Punktlandung in den USA

Die Zeit drängt: Die Blaubeeren, frisch aus Südamerika am Flughafen Miami angekommen, müssen schnellstmöglich entladen und im Kühlhaus zwischengelagert werden. Von dort aus transportieren Lkw die Früchte zu den Mega-Supermärkten der Kette Wal-Mart in den ganzen Vereinigten Staaten. Bei dieser logistischen Punktlandung hilft auch ein deutsches Unternehmen: Hellmann Worldwide Logistics aus Osnabrück. Die US-Tochter des Familienunternehmens organisiert schon seit einigen Jahren die Frischelogistik für den Handelsriesen Wal-Mart. Als Third Party Logistics Provider (3PL) koordiniert Hellmann sowohl die Luftfrachtabwicklung als auch den Straßentransport und betreibt das nötige Kühllager. Deutsche Logistiker unter den Top 20 Deutsche Logistik in den Vereinigten Staaten - das ist keine Seltenheit mehr. Während andere Branchen fest in der Hand von einheimischen Firmen sind, tummelt sich in der Logistik reichlich ausländische Konkurrenz. Deutsche Größen wie DB Schenker rangieren in den USA unter den Top 20 der Logistikanbieter (gemessen am Umsatz), die DHL-Tochter Exel belegt sogar Platz sechs. Woher kommt das? "Die Europäer haben als Erste global gedacht", sagt Michael K. Claus, Managing Director von Hellmann in den USA. Die Osnabrücker haben ihre Niederlassung in Miami schon in den 1980er-Jahren eröffnet - lange bevor die meisten US-Konkurrenten den Weltmarkt im Blick hatten. Dieser frühe Start habe sich ausgezahlt, sagt Claus. Zudem bringen die Dienstleister aus der Alten Welt etwas mit, das rein amerikanische Player nicht bieten können: ein etabliertes Netz in der Europäischen Union (EU), die mit 507 Millionen Einwohnern bevölkerungsreicher ist als die USA (321 Millionen Einwohner). Derzeit versuchen die europäischen Logistiker fieberhaft, ihre Position in Nordamerika auszubauen. So kündigte Ende Juni Kühne + Nagel an, den Dienstleister ReTrans zu übernehmen, der auf multimodale Transporte spezialisiert ist. Das US-Unternehmen mit Sitz im Memphis hat 300 Mitarbeiter und macht 500 Millionen US-Dollar Umsatz. Und es zeichnet sich ab, dass dies nicht der letzte Zukauf eines europäischen Anbieters war. "Akquisitionen sind ein Teil der langfristigen Wachstumsstrategie", sagt Frank Günzerodt, President & CEO von Dachser USA. Geplant sei, durch Zukäufe die Präsenz an der Westküste zu stärken. Viele Amerikaner verbinden mit Deutschland zwar immer noch Tugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, auf Geschäftsentscheidungen haben diese Klischees jedoch kaum Auswirkungen. Nur "Made in Germany" zu bieten, reicht nicht. "Wir werden eigentlich nicht als deutsches Unternehmen wahrgenommen", so Hellmann-Manager Claus. "Unser Pluspunkt ist weniger die Herkunft und mehr, dass wir ein Familienunternehmen sind." Hintergrund: In den USA sind wesentlich mehr Firmen börsennotiert und unterliegen dem Druck, Quartal für Quartal positive Ergebnisse zu liefern. Da sticht ein Inhaberunternehmen, das langfristig agiert, heraus. Dienstleister, die sich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten erschließen wollen, müssen indes umdenken. Denn das Logistikbusiness läuft jenseits des Atlantiks anders. Das fängt mit der Auftragsvergabe an: Während in Deutschland noch viele Geschäfte über persönliche Kontakte zustande kommen, setzen US-Kunden meist auf elektronische Abläufe. Der Auftrag wird selbstverständlich online ausgeschrieben, die Dienstleister können ihr Gebot abgeben - und ein Algorithmus wählt die besten aus; entscheidend ist dabei meist nur der