Noch viel Unwissen bei der AwSV

Neue gesetzliche Regelungen sind bei Unternehmen in etwa so beliebt wie Eigentore bei Trainern. Denn neue Bestimmungen schränken die Betriebe in der Regel in ihrer Freiheit ein. Und wenn dann auch noch jahrelang um ein Gesetz gefeilscht wird, ist die Gefahr groß, dass am Ende alle unzufrieden sind. Erst recht, wenn es um gefährliche Stoffe geht, bei denen der Wust an Gesetzen und Verordnungen einem undurchschaubaren Dschungel gleicht. Doch die Botschaft von Norbert Müller, bei DB Schenker zuständig für das weltweite Handling von Gefahrgut, zur neuen AwSV (Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen) ist eine andere. "Man muss keine Angst haben, es ist auch kein Monster: Das Gegenteil ist richtig", lautet seine Einschätzung zur Verordnung, die seit wenigen Tagen (1. August 2017) in Kraft ist. Auf einen einfachen Nenner gebracht soll die neue AwSV den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen in Anlagen regeln, und zwar unter anderem bei der Lagerung, dem Umschlag und der Abfüllung: alles Tätigkeiten, die in der Logistik eine wichtige Rolle spielen und damit auch viele Speditionen betreffen, die mit chemischen Produkten zu tun haben oder Abfälle entsorgen, die als wassergefährdend gelten. Wassergefährdende Stoffe müssen entsprechend ihrer Gefährlichkeit in Wassergefährdungsklassen oder als nicht wassergefährdend eingestuft werden. Das Umweltbundesamt plant, bis spätestens zum 15. August 2017 eine konsolidierte Liste aller nach VwVwS (Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe) eingestuften Stoffe im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Befreit von einer Detail-Dokumentation Die Betreiber einer Anlage mit wassergefährdenden Stoffen müssen die jeweilige Gefährdungsklasse selber bestimmen. "Neu an der AwSV ist, dass der Betreiber ab dem 1. August 2017 in einem zweiseitigen Formblatt belegen muss, wie jemand auf die Gefährdungsklasse gekommen ist", sagt Müller. Das sei für Unternehmen, die diese Stoffe nicht herstellen, sehr schwierig, weil sie die toxikologischen Hintergründe der Stoffe, mit denen sie umgehen, nicht kennen. "Nur Betreiber von Umschlagsanlagen, also insbesondere das Speditionsgewerbe, sind befreit von dieser Dokumentationspflicht. Da hatte man im Umweltministerium Einsicht. Auch für KV-Terminals gilt diese Ausnahme", sagt Müller. Aber befreit sind sie nur von der Dokumentation, nicht unbedingt von sonstigen Regelungen zur AwSV, sofern sie es mit wassergefährdenden Stoffen zu tun haben. Und davon sind mehr Unternehmen betroffen, als man vielleicht glaubt. So gehört beispielsweise Kraftstoff zu den Produkten, die für die AwSV relevant sind. "Deshalb müssen auch Unternehmen, die eine eigene Tankstelle haben, diese Regelung beachten", sagt Müller. Die Schwelle, ab der die AwSV zur Anwendung kommt, ist niedrig: Wer mehr als 220 Liter stark wassergefährdende Stoffe wie Benzin lagert, sollte sich mit den Bestimmungen der AwSV befassen. Eine wichtige Neuerung der AwSV: Auch in Anlagen zum Umschlagen oder Abfüllen müssen Einrichtungen zur Rückhaltung von Löschwasser vorhanden sein. "Galt das vorher nur in sehr großen Lageranlagen, gilt dies nun in allen Anlagen. Das war ein Wunsch der Schadensversicherer, weil sie sagen: Davon können große Schäden ausgehen", so Müller. Eine Möglichkeit, das Abfließen des Wassers zu verhindern, sind Gerüste an den Umschlagstoren. "Ein Gerüst kostet etwa 7500 Euro", sagt Müller. Je mehr Tore ein Lager hat, desto teurer wird also die Angelegenheit. Wobei bei Bestandsanlagen diese Pflicht zur Nachrüstung unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht, also nur dann zur Anwendung kommt, wenn diese Maßnahme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch realisierbar ist. Doch warum begrüßt Müller die neue Regelung, wenn damit doch zusätzlicher Aufwand verbunden ist? "Zum einen sind Bestimmungen, die dazu dienen, die Sicherheit zu erhöhen, gerechtfertigt, erst recht, wenn man die aktuell entstandenen Schäden heranzieht", so der Gefahrgutexperte. Er nennt noch einen anderen Grund: "Bis Inkrafttreten der AwSV hatte jedes Bundesland seine