München. Die Zustellung von bestellter Ware in einem frei wählbaren Zwei-Stunden-Zeitfenster oder gar in der ersten Stunde nach der Bestellung ist eine Vorstellung, die logistikbegeisterte Redakteure in Euphorie versetzt. Genau so einen Service bietet Amazon seit der vergangenen Woche in München an: „Prime Now“ heißt das neue Schnelllieferangebot, das genau diese Vorzüge verspricht. Laut Amazon steht der Service allen Prime-Kunden zur Verfügung, die in einem festgelegten Postleitzahlengebiet wohnen und für mindestens 20 Euro bestellen. Wer die Lieferung tatsächlich innerhalb der ersten Stunde haben möchte, muss einen Aufpreis von 6,99 Euro bezahlen, bei der Auswahl eines Zwei-Stunden-Fensters am gleichen Tag ist die Lieferung kostenlos. Doch kann Amazon sein Werbeversprechen auch in der Praxis einhalten? Die VerkehrsRundschau machte den Test.
Zunächst installieren sich VerkehrsRundschau-Redakteurin Stefanie Nonnenmann und der ehemalige VerkehrsRundschau-Mitarbeiter Tobias Rauser die für die Nutzung nötige App auf ihren Smartphones. Bei Stefanie klappt dies trotz älterem Gerät reibungslos, während Tobias die Anwendung auf seinem privaten Telefon nicht starten kann und erst beim Diensthandy den gewünschten Erfolg hat. Beide geben ihre Bestellung auf. Stefanie, die in einer Münchner Umlandgemeinde rund 20 Kilometer außerhalb der Stadt wohnt, bestellt am Freitagmorgen gegen 10 Uhr ein TENS-Reizstrom-Gerät gegen schmerzhafte Muskelverspannungen und wählt für die Lieferung den Zeitraum zwischen 16 und 18 Uhr aus. Tobias, dessen Wohnung sich nur wenige Kilometer von der Münchner Amazon-Station in der „Neuen Hopfenpost“ entfernt befindet, stellt sich gegen 17.30 Uhr eine leckere Brotzeit mit frischem Brot, Tomaten, Gurken zusammen und hofft darauf, die Zustelloption innerhalb der ersten Stunde wählen zu können – vergeblich. Diese Möglichkeit wird keinem der beiden Tester angeboten. Zum Glück erscheint ihm das Zeitfenster zwischen 20 und 22 Uhr auch passend. Das Abendessen muss also noch ein wenig warten.
Sendungsverfolgung per Smartphone
Der Bestellvorgang über die App funktioniert problemlos, allerdings vermissen beide Redakteure die Möglichkeit, die Auswahl statt am Smartphone auch am PC treffen zu können. Dies würde den Nutzerkomfort erhöhen. Und dann ist auch erst einmal Warten angesagt. Gegen 15:30 Uhr meldet Stefanies Smartphone eine Statusänderung: Die Ware hat sich in München auf den Weg gemacht. Über eine interaktive Karte kann Stefanie genau verfolgen, wo sich ihr Paket gerade befindet – es verlässt langsam München und bewegt sich mit Palem – so heißt ihr Kurier, teilt Amazon mit – auf die Autobahn A 8. Jetzt verschickt die Anwendung auch noch eine zusätzliche SMS: „Ihre Amazon Prime Bestellung wird bald eintreffen. Verfolgen Sie sie!“, wird sie aufgefordert und hat die Möglichkeit, über einen direkten Link zur Sendungsverfolgung zu gelangen. Während Stefanie gebannt auf den Punkt blickt, mit dem sie den Verlauf ihrer Sendung beobachten kann, kann Tobias einige Stunden diesen Service nicht nutzen: Sein Link funktioniert nicht.
Langsam geht es auf 16 Uhr zu, Palem bewegt sich immer weiter zur angegebenen Adresse. Stefanie wartet schon gespannt darauf, dass es klingelt und sieht in der App, dass die Zustellung unmittelbar bevorsteht – doch dann fährt Palem an ihrer Straße vorbei. Was nun? Nur wenige Sekunden hat er offenbar seinen Fehler bemerkt und dreht um. Doch wird er auch das richtige Haus finden? Offenbar ist dies für ihn nicht ganz einfach, denn der Punkt in der App irrt noch einige Minuten durch den benachbarten Park. Doch schon um 16:05 Uhr ist es soweit: Die Ware wird erfolgreich zugestellt, Stefanie freut sich. Wie von Amazon angekündigt, ist das Produkt lediglich in einer Papiertüte verpackt. Das reicht für den Transport und schont die Umwelt.
Eingeschränkte Produktauswahl
Für Tobias beginnt nun das Warten auf seine Lieferung. Da sein Link zur Sendungsverfolgung nicht funktioniert, muss er gespannt abwarten, wann seine Ware kommt – und das tut sie um kurz nach 21 Uhr, also mitten drin im ausgewählten Zeitfenster. Vor allem das frische Brot eines örtlichen Bäckers begeistert ihn – auch, wenn es nicht geschnitten ist. Gar nicht gefällt ihm hingegen, dass alle Obst- und Gemüsesorten noch einmal separat in Plastik verpackt sind, dies sei bei Lieferungen von Rewe, seinem bevorzugten Online-Lebensmittellieferanten – nicht der Fall. Tobias bemängelt ferner die noch sehr beschränkte Auswahl im Lebensmittelangebot. So seien zum Beispiel beim Mineralwasser nur teure Premiummarken verfügbar, während Rewe online auch günstige Eigenmarken anbiete. Und noch einen Nachteil hat Amazon gegenüber Rewe: Leere Pfandflaschen werden hier anders als bei der Supermarktkette nicht wieder mit zurückgenommen, darum muss sich der Kunde selber kümmern.
Am Ende des Tages können beide Redakteure ihr Fazit ihrer ersten „Prime Now“-Bestellung ziehen. Bei Stefanie hat alles reibungslos funktioniert, die Ware wurde pünktlich zugestellt, der Bestellprozess verlief ohne jede Beanstandung. Nur das ökologische Gewissen plagt sie: Ist es wirklich nötig, dass ein Fahrer extra für sie die lange Strecke für einen Artikel fährt, dessen Zustellung am nächsten Tag auch vollkommen ausreichend gewesen wäre? In der Innenstadt nutzen die Zusteller teilweise Lastenfahrräder. Für große Distanzen ins Umland ist dies natürlich keine Option. Tobias hat seine Ware ebenfalls im gebuchten Zeitfenster pünktlich erhalten. Dennoch will er für Lebensmittelbestellungen Rewe-Kunde bleiben – seiner Ansicht nach gibt es bei Amazon Prime Now noch zu wenige Produkte. (sno)