänemark. In der Industrie schlägt eine Arbeitsstunde sogar mit 36,70 Euro zu Buche. Die deutsche Wirtschaft ist mit 31,70 Euro und 36,29 Euro in der Industrie deutlich wettbewerbsfähiger. Diese Kosten haben auch Folgen für den Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit beträgt 10,2 Prozent und liegt damit sogar etwas höher als der EU-Durchschnitt. Rechnet man nur das französische Kernland, also ohne die Überseegebiete, beträgt die Arbeitslosenquote zwar knapp unter zehn Prozent. Sie ist damit aber immer noch fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Abstufung durch Ratingagentur droht Die Konsequenz: Frankreich belegt in der Rangliste der attraktivsten Wirtschaftsstandorte des World Economic Forum nur noch den 23. Platz. Und es könnte noch schlimmer kommen. Die Ratingagentur Fitch erwägt, die Bonitätsnote der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone von "AA+" herabzustufen. Das würde bedeuten, dass Frankreich mehr für Kredite zahlen müsste. Die Ratingagentur bemängelt die schleppenden Reformen, die nicht ausreichen würden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Bisher glaubt die Regierung noch, sie könne die Wirtschaft durch schuldenfinanzierte Geldspritzen ankurbeln. Dabei liegt die Staatsverschuldung bereits bei 96 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Tendenz steigend. Erst 2017 will die Regierung die Neuverschuldung auf die von der EU erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung senken. Wie verzweifelt die französische Regierung ist, zeigt die jüngste Forderung, dass Deutschland bitte ein 50-Milliarden-Euro schweres Konjunkturprogramm auflegen solle, um die Wirtschaft in den Nachbarländern zu stützen. Anstatt die eigenen Reformen weiter voranzubringen, sollen andere helfen. Immerhin stellt Regierungschef Manuel Valls viele langjährige soziale Wohltaten auf den Prüfstand. Der vergleichsweise frühe Renteneintritt wurde bereits nach hinten verschoben. Die großzügige Unterstützung der Arbeitslosen und der starre Arbeitsmarkt sowie das Arbeitsvertragsrecht sollen reformiert werden. Allerdings gelten in Frankreich auch kleine Schritte schon als große Reformen. Denn der Widerstand der Besitzstandswahrer ist groß. Deren Macht ebenfalls. Flächendeckende Streiks sind häufiger als in Deutschland und werden erbitterter geführt. Dass die momentane Regierung oder gar der ungeliebte Präsident François Hollande harte Reformen durchsetzen kann, ist unwahrscheinlich. Neben den Gewerkschaften verhindert der linke Flügel der sozialistischen Regierungspartei allzu harte Einschnitte in das soziale System. Deutsche Speditionen und Transporteure bekommen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu spüren. Schließlich ist Deutschland mit Abstand der wichtigste Handelspartner Frankreichs. Im vergangenen Jahr lieferten deutsche Firmen Waren und Dienstleistungen im Wert von 100 Milliarden Euro ins Nachbarland, 2,5 Prozent weniger als im Vorjahr. In die Gegenrichtung betrug der Außenhandel 64 Milliarden Euro. Nach Frankreich geliefert wurden vor allem chemische Erzeugnisse, Maschinen und Autos beziehungsweise Kfz-Teile. Diese drei Branchen machen ein gutes Drittel der Handelsbeziehungen aus (siehe Grafik auf dieser Seite). Industrieproduktion bricht ein Doch großer Bedarf an Gütern besteht derzeit nicht. Im vergangenen Jahr sank die Industrieproduktion allein im Automobilbereich um mehr als 12 Prozent. Auch andere Branchen wie der Maschinenbau, das Baugewerbe oder die Nahrungsmittelindustrie mussten Rückgänge zwischen zwei und fast fünf Prozent verkraften. Einzig die stark am Im- und Export beteiligte Chemieindustrie hielt sich mit einem Minus von 0,4 Prozent relativ stabil. Die Branche hat einen Anteil von etwa 14 Prozent an der Gesamteinfuhr und fast 18 Prozent beim Export. In diesem Jahr sind die Aussichten deutlich positiver. Der Dachverband der französischen Chemieindustrie UIC rechnet mit einem Wachstum von 1,4 Prozent. Im kommenden Jahr könnten es schon wieder zwei Prozent sein. Spediteur Kostial sieht vor allem die Unpaarigkeit der Verkehre als wachsendes Problem. Es würden derzeit deutlich mehr Waren nach Frankreich gefahren als von dort nach Deutschland zurück. Das erschwere die Auslastung und erhöhe die Leerfahrten. In jeder Krise steckt auch eine Chance Und Matthias Koehler vom Logistiker Engemann beobachtet, dass die Mengen, die nach Frankreich transportiert werden, eher stagnieren. Engemann fährt hauptsächlich für die chemische Industrie und arbeitet in Frankreich mit verschiedenen Partnern zusammen. Von einem großen Einbruch der Verkehre will auch Patrick Hubert, Geschäftsführer der KTS-Spedition aus Appenweier, nicht sprechen. Sein Unternehmen fährt für Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen täglich über 50 Komplettladungen nach Frankreich. Sicherlich sei es nicht mehr so wie vor ein paar Jahren, dennoch habe das Land nach wie vor einen interessanten Transportmarkt - insbesondere verglichen mit anderen Problemländern wie Spanien oder Italien, so Hubert. "Wir hatten in den vergangenen Jahren sogar Steigerungsraten nach Frankreich", bekennt Massimo Faggin, Geschäftsführer der Mannheimer Spedition Alpensped. Das liege auch daran, dass sich die französischen Speditionen fast ausschließlich auf ihren Heimatmarkt zurückgezogen hätten. Viele deutsche Unternehmen hätten zudem wegen der unrentablen Rückfahrten ihre Frankreichverkehre eingestellt oder zurückgefahren. "Wir haben oftmals Probleme, genügend Fahrzeuge von Deutschland nach Frankreich zu bekommen", sagt Faggin. Das Ungleichgewicht in den Verkehren schlägt auf die Preise durch. Die Frachtkosten von Deutschland nach Frankreich sind mit teilweise über zwei Euro je Kilometer derzeit deutlich höher als in der anderen Richtung (siehe auch Interview unten). Dabei sind es nicht einmal die französischen Spediteure, die versuchen, über Preisabschläge im Geschäft zu bleiben. Vielmehr kämpfen auch die einheimischen Unternehmen mit der Konkurrenz aus Osteuropa. Besserung ist zumindest kurzfristig nicht in Sicht. Als Gegenstrategie überlegt etwa Kostial zusammen mit seinen Kunden, die Lagerhaltung in Frankreich wieder von Zentrallagern hin zu mehr regionalen Lagern umzustellen. "Wir müssen die Spitzenzeiten glätten, um über die Monate hinweg eine bessere Auslastung hinzubekommen", so Kostial. Speditionschef Hubert setzt auf die Neuwahlen in zwei Jahren. Eine neue Regierung könne die Zusammenarbeit mit Deutschland wieder verstärken und einige tatsächlich wirksame Reformen in Gang bringen. Sofern dann die mächtigen Verbände und Gewerkschaften mitspielen. Modal Split der Landverkehrsträger Der LKW: Transportmittel Nummer eins in Frankreich Der Straßentransport leidet besonders unter der wirtschaftlichen Misere in Frankreich. Denn im Warenverkehr zwischen Deutschland und Frankreich spielen weder die Bahn noch das Binnenschiff eine große Rolle. Laut den Zahlen der EU-Kommission entfielen 2012 80,6 Prozent der gesamten Transportleistung in Frankreich auf den LKW. Der Anteil der ausländischen Speditionen am Straßengüterverkehr soll bei etwa einem Drittel liegen.Der Anteil der Eisenbahn im Schienengüterverkehr lag 2012 bei 15, 2 Prozent bezogen auf die Güterverkehrsleistung. Transporte per Binnenschifffahrt machen 4,2 Prozent an der Gesamtverkehrsleistung aus. cd

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