ÖBB sehen viel Potenzial in Deutschland

Da kann doch etwas nicht mit rechten Dingen zugehen: eine Bahn, die schwarze Zahlen schreibt? Was in anderen Branchen das Normalste der Welt ist, scheint bei den Staatsbahnen ungewöhnlich zu sein. Wie sonst soll man die Aussage von Christian Kern bei der Präsentation der Jahresbilanz der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) interpretieren: Die positiven Zahlen seien ohne "Zaubertricks und Sensationen" zustande gekommen. Vom Bahnchef zum Bundeskanzler Als Kern die Bilanz der ÖBB Ende April verkündete, war er noch deren amtierender Chef. Wenige Tage später wurde er zum Bundeskanzler in Österreich ernannt. Seine Arbeit kann sich sehen lassen: Unter seiner Ägide nahm der Gewinn der ÖBB 2015 um 12 Prozent auf 193 Millionen Euro zu. Die Verschuldung der Rail Cargo Group (RCG) verringerte sich um 66 Millionen Euro. Damit habe die Gütersparte das fünfte Mal in Folge schwarze, "sehr ordentliche Zahlen" geschrieben, so Kern. Im Güterverkehr hatten die rund 40.000 Eisenbahner dennoch wenig zu lachen: Das Jahr 2015 war schwierig, zum einen wegen der schwächelnden Konjunktur. Zum anderen bewirkte der gesunkene Treibstoffpreis eine Verlagerung weg von der Schiene hin zur Straße. Somit schrumpfte das Gütervolumen bei RCG 2015 um 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Lichtblick: Außerhalb von Österreich stiegen die Mengen um mehr als fünf Prozent auf 54 Millionen Tonnen. Entsprechend dem gesunkenen Gesamtaufkommen haben sich auch die Finanzzahlen verschlechtert (siehe Tabelle). Im Vergleich zu den Ergebnissen vergangener Jahre besitzen die 2015er Zahlen aber immer noch Strahlkraft: Im Jahr 2010 schrieb der ÖBB-Güterverkehr noch einen Verlust von 353 Millionen Euro. Angesichts des Wachstums im Ausland verwundert es nicht, dass die Internationalisierung vorangetrieben wird. "Mit den beiden deutschen zugekauften Bahnen EBM Cargo und PCT Private Car Train werden wir in Deutschland unsere Eigentraktion weiter ausbauen", kündigte Kern an. Die beiden Bahnen haben kein eigenes Wagenmaterial, die Loks kommen von der RCG. Gekauft wurden sie, um die Deutschland-Präsenz zu stärken, um durchgehende Verkehre zwischen Deutschland und Südosteuropa zu fahren und um mehr Züge von Österreich zu den Seehäfen selbst zu produzieren. Mehr Eigentraktion heißt aber nicht, dass die bisherige Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn (DB) aufgekündigt wird: "Selbstverständlich werden wir weiterhin mit der DB zusammenarbeiten", lautet die Botschaft aus der RCG-Zentrale. Bahntransport ist heute grenzüberschreitend und so wie RCG in Deutschland mit eigener Traktion unterwegs ist, praktiziert dies auch die DB in Österreich. "Das Potenzial am deutschen Markt ist enorm", sind sich die beiden RCG-Vorstände Erik Regter und Ferdinand Schmidt einig. Verkauft werden die RCG-Dienstleistungen von der Rail Cargo Logistics, der Universalspedition der RCG. In Deutschland sieht man vor allem die Konsumgütersowie die Automobilindustrie als Kunden. Der Fokus liegt dabei auf den intermodalen Verkehren. Seit dem Vorjahr kooperiert RCG zudem eng mit der Automobilspedition ARS Altmann, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Auf dem Radar der RCG sichtbar sind auch die Hinterlandverkehre von und zu den Seehäfen. Allein vom Wiencont-Terminal im Wiener Hafen werden wöchentlich 100 Container-Ganzzüge von und zu Europas Nordhäfen abgefertigt, das Gros davon entfällt auf Hamburg und Bremerhaven. Aber auch zu den Südhäfen - und hier besonders Koper - forciert RCG gemeinsam mit Operateuren wie Kombiverkehr, Alpe Adria, Adria Kombi, UN-Ro.Ro, Balo oder T.O. Telta Intermodal-Verkehre. In der Relation von/nach Koper hat RCG einen Anteil von 90 Prozent. Derzeit bastelt RCG an einer engeren operativen Verschränkung mit den Slowenischen Eisenbahnen. Unter Druck stehen die ÖBB im Türkei-Geschäft: Konkurrenz tut sich in Gestalt der Reeder auf, die mit ihren Schiffen von türkischen Häfen in den Hafen Triest fahren. Diesem Druck könne RCG Stand halten, weil man in Italien die Nummer zwei sei im Gütergeschäft und der Hafen Triest mit verschiedenen Zugsystemen gut in das RCG-Netzwerk eingebunden sei. Ein Schwerpunkt in diesem Jahr ist für Regter und Schmidt die Einführung eines neuen Geschäftsmodells, das jenem der Spediteure folgt, nämlich Abwicklung von Geschäften nach dem Hauptfrachtführer- und Unterfrachtführer-Prinzip. Dieses Modell besagt: Wer als Bahn den Kunden federführend betreut, agiert diesem gegenüber als einziger Ansprechpartner und offeriert eine Gesamtlösung, die entweder selbst produziert wird oder für die Leistungen extern zugekauft werden. Die Umstellung auf das neue Geschäftsmodell bedingt bei RCG aber noch Anpassungen bei Tarifen oder Produktionsprozessen. Spedition Weiss setzt auf die Bahn Weiterhin Präsenz will RCG in der Fläche und im Einzelwagengeschäft auf Kernmärkten zeigen, die von Westeuropa bis in die Türkei reichen, wobei Österreich und Ungarn eine zentrale Rolle als Heimmärkte einnehmen. Logistikprofessor Sebastian Kummer von der Wirtschaftsuniversität Wien nickt zustimmend, wenn er das Bekenntnis zur Fläche hört: "Je klarer das "Ja" der Bahn zur Flächenbedienung, desto mehr Volumen kann auf die Schiene kommen, weil damit das Vertrauen der Verlader gewonnen wird." Dem stimmt auch Wolfgang Niessner, CEO des Speditionskonzerns Gebrüder Weiss, zu. "Wir wollen bis 2020 unseren Umsatz mit den Bahnen um 50 Prozent steigern, weil die Flächenbedienung aus unserer Sicht sinnvoll und wichtig ist". Allerdings müssten sich die Bahnen beim Service noch mehr anstrengen. Mit Sorgen erfüllen ihn die Pläne der DB, Verladestellen schließen zu wollen: "Das wird für uns zu einem Problem, weil wir dadurch Anschlussstellen in Deutschland verlieren." Mehr finden Sie im Dossier Rail Cargo Group www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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