Produktoffensive und Zukunftsprojekte

Im ersten Halbjahr waren 84,5 Prozent der neu zugelassenen Nutzfahrzeuge Kleintransporter. Nicht zuletzt dank E-Commerce und KEP-Diensten stehen die Fahrzeuge, für die Sie verantwortlich sind, bei B2B-Kunden hoch im Kurs. Verändert das den Markt? Wir erleben durch E-Commerce - dazu gehört auch E-Grocery - enorme Wachstumsraten. Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten. So etwas greifen wir mit Begeisterung auf. Unsere Fahrzeuge werden zukünftig ein Teil des Internets der Dinge sein. Für den Disponenten werden sie eine Informationsplattform darstellen, für den Fahrer werden sie zum Assistenten werden, der ihn in allen seinen Belangen unterstützt. Und für den Endkunden werden wir zum Informanten. Der Juni war der 22. Monat mit Wachstum für diese Fahrzeuge. Geht das so weiter? Für dieses Jahr sehe ich das so. Ob es weiterhin auf diesem Niveau sein wird, weiß ich nicht. Wir erleben in diesem Geschäft keinen kontinuierlichen Verlauf, sondern zyklische Verläufe. Bei den KEP-Fahrzeugen und dem Thema Innenstadtbelieferung fällt auch immer wieder das Stichwort alternative Antriebe. Wie ist die Politik von Mercedes-Benz Vans? Wir waren die Ersten, die 2010 den rein elektrischen Antrieb als Serienprodukt auf den Markt gebracht haben. Das elektrische Fahren ist für den Innenstadtverkehr prädestiniert. Was wir aber erkennen mussten, ist, dass die Kunden sich mit dem Elektroantrieb schwergetan haben. Es gab gewisse Vorbehalte, sich auf diese Technologie einzulassen. Deswegen waren wir in Summe nicht so erfolgreich, wie wir uns das vorgenommen hatten. Bei den Total Cost of Ownership konnte so ein Konzept auch nicht mit dem auf Top-Niveau entwickelten System der Verbrennungsmotoren mithalten. Daran haben wir in den letzten Jahren sehr viel gearbeitet. Ich glaube trotzdem, dass der Elektroantrieb kommen wird - gerade in den Innenstädten. Der KEP-Bereich ist nicht von großen Margen geprägt. Haben Sie hier mit Ihren hochpreisigen Produkten Probleme? Auf der einen Seite haben Sie recht, die Margen sind in diesem Geschäft sehr gering. Auf der anderen Seite bieten sich Potenziale, die gesamte KEP-Prozesskette zu optimieren. Über die enormen Stückzahlen, die dahinter stecken, zeigen selbst kleine Verbesserungsschritte eine große Wirkung. An diesen Themen arbeiten wir aktiv. Für viele große Flotten ist es auch wichtig, dem Kunden gegenüber zu zeigen: Ich liefere Dir Deine Pakete mit einem soliden Premiumprodukt. Stichwort neuer Sprinter ... Können Sie uns dazu etwas sagen? (lacht) Guter Versuch. Wir haben hier klare Vorstellungen und sind in der Umsetzung, keine Frage. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen. Können Sie schon sagen, wann Sie das Fahrzeug vorstellen? Auch da möchte ich jetzt nicht mit einer Botschaft in den Markt gehen. Am Ende wollen wir auch unsere Wettbewerber ein wenig überraschen. Positiv kann ich festhalten, wir haben mit dem aktuellen Sprinter ein sehr junges Produkt im Markt. Mit unserem großen Transporter gestalten wir seit 20 Jahren das Segment und haben diesem sogar den Namen gegeben. Etwas wird "gesprintert" - das ist ja mittlerweile ein geflügeltes Wort. Und: Wir hatten letztes Jahr mit 186.000 Einheiten weltweit unser bestes Ergebnis überhaupt. Sie verlegen die Sprinter-Produktion für den US-amerikanischen Markt von Düsseldorf nach Charleston, South Carolina. In Düsseldorf werden ab nächstem Jahr außerdem keine VW Crafter mehr gebaut. Wie fangen Sie das auf? Wir sind der einzige Hersteller, der seine großen Transporter in Deutschland produziert. Daran halten wir fest. Wir stehen absolut zum Produktionsstandort Deutschland. Wir investieren in unsere zwei deutschen Werke 450 Millionen Euro. Ein großes Wachstum sehen wir in den USA. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Einheiten für diesen Markt in Zukunft auch in Charleston im Staat South Carolina zu produzieren. Dadurch entfallen künftig unter anderem die vorhandenen Zollbarrieren und langen Lieferzeiten. Zehn Prozent der rund 6500 Stellen in Düsseldorf sollen gestrichen werden? Wir werden über einen längeren Zeitraum hinweg 650 Stellen sozialverträglich und durch normale Fluktuation reduzieren. Düsseldorf wird zum Kompetenzzentrum für den Sprinter werden. Es wird andere Werke federführend unterstützen, beispielsweise wenn es darum geht, die künftigen Produktanläufe zu steuern. Wann soll die Produktion in den USA starten und welche Kapazitäten sind dort geplant? Die Fabrik wird in Verbindung mit dem neuen Sprinter anlaufen. Die Kapazität werden wir so einrichten, dass wir das Werk ein Stück weit skalierbar darstellen können. Natürlich fangen wir erst einmal kleiner an. Wir können dann sukzessive je nach Marktanforderung wachsen. Sie haben den Sprinter in den USA anfangs über die Daimler-Lkw-Tochter Freightliner verkauft. Jetzt läuft er unter Mercedes-Benz. Wir verkaufen den Sprinter heute sowohl unter der Marke Freightliner als auch unter Mercedes-Benz. Vor elf Jahren haben wir den Sprinter über Freightliner in den USA eingeführt. Seit 2010 ist er auch unter der Marke Mercedes-Benz sehr erfolgreich unterwegs. Inzwischen verkaufen fast 300 Händler in den USA unser Produkt. In diesem Monat führen wir unter Mercedes-Benz außerdem den Vito in den USA ein - unter dem Namen Metris. Die ersten Rückmeldungen und Vorbestellungen nach der Präsentation stimmen uns sehr positiv. Sie haben die V-Klasse vor dem Vito entwickelt. Hat er davon profitiert? Im Produktentstehungsprozess haben wir uns entschieden, künftig zwei Produkte auszuliefern. Die V-Klasse ist klar auf den Pkw-Kunden ausgerichtet. Mit der V-Klasse haben wir einen sensationellen Erfolg erzielt, wir kommen mit der Produktion kaum hinterher. Daneben wollten wir natürlich auch die kommerzielle Seite mit dem Vito bedienen, der auch sehr gut angelaufen ist. Natürlich profitiert der Vito von gewissen Vorzügen der V-Klasse. Welche Themen sind das? Der Vito hat auf diese Weise zusätzliche Fahrer-Assistenzsysteme wie den Einparkassistenten erhalten. Weiter profitiert er durch Sonderausstattungen, die wir im gewerblichen Bereich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht realisieren könnten. Zum Beispiel gibt es das Intelligent Light System mit LED Scheinwerfer oder Colorverglasung im Fond beim Vito Tourer - um nur zwei zu nennen. Den Vito gibt es auch mit Allradantrieb. Wie wird der nachgefragt? Sehr gut. Wir können die Nachfrage kaum bedienen. Übrigens hat der Vito auch hier von der V-Klasse profitiert und unser aktuelles Mercedes-Benz-Pkw-Allrad-System übernommen. Sie sehen dem Fahrzeug nicht an, dass es einen Allradantrieb hat. Das war beim Vorgängermodell