Preis. "Erst danach beginnen die persönlichen Gespräche und man kann sein Konzept präsentieren", weiß Claus. Gelingt es einem Dienstleister, einen Fuß in die Tür zu bekommen, eröffnen sich dafür umso bessere Geschäftsmöglichkeiten. Denn amerikanische Firmen sind tendenziell bereit, größere Teile der Supply Chain an Dritte auszulagern. "Der US-Kunde sieht den Logistikprovider als Partner an, der alles macht", betont Dachser-Amerikachef Günzerodt. Tatsächlich ist es in den USA eher selten, dass sich Firmen noch eine eigene Logistikabteilung leisten. Man verlässt sich lieber auf einen Full-Service-Dienstleister. Und der muss einiges bieten: Bestellmanagement, Lagerdienstleistungen, Distribution von Produkten, Warenumverpackung und vieles mehr. "Die Kunden geben uns die Einkaufsdaten und erwarten, dass wir den Rest erledigen", fasst Günzerodt zusammen. Nur wer diesen Rundum-Service bieten kann, hat in Nordamerika Chancen. "Mit reiner See- oder Luftfracht verdienen Sie in den USA nichts, sondern nur mit Mehrwertdiensten", sagt Claus. Ein Beispiel zeigt, wie das Full-Service-Geschäft funktionieren kann: Panalpina übernimmt in den USA für Mobilfunkprovider einige Produktionsschritte. Will ein Netzbetreiber eine neue Basisstation einrichten, übermittelt er diese Order an Panalpina. Der Logistikdienstleister beschafft daraufhin die nötigen Hardwarekomponenten bei den Herstellern, baut sie zusammen, spielt die jeweils aktuelle Software auf und transportiert alles an den geplanten Standort des Funkmastes. "Der nächste Schritt wäre, auch die Installation zu übernehmen", erklärt Rick Jordon, Regionalleiter Logistik bei Panalpina in den USA. Umfassende Leistungen erbringen die Schweizer auch für einige Luxusmodemarken. Über New York oder Philadelphia wird die Ware aus Europa eingeflogen, dann unter anderem mit Sicherheitsetiketten versehen und an die Läden geliefert - auf Wunsch zwei Mal pro Tag. US-Verlader sind wechselfreudig US-Firmen erwarten aber nicht nur, alles aus einer Hand zu bekommen, sondern sind insgesamt anspruchsvoll. "Die Anforderungen an die Visibility (übers.: Sichtbarkeit) sind hoch", sagt Claus. Sprich: Der Kunde will in seinem IT-System sehen, wo sich die Ware oder Lieferung gerade befindet. Und diese Daten muss der Logistiker bereitstellen, am besten in Echtzeit. Nicht umsonst wurde die RFID-Technik in den USA durch Wal-Mart erstmals in der Breite ausgerollt. Gerade US-Einzelhändler legen die Latte in Sachen Visibility hoch, weil die Käufer durch die Konkurrenz von Amazon & Co. verwöhnt sind, was Tempo und Informationen angeht. "Die Kunden-Erwartungen sind explodiert", bestätigt Panalpina-Mann Jordon, "das hat den Job stressiger gemacht". Ein weiterer Faktor, der das Geschäft zwischen New York und Los Angeles erschwert, ist die Wechselfreudigkeit der Verlader. Bietet ein anderer Dienstleister günstigere Raten, wird nicht selten kurzfristig gewechselt. Ähnlich flink verlagern US-Betriebe ihre Produktion, was es dem Logistiker oft schwer macht, an einem Standort Investitionen zu planen, etwa in Automatisierungstechnik. Lkw-Fahrer bleiben Sorgenkind Was den Dienstleistern derzeit Sorgen macht, ist - ähnlich wie in Deutschland - der extreme Fahrermangel. Ausgelöst wurde die Knappheit vor allem durch eine neue Sicherheitsbestimmung: Wer hinter das Steuer eines der berühmten Hauber-Boliden will, muss mittlerweile ein tadelloses Führungszeugnis vorweisen und diverse Hintergrundchecks überstehen. Vorbei die Zeiten, in denen Spediteure auch zweifelhafte Existenzen für Nachtfahrten