eigene Regelung." Anhand eines Beispiels zur Lagerung von Ethanol, einzustufen in die Wassergefährdungsklasse 1, verdeutlicht Müller, welche Nachteile damit verbunden waren. In NRW war eine Auffangwanne notwendig, wenn man mehr als 1000 Liter gelagert hat, in Baden-Württemberg erst aber 10.000 Liter und in Schleswig-Holstein sogar erst ab 100.000 Liter. "Im Zeitalter der Globalisierung sind solche Insellösungen nicht mehr zeitgemäß", kritisiert Müller. Jetzt würden mit der neuen Verordnung bundesweit einheitliche Bestimmungen gelten, sodass es keine wettbewerbsverzerrenden Regelungen mehr gebe. Versicherungen gucken genau hin Müller glaubt, dass es nach wie vor viele Speditionen gibt, die sich noch nicht mit der AwSV befasst haben oder sie überhaupt nicht kennen. Laut der letzten Erfassung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2009 hätte es nur 8000 speditionelle Umschlaganlagen gegeben, für die die Vorgängerregelungen der AwSV gültig waren. Nach Ansicht von Müller gibt es bundesweit jedoch deutlich mehr Anlagen, die davon betroffen waren. Nur seien die nicht gemeldet gewesen. Wenn jetzt eine Behörde entdeckt, dass eine Spedition die Bestimmungen der Verordnung nicht angewandt hat, kann eine Bußgeldforderung in Höhe von bis zu 50.000 Euro fällig werden. Da jedoch die Behörden nur wenige Kontrollkapazitäten haben, dürften auch Verfehlungen eher selten aufgedeckt werden. Müller warnt aber davor, dass die Speditionen ihren Pflichten nicht nachkommen. "Wenn tatsächlich ein Schaden entsteht, besteht die Gefahr, dass die Versicherungen nicht dafür aufkommen, weil der Betreiber der Anlagen seinen Pflichten aufgrund der AwSV nicht nachgekommen ist. Das kann richtig teuer werden für den Betreiber." Daher sollten sich Spediteure genau erkundigen, welche Bestimmungen einzuhalten sind. Vor allem bei Neubauten, da für Altanlagen noch Bestandsschutzregeln gelten. Man sollte sich aber nicht allein auf die Planer solcher Anlagen verlassen, ganz im Gegenteil. "Die Mehrheit der Planer hat noch nie etwas von der AwSV gehört", gibt Müller seine Erfahrungen wieder. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Gefahrgut www.verkehrsrundschau.de/dossiers Neuerungen beim Entsorgungsfachbetrieb Zertifizierungen werden teurer Zum 1. Juni 2017 ist eine neue Entsorgungsfachbetriebsverordnung in Kraft getreten. Laut Werner Baumann, Geschäftsführer der Entsorgergemeinschaft Regionaler Wirtschaftsverkehr (EGRW), ergeben sich für die Unternehmen selbst keine gravierenden Änderungen, zumindest nicht auf den ersten Blick.Vielmehr betreffen zahlreiche Neuerungen das Prozedere der Zertifizierung. So dürfen Sachverständige maximal fünfmal hintereinander ein Unternehmen zertifizieren. Das Zertifikat als Entsorgungsfachbetrieb (EfB) ist ein Jahr gültig. Spätestens nach fünf Jahren muss also der Gutachter wechseln."Damit will man wahrscheinlich den Anschein verhindern, es werde gekungelt", sagt Baumann. Zudem müssen die Überwachungsorganisationen ein System "unangekündigter Überprüfungen vor Ort" entwickeln. "Ob das stichprobenartig oder anlassbezogen erfolgt, ist vollkommen unklar", kritisiert Baumann. Er geht davon aus, dass Unternehmen vor allem dann nochmals geprüft werden, wenn bei ihnen im Rahmen der Zertifizierung einige Abweichungen aufgetreten sind. Zudem muss ein Sachverständiger nachweisen, dass er alle drei Jahre von einem Kollegen begleitet wird. Für die Unternehmen ohne direkte Konsequenz, für die Zertifizierer aber ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand."Das treibt die Kosten, und die müssen umgelegt werden", stellt Baumann in Aussicht, dass die Zertifizierungen wahrscheinlich teurer werden.Eine weitere Änderung: Die Behörden haben die Möglichkeit, an den Überwachungsausschusssitzungen teilzunehmen. Dort werden die Berichte der Sachverständigen besprochen. "Das sehen wir kritisch, weil dort Probleme zur Sprache kommen können, bei denen die Behörden tätig werden müssen", so Baumann. Doch die Einrichtung des EfB sei freiwillig, weshalb er befürchtet, dass die Qualität der Berichte leiden könnte und Mängel nicht mehr oder nur abgeschwächt zur Sprache kommen. cd