nicht der Fall. Damals war die Ladekante ein Stück höher. Sie kooperieren mit Renault und Nissan. Werden Sie die Zusammenarbeit verstärken? Da sind wir ganz pragmatisch unterwegs. Wo es vernünftige Anknüpfungspunkte gibt, entwickeln wir Dinge gemeinsam. Wo es für keinen von uns einen Vorteil gibt, lassen wir das. Natürlich ist am Ende auch wichtig, welche Vorteile für den Kunden entstehen. Zum Beispiel? Zum Beispiel, wenn ich den Vito ansehe, beim Vorderradantrieb. Das Aggregat haben wir gemeinsam mit Renault entwickelt. Dadurch realisieren wir höhere Stückzahlen und haben so die Chance auf geringere Kosten. Das geben wir dann an den Kunden weiter. Und der Kunde kann heute zwischen Vorder-, Hinter- und Allradantrieb im Vito wählen. Das kann er in diesem Segment bei sonst keinem Wettbewerber. Sie wollen bei dem Pick-Up, der das Produktportfolio ab 2016 erweitern soll, mit Renault-Nissan kooperieren. Das Fahrzeug soll auf Basis des Nissan NP300 gebaut werden? Das ist richtig. Wir werden einen Mid-Size- Pick-up mit ganz eigener Mercedes-Benz- Charakteristik bauen. Das haben wir im März angekündigt und viele damit überrascht. Mittlerweile konnten wir mit den Kunden schon Details wie die Fahrzeugausprägung verproben. Die Rückmeldungen sind sehr positiv, sowohl aus der Presse als auch aus den verschiedenen Märkten, in denen wir das Fahrzeug vertreiben wollen. Wir arbeiten momentan intensiv daran, dieses Produkt perfekt zu entwickeln. Auf welchen Märkten werden Sie mit dem Pick-up antreten? Die Hochburgen für einen Mid-Size Pick-up liegen in Lateinamerika. Wir gehen mit dem Fahrzeug auch nach Australien, nach Südafrika. Auch in Europa gibt es Bedarfe für so ein Fahrzeug. Sie werden mit ihrem Pick-up in den Bereich des VW Amarok vordringen? Ja, im Mid-Size-Segment. Dort ist außerdem der Ford Ranger platziert, der Toyota Hilux, die GM-Gruppe hat gerade in den USA zwei Fahrzeuge vorgestellt, der Nissan Navara -das sind die Wettbewerber, die im Spiel sind. Wollen Sie mit dem Fahrzeug in die USA? Das ist nicht entschieden. Wir untersuchen das aktuell. Hyundai hat mit dem H 350 im vergangenen Jahr einen Transporter vorgestellt. Wird den Koreanern im Nutzfahrzeugbereich dasselbe gelingen wie beim Pkw? Wir nehmen diese Konkurrenz natürlich ernst. Wir werden uns das Fahrzeug, wenn es verfügbar ist, genau ansehen. Bisher kamen uns bei dem H 350 etliche Themen relativ bekannt vor, um es vorsichtig auszudrücken. Da sieht man auch, wie wir mit dem Sprinter und dem Vito einen Benchmark setzen. Es gibt noch andere Unternehmen, die sich verstärkt auf den Transporter-Markt konzentrieren, Opel beispielsweise. Die Hersteller haben erkannt, dass es zwischen Pkw und Lkw noch etwas gibt. Wir haben das bei Mercedes-Benz zum Glück sehr, sehr früh realisiert und sind in das Transportergeschäft eingestiegen. Die anderen OEM haben nachgezogen oder sind dabei. Der Transportermarkt ist ein Zukunftsgeschäft mit guten Wachstumsraten. Sie müssen die Trends frühzeitig erkennen und dann nachhaltig mit großer Innovationskraft, die wir haben, die Produkte weiter nach vorne treiben. Dann haben Sie auch eine gute Chance, immer ganz vorne zu stehen. Wie entwickelt sich der Hochdachkombi Citan, den Sie im Spätsommer 2012 eingeführt haben? Wir sind sehr zufrieden. Das Segment war für uns neu. In Deutschland haben wir mittlerweile