anheuerten. Die Folgen des Fahrermangels sind in den USA überall sichtbar: Kaum ein Truck, auf dessen Rückwand nicht "Drivers Wanted" (Fahrer gesucht) steht. Teilweise bewerben die Spediteure sogar gleich die Verdienstmöglichkeiten mit. Truckern, die mit eigenem Fahrzeug unterwegs sind (Fachwort: Owner Operator), werden dann zum Beispiel 36 Cent pro Meile versprochen; angestellte Fahrer werden mit 28 Cent gelockt. Letzteres entspricht einem Lohn von rund 0,15 Euro pro Kilometer. Bei 3500 Kilometern pro Woche (eine typische Fahrleistung) ergibt sich so ein Monatslohn von rund 2000 Euro. Doch auch solche, für US-Verhältnisse ordentliche Löhne locken nicht genug Fahrer an. Die Zeichen stehen auf Wachstum Grundsätzlich stehen die Zeichen in der US-Logistik aber auf Wachstum, vor allem im internationalen Geschäft. Das Verkehrsministerium in Washington rechnet bis 2040 mit einem Plus von 137 Prozent. Aber auch innerhalb des nordamerikanischen Kontinents wächst die Transportnachfrage, getrieben durch den Trend zum sogenannten "Nearshoring": Immer mehr Unternehmen lassen ihre Produktion nicht mehr in China erledigen, sondern im nahen Mexiko oder in Mittelamerika, weil so Zölle und Transportkosten sinken. Dienstleister spüren diesen Umschwung bereits. "Die Nord-Süd-Verkehre nehmen zu", berichtet Günzerodt von Dachser. Bleibt die Frage: Lohnt es sich für deutsche Logistiker überhaupt noch, jetzt in den Markt einzusteigen? "Es ist nie zu spät", findet Claus, der für Hellmann das USA-Geschäft mit aufgebaut hat. Dachser-Amerikachef Günzerodt ist vorsichtiger: "Von Null anzufangen ist allein aufgrund der Größe des Markts schwierig." Entscheidend sei, über ausreichend Standorte und das richtige Team zu verfügen. "Ohne Zukäufe ist das kaum möglich." Mehr zum Thema im Dossier USA und Kanada www.verkehrsrundschau.de/dossiers Seefracht Nadelöhr an der Küste: Wie der Stau an den US-Häfen die Logistik ausbremst Die Pommes Frites werden rationiert - das verkündeten japanische Filialen von McDonald's Anfang des Jahres. Der Grund lag 9000 Kilometer entfernt: In 29 Häfen an der US-Westküste waren die Mitarbeiter in einen Bummelstreik getreten. Schiffe mussten mitunter wochenlang auf Entladung warten. Deshalb konnten auch die Pommes für Nippon nicht rechtzeitig den Hafen verlassen. Vor allem der Stillstand in Los Angeles und Long Beach, wo 40 Prozent der US-Importe umgeschlagen werden, war für viele Firmen desaströs - auch in Deutschland. Reedereien wie Hapag Lloyd mussten Transporte absagen und Umsatzeinbußen hinnehmen.Der Streik ist zwar mittlerweile beendet, doch er hat ein Schlaglicht auf ein großes Problem geworfen: Die US-Häfen stellen ein logistisches Nadelöhr dar. Und nächstes Jahr könnte die Lage noch schwieriger werden: Dann ist der Ausbau des Panama-Kanals abgeschlossen und Containerschiffe, die zweieinhalb Mal so groß wie die derzeitige Panamax-Klasse sind, werden US-Häfen ansteuern. Oder eben auch nicht, denn nur sieben der 44 Häfen an Atlantik und Golf von Mexiko sind tief genug für die Container-Giganten. Vielerorts wird zwar fieberhaft das Hafenbecken ausgehoben, doch es fehlt an Schwimmbaggern, Kränen, Gleisanschlüssen und Abstellflächen für Container. Experten gehen davon aus, dass etliche Häfen bis 2016 nicht mit den Vertiefungsarbeiten fertig werden. Lediglich einzelne Häfen wie Norfolk, New York und Jacksonville sind auf die neue Panama-Klasse vorbereitet. Die restlichen XL-Containerschiffe müssen weiterhin die Westküste ansteuern - neue Engpässe erscheinen unvermeidlich. cg