Rastatt-Chaos erhitzt die Gemüter

Das eigens produzierte Video zum Rastatt-Chaos war an Dramatik kaum zu überbieten: die unterlegte Musik durchsetzt mit tiefen Bässen, dröhnenden Beats und dunklen Synthesizer-Tönen. Die Schrifteinblendungen mit weißen Buchstaben auf einem komplett schwarzen Hintergrund gesetzt, von denen sich einige Worte blutrot färben. Das erinnerte an die wirtschaftskritischen Schwarzbücher, die dem Kapitalismus den Untergang vorhersagen. Weltuntergang also für den intermodalen Verkehr? Nein, mitnichten. Auch wenn die Betroffenen sich gegenseitig mit Negativschlagzeilen zu überbieten versuchten. Doch das Eingangsvideo auf der Veranstaltung des Kombi-Operateurs Hupac mit dem Titel "Rastatt: never again" sollte die Konsequenzen verdeutlichen, die mit der Sperrung einer der wichtigsten Schienengüterverkehrstrassen in Europa verbunden war. Der Film sollte eine Warnung sein. Rastatt: Das darf den Bahnen nie wieder passieren. Fatale Folgen für die Supply Chains "Ein defektes Gleis von 150 Meter Länge hat zu einer Krise bei den Supply Chains in Europa geführt", beschrieb Bernhard Kunz, CEO der Hupac-Gruppe, die Auswirkungen, die das Absinken der Schienenstränge auf der Baustelle bei Rastatt hatte. Michail Stahlhut, CEO von SBB Cargo International musste weit zurückblicken, wann sich so etwas zuletzt abgespielt hat: "Seit dem zweiten Weltkrieg hat es einen derartigen Stillstand auf einer der wichtigsten Schienenstrecke in Deutschland nicht mehr gegeben." Die Folge war nicht nur eine deutliche Verringerung der Zugkapazitäten auf dieser Route (siehe Kasten Seite 25). Sondern damit verbunden war auch ein deutlich höherer Einsatz an Lokomotiven und Lokführern sowie große Zeitverluste, da Umwege zum Teil über Frankreich und über nicht elektrifizierte Strecken gefahren werden mussten. Diese Einschränkungen haben zu massiven Problemen bei den Kunden geführt, wie Joep Brekelmans verdeutlichte, Senior Manager Einkauf bei dem Kunststoffproduzenten Sabic. Vor fünf Jahren hat Sabic beschlossen, mehr Transporte im intermodalen Verkehr abzuwickeln. 2015 hatte das Unternehmen bereits 30 Prozent des Transportvolumens in Höhe von einer Million Tonnen auf die Bahn verlagert. 2017 waren es dann schon 36 Prozent. Sein Vorwurf an die Beteiligten bei der Rastatt-Panne: "Wir hatten keinerlei Transparenz, wussten nicht, wo unsere Container waren, geschweige denn, wo sie in den kommenden Tagen sein sollten", sagte Brekelmans. Bei Sabic war täglich ein Team im Einsatz, das nach Lösungen suchte und nach Ausweichmöglichkeiten, um die Ware zu den Kunden zu bringen. "Wir haben viel Zeit und viel Geld investiert, um Lösungen zu finden", sagte Brekelmans. Er forderte die Bahnen auf, stärker europäisch zu denken. Im Baustellenmanagement müssten sich die nationalen Bahngesellschaften besser absprechen, um zu gewährleisten, dass es Ausweichmöglichkeiten gibt und nicht zu viele Baustellen auf einem Korridor zu nicht akzeptablen Verspätungen führen. Unterstützung bekam Brekelmans von Barbara Hoyer, Leiterin Supply Chain Services Europe bei BASF. Hoyer beklagte die vielen Verspätungen, die sich bereits seit dem Frühjahr angesammelt hätten. "Ich habe noch nie so viele Eskalationsgespräche mit unseren Geschäftsführern geführt über die Verluste, die wir beim Umsatz und EBIT aufgrund verspäteter Zulieferungen erlitten haben", sagte Hoyer. Daher lauteten ihre Forderungen an die Bahnen und Operateure: "Wir brauchen Zuverlässigkeit, Zuverlässigkeit und nochmals Zuverlässigkeit." Hupac fordert Millionenbetrag "Ich entschuldige mich für die Unterbrechung. Wir werden alles tun, dass so etwas nicht noch mal passiert." Das waren die ersten Worte von Frank Sennhenn, Vorstandsvorsitzender von DB Netz, auf der Hupac-Veranstaltung. Er kündigte für die Unternehmen, die Verluste aufgrund der Sperrung erlitten hätten, eine Entschädigung an: "Wir befinden uns derzeit in einem Schlichtungsprozess mit unseren Bauunternehmen, um mit ihnen zu klären, wer für die Schäden auf der Baustelle verantwortlich ist." Diese Verhandlungen sollen Mitte kommenden Jahres beendet sein. "Dann sind wir in der Lage, über Haftungsfragen zu reden, wie viel Geld wir den Unternehmen zahlen, die aufgrund der Unterbrechung einen Schaden erlitten haben." Er bat um Verständnis, dass er dazu nicht mehr sagen könne, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Hupac-CEO Kunz sagte gegenüber der VerkehrsRundschau, dass Hupac bereits bei DB Cargo eine Forderung bezüglich Entschädigungen gestellt habe. Er nannte als Summe einen Betrag über zehn Millionen Euro. Hans-Jörg Bertschi, Präsident von Hupac, schlug ein Bonus/Malus-System vor, mit dem den Infrastrukturbetreibern die Verantwortung für ihre Servicequalität übertragen werden sollte. "Wir müssen die Rolle der Infrastrukturbetreiber neu gestalten, wenn wir echte Fortschritte für die Zukunft der intermodalen Logistik erzielen wollen." Auf diese Forderung ging DB-Netz-Chef Sennhenn ein: "Wir befinden uns gerade in Gesprächen mit unseren Nutzern - Güterkunden wie auch den Unternehmen im Personentransport -, wie wir Zeitverluste aufgrund der zahlreichen Baustellen in einem solchen Bonus-/Malus-System berücksichtigen können." Er kündigte an, dass dazu noch im kommenden Jahr ein neues System in Deutschland installiert werden soll. "Derzeit gibt es Überlegungen, dass wir Güterbahnen für jede Minute, die sie aufgrund von Baustellen warten müssen, zwischen 10 Cent und 5 Euro zahlen", gab er bekannt. Mehr zum Thema im Dossier "Kombinierter Verkehr" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Was ist Passiert? Statt 200 Güterzüge pro Tag fuhren nur noch 60 Güterzüge Samstag, 12. August 2017, 11.00 Uhr: In Rastatt ist die Tunnelvortriebsmaschine gerade dabei, die Bahngleise zu unterqueren.Plötzlich dringt Wasser und Erdmaterial in den Tunnel ein. Oberirdisch senkt sich der Boden ab und die Gleise der Rheintalbahn verschieben sich. Die fatalen Folgen: Eine der wichtigsten Güterbahnstrecken in Europa wird umgehend gesperrt. Einzige positive Meldung: Das Absenken wird rechtzeitig bemerkt, sodass kein Zug die defekte Strecke befährt.Zehn Tage später verkündet DB Netz, dass die Bahnstrecke bis zum 7. Oktober gesperrt bleibt. Dann gehen die Bauarbeiten doch schneller voran und am 1. Oktober, sieben Wochen nach der Sperrung, ist die Strecke wieder befahrbar. Für die Bahnen, die Operateure, die Spediteure und die Industrie hatte die Sperrung fatale Folgen. Nach Aussage von Michail Stahlhut, CEO von SBB Cargo International, fuhren auf der Strecke vor der Unterbrechung in Spitzenzeiten 200 Güterzüge täglich, davon 60 Prozent im Kombinierten Verkehr (KV). Nach der Sperrung konnten lediglich 60 Güterzüge pro Tag auf den Umleitungsstrecken durchgeschleust werden, davon nur 30 Prozent im KV.cd

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