einen Marktanteil von sechs bis sieben Prozent erreicht. Das ist hervorragend. Der Citan rundet unser Portfolio ab. Gerade im Expressbereich reicht oft so ein kleines Fahrzeug. Viele Sprinter- und Vito-Kunden, die früher zum Wettbewerb ausweichen mussten, können wir jetzt mit dem Citan bedienen. Sie haben kürzlich Ihr neues Vertriebskonzept für gebrauchte Transporter und Vans vorgestellt, Stichwort "junge Sterne". Was erwarten Sie hiervon? Unser Pkw-Bereich ist mit der Zweitvermarktung seiner Fahrzeuge sehr erfolgreich. Wir haben uns damit auch auseinandergesetzt und gehen jetzt daran, das weiter zu professionalisieren. Die Bedeutung des Gebrauchtwagengeschäfts im B2B-Bereich ist für Sie hoch? Keine Frage. Wir gewinnen durch dieses Geschäft weitere Kunden dazu, die mit einem Gebrauchtfahrzeug anfangen, aber morgen dann ein neues Fahrzeug kaufen. Wenn wir die Zweitvermarktung stärker übernehmen, haben wir die Chance, die Kunden länger bei unserer Marke zu halten, auch was den Service anbelangt. Sie haben vergangenes Jahr 294.600 Einheiten abgesetzt und einen Umsatz von zehn Milliarden Euro erzielt. Das EBIT lag acht Prozent höher als 2013. Wie ist der Forecast für 2015? Wir nennen keine direkten Werte. Aber durch die Tatsache, dass manche Märkte stabil wachsen, beispielsweise Europa, Deutschland, USA, werden wir auch dieses Jahr gute Zahlen vorweisen. Wir können beim Absatz sicher die 300.000er Grenze knacken. Das ist unser klares Ziel. Sie sind ein echtes Daimler-Gewächs. Seit fünf Jahren leiten Sie den Van-Bereich. Davor waren Sie bei AMG. War es damals nicht schwierig, weg von den sportlichen Fahrzeugen, hin zu den"Keksdosen"? Chef von AMG zu sein war für mich ein Lebenstraum, der sich erfüllt hat. Es waren tolle fünf Jahre. Ich möchte keine Stunde davon missen. Auf der anderen Seite reizen dann auch wieder neue Themen. Die waren bei Mercedes-Benz Vans gegeben. Ich kann hier auf der Unternehmens- und Produktstrategie-Seite mit dem Team viel bewegen. Wir haben unsere Produktoffensive voll umgesetzt und mit dem Citan, dem aktuellen Sprinter, der V-Klasse und dem Vito super Fahrzeuge auf die Straße gebracht. Da ist viel passiert. Auch diese fünf Jahre möchte ich keinesfalls missen. Und es bleibt spannend: Der global ausgerichtete Mercedes-Benz Pick-up ist nur eines von vielen Zukunftsprojekten, an denen wir aktuell arbeiten. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Transporter www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Volker Mornhinweg Der 55-Jährige ist seit April 2010 Leiter des Geschäftsbereichs Mercedes-Benz Vans als Executive Vice President. Davor führte er 4,5 Jahre lang die Mercedes-AMG, Affalterbach. Der V-Klasse-Fahrer hat eine Ausbildung zum Maschinenbauschlosser im Werk Sindelfingen bei Mercedes-Benz abgeschlossen, bevor er an der FH Esslingen mit dem Studium der Feinwerktechnik begann. Nach seinem Abschluss war er als Ingenieur in verschiedenen Bereichen in Sindelfingen tätig. Von 2000 bis 2002 war Mornhinweg weltweit für die Planungsprozesse aller Mercedes-Benz-Montagewerke verantwortlich. Anschließend wurde er Werkleiter in Berlin. Von 2003 bis 2005 arbeitete er als Vice President in der Human Resources Business Unit und war für die weltweite Führungskräfte-Entwicklung verantwortlich